Porträtaufnahme von Gerd Lottsiepen.
Gerd Lottsiepen. (Bild: VCD)

Am Freitag gab es in Berlin eine große Demonstration vor der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Hunderte Fahrradfahrer:innen kamen zusammen, um gegen die Ankündigung der neuen Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) zu demonstrieren, die in der Hauptstadt keine Radwege mehr bauen will, wenn dadurch auch nur ein Parkplatz oder eine Autospur verloren geht.

Gerd Lottsiepen wäre auf der Demo ganz weit vorne mit dabei gewesen. Er hätte in Dutzende Kameras gesprochen, klug, emotional, bestimmt, überzeugend, und hätte deutlich gemacht, dass eine solche "Dinosaurierpolitik" nichts im 21. Jahrhundert verloren habe.

Er hätte gepoltert, skandiert und dazwischen intensiv mit den anderen Demo-Teilnehmer:innen und den anwesenden Politiker:innen diskutiert. Voller Kraft und Engagement hätte er sich für die Rechte der Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer eingesetzt.

Gerd Lottsiepen, der studierte Sozialwissenschaftler und langjährige verkehrspolitische Sprecher des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), war aus ganzem Herzen Lobbyist und Fürsprecher der ökologischen Verkehrswende.

Ob Dieselskandal, strengere CO2-Grenzwerte für Pkw, der Boom der SUVs – er nannte sie "Viagra in Chrom" –, die unsinnige Pkw-Maut, das überfällige Tempolimit, die fehlende Sicherheit für Fahrradfahrende oder der schleppende Ausbau der Bahn – der Experte bespielte alle verkehrspolitischen Themen mit enormem Fachwissen, politischem Gespür und großer Lust an der Medienöffentlichkeit.

 

Lottsiepen war der zentrale Kopf hinter der Auto-Umweltliste des VCD, einer der bekanntesten Verbraucherpublikationen zum Thema Autokauf. 25 Jahre setzte sich der gebürtige Essener beim VCD für die Verkehrswende ein, 2019 wurde er auf einem rauschenden Fest in der Berliner Taz-Kantine in den Ruhestand entlassen.

Wäre Lottsiepen am Freitag auf der Demo gewesen, er wäre danach beschwingt auf dem Fahrrad nach Hause gefahren, mit dem Klingelton "I Want to Ride My Bicycle" von Queen auf dem Handy. Zu Hause in Berlin-Friedrichshain hätte er mit seiner Frau Brigitte bei einem guten Essen weiter über den unmöglichen Vorschlag von Manja Schreiner diskutiert.

Gerd Lottsiepen ist am 10. Juni nach schwerer Krankheit kurz vor seinem 70. Geburtstag gestorben. "Lebe das Leben" war sein Wahlspruch. Er hat das Leben gelebt.

Der VCD, die Verkehrspolitik in Deutschland, Fahrradfahrerinnen, Fußgänger, Bahnfahrerinnen und auch Autofahrer, die kein Viagra in Chrom brauchen, nicht zuletzt seine Freund:innen und ehemaligen Kolleg:innen – sie alle verdanken ihm viel.