Ein Mann im Anzug hält ein Tempo-120-Verkehrszeichen hoch.
Tempo 120 fordern DUH, VCD und andere Umweltorganisationen, aber im Bundestag nur die Linkspartei. (Foto: Gerd Altmann/​Pixabay)

Was ist eine schöne Straße? Das hatte sich Ragnhild Sørensen vom Verein Changing Cities gefragt und im Netz drei Vorzeigebeispiele in Freiburg und Berlin gefunden. Eine schöne Straße sei verkehrsberuhigt, mit viel Grün, wenig Lärm, guter Luft und einer "hohen Aufenthaltsqualität", sagte Sørensen am Dienstag. Diese Dinge seien – neben mehr Sicherheit – zu gewinnen, wenn der Straßenverkehr in den Städten verlangsamt wird.

Für Sørensen ist klar, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Tempo 30 in den Städten begrüßt. Eine Reihe europäischer Städte habe das auch schon eingeführt. Sieben deutsche Großstädte kündigten in diesem Monat ihrerseits an, Tempo 30 zu erproben und 50 Kilometer pro Stunde nur in Einzelfällen auf Ausfallstraßen zuzulassen.

Während sich Tempo 30 in den Innenstädten de facto schleichend ausbreitet, konzentriert sich der politische Streit darauf, ob man die Geschwindigkeit auf den Autobahnen generell begrenzt und auf Bundesstraßen von 100 auf 80 Kilometer pro Stunde absenkt. Diese Forderungen bekräftigte am Dienstag ein vor zwei Jahren gegründetes Bündnis aus Umwelt- und Verkehrsverbänden sowie der Gewerkschaft der Polizei Nordrhein-Westfalen bei einem Medientermin.

In ihrem 100-Tage-Programm müsse eine neue Bundesregierung Tempolimits beschließen: 120 auf Autobahnen, 80 außerorts und 30 in der Stadt. Das verlangte Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe (DUH). So ließen sich bis 2034 insgesamt bis zu 100 Millionen Tonnen CO2 einsparen.

Diese Zahl liegt deutlich über bisherigen Schätzungen, was ein Tempolimit klimapolitisch bringen würde. Der DUH-Chef begründet die höhere Zahl mit neuen Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA) aus dem Jahr 2020. Diese ergaben für Tempo 130 auf Autobahnen ein jährliches CO2-Einsparpotenzial von 2,2 Millionen Tonnen, für Tempo 120 von 2,9 Millionen und für Tempo 100 sogar von 6,2 Millionen Tonnen, ausgehend von der Fahrleistung im Jahr 2018.

"Konservative" Rechnung des Umweltbundesamtes

Damit kommen rechnerisch keine 100 Millionen Tonnen zusammen. Das UBA habe "konservativ" gerechnet, erläuterte Resch auf Nachfrage. So habe es den aus dem Tempolimit resultierenden Trend zur Verkehrsverlagerung auf den öffentlichen Verkehr sowie zu leichteren und weniger motorisierten Autos nicht berücksichtigt.

Zudem habe das UBA angenommen, dass sich nur 83 Prozent der Autofahrer ans Tempolimit halten würden, sagte Resch. Dank moderner Geschwindigkeitskontrollen wie Section-Control – dabei wird die Geschwindigkeit abschnittsweise als Schnitt und nicht punktuell wie bei einem "Blitzer" gemessen – ließe sich die Tempodisziplin nach Resch deutlich erhöhen.

Dass auch die Tempolimit-Gegner in CDU, CSU und FDP an dem Instrument letztlich nicht vorbeikommen werden, ergibt sich nach Lesart des DUH-Chefs daraus, dass ohne das Tempolimit das im Klimaschutzgesetz vorgegebene CO2-Budget für die Bundesrepublik nicht eingehalten werden kann.

Kurswechsel: So gelingt die Verkehrswende

Der Verkehr erreicht seine Klimaziele nicht – in fast 30 Jahren sind die CO2-Emissionen des Sektors um kaum ein Prozent gesunken. Die Verkehrswende braucht es aber auch, damit Städte mehr Lebensqualität gewinnen und die Belastungen durch Lärm und Schadstoffe sinken. Klimareporter° stärkt deshalb – in Kooperation mit dem Verkehrswendebüro des Wissenschaftszentrums Berlin – den Fokus auf Verkehrsthemen und berichtet in einer Serie über Hemmnisse bei der Verkehrswende und über Lösungen für eine nachhaltige, zukunftsfähige Mobilität.

Resch: "Es kann doch nicht angehen, dass alle vom Klimaschutz reden, wir aber dort, wo wir uns weltweit blamieren, weiter untätig bleiben."

Für den DUH-Chef bleibt das Tempolimit das Mittel der Wahl, das tatsächlich den größten Einzelbeitrag zum Klimaschutz im Verkehr leisten könnte. Die Umwelthilfe erhöht hier auch mit einer Sektorklage vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg den juristischen Druck auf die Regierung.

Das Bündnis erwartet jedenfalls, dass das Thema Tempolimit mit den jüngsten ablehnenden Äußerungen von Unionskanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) und Noch-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nicht abgeräumt, sondern weiter präsent sein wird.

Schon Tempo 130 rettet Menschenleben

Dafür werde das Bündnis auch sorgen, sagte Kerstin Haarmann, Chefin des ökologischen Verkehrsclubs VCD. "Es gibt gute Gründe für ein Tempolimit, alles andere ist eine Emotionalisierung."

Jürgen Resch machte auch darauf aufmerksam, dass sich inzwischen drei der im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien – SPD, Linke und Grüne – für ein Tempolimit auf Autobahnen einsetzen, die Linke sogar für Tempo 120, SPD und Grüne für 130. "Das ist eine signifikante Änderung gegenüber dem Wahlkampf vor vier Jahren", meinte Resch.

Neben dem Klimaschutz führte das Bündnis auch alle anderen Argumente an, die für ein Tempolimit sprechen. Das stärkste ist weiterhin die Verkehrssicherheit. "Auch wenn Autobahnen noch immer die sichersten Straßen Deutschlands sind, ist jeder Unfalltote einer zu viel", erklärte am Dienstag Michael Mertens, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in NRW. Nach Meinung von Experten könne Tempo 130 jährlich 80 Menschenleben retten, so Mertens.

Für ihn zählt dabei das Argument nicht, dass es immer weniger "freie" Strecken auf den Autobahnen gibt. Auf mehr als zwei Dritteln der Autobahnstrecken gebe es kein Tempolimit, und 70 Prozent der auf Autobahnen zu Tode Gekommenen seien genau dort verunglückt, schilderte der Polizeigewerkschafter die Situation.

Explizit wollte sich Mertens der Forderung der DUH und anderer Organisationen im Bündnis nach Tempo 120 nicht anschließen. Er schrieb aber in seiner Präsentation: "Jedes Tempolimit hilft. Egal ob genau 130 oder weniger."