Mit dem Bremer Laternenparker-Urteil von 1966 begann die Erbsünde der Verkehrspolitik in Deutschland. Ein Kaufmann hatte sein Auto dauerhaft öffentlich abgestellt, der Bremer Senat klagte dagegen erfolglos – und das Bundesverwaltungsgericht erlaubte das freie Parken im öffentlichen Raum dann für alle und überall.

 

In Bremen wie auch in vielen anderen Städten können deswegen Fahrzeuge überall und sogar auf Bürgersteigen ("aufgesetztes Parken") abgestellt werden, und dies sehr oft mit der Duldung der Behörden – selbst wenn dadurch Menschen behindert werden.

Bürger und Bürgerinnen hatten mehrfach dagegen geklagt. Die Verkehrsbehörden hatten aber vermieden, gegen die Parkpraxis vorzugehen – mit dem Hinweis auf die vielen Autos und den damit entstandenen Parknotstand. Es blieb faktisch bei einer Duldung der unhaltbaren Zustände, in Bremen und in vielen anderen Kommunen.

Jetzt hat das oberste deutsche Verwaltungsgericht entschieden: Die Bürger haben ein Klagerecht gegen diese uneingeschränkte Privatisierung des öffentlichen Raumes und können die Verkehrsbehörden zum Einschreiten zwingen, allerdings nur dort, wo sie unmittelbar betroffen sind.

Das Auto wird begründungspflichtig

Eigentlich ist es ein Trauerspiel, dass diese Praxis erst vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt und im Sinne der Menschen entschieden werden musste. Aber die Rechtsprechung in Deutschland war bislang völlig auf das Auto fokussiert.

Foto: David Außerhofer

Andreas Knie

Der Sozial­wissen­schaftler mit den Schwer­punkten Wissen­schafts­forschung, Technik­forschung und Mobilitäts­forschung lehrt an der TU Berlin und leitet die Forschungs­gruppe Digitale Mobilität am Wissen­schafts­zentrum Berlin. Andreas Knie ist Mitglied im Herausgeberrat von Klimareporter°.

Und immer wurde im Geiste des Urteils von 1966 argumentiert: Der Staat wolle, dass alle Bürger Autos haben, und die müssten nun mal irgendwo abgestellt werden, da seien Engpässe für Menschen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind, einfach unvermeidbar.

Insofern stellt das jetzige Urteil die längst erwartete Revision dar. Behörden müssen nun abwägen. Die unbedingte und uneingeschränkte Vorfahrt für den ruhenden Autoverkehr hat endlich ihr Ende gefunden, die Selbstverständlichkeit der Okkupation ist vorbei. Das Auto wird begründungspflichtig und damit auch erstmals wieder rechtlich diskutierbar.

Die Frage, wem der öffentliche Raum gehört, ist zurück auf der politischen Agenda. Bislang war es Zufall oder der Goodwill von Verkehrsbehörden, wenn gegen das uneingeschränkte Parken vorgegangen wurde. Immer auch mit der Unsicherheit, im Zweifel vor Gericht zu landen.

Und immer stand das Gebot der Vorfahrt für Autos im Mittelpunkt, die Verkehrsbehörden hatten die Autodominanz zu vollziehen. Das hat sich mit dem gestrigen Urteil geändert. Es bedeutet noch keine völlige Umkehrung der rechtlichen Situation, aber es kann durchaus als ein Einstieg in den Beginn einer Verkehrswende gewertet werden.

 

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrats in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.