"Die Zeiten haben sich geändert", sagte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) noch vor der Abstimmung in der Länderkammer. Dass Verkehrsminister von Radfahrern pauschal als "Kampfradler" sprächen, gehe heute nicht mehr.
Hermann meinte damit Peter Ramsauer (CSU), der als Bundesverkehrsminister vor neun Jahren gegen die "Robin Hoods der Straße" polemisierte und schärfere Kontrollen des Radverkehrs forderte.
Auch vorbei sei die Ära, in der Politik aus der Windschutzscheibenperspektive gemacht wurde. Doch da irrte sich der grüne Verkehrsminister. In der anschließenden Abstimmung lehnte der Bundesrat das Tempolimit auf Autobahnen ab.
"Das war absehbar, aber es ist dennoch eine Katastrophe", kommentierte der Verkehrsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung im Gespräch mit Klimareporter° das Ergebnis. Wieder sei eine Chance verpasst worden, Vernunft in die Verkehrspolitik zu bekommen und mit einer "Politik von alten Männern für alte Männer" Schluss zu machen.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will die Straßenverkehrsordnung novellieren und hat dafür ein umfangreiches Paket vorgelegt, das unter anderem die Mindestabstände von vorbeifahrenden Autos zu Radfahrenden neu regeln, das Carsharing beim Parken besserstellen und Geldstrafen für Falschparker verteuern soll. Das Maßnahmenpaket des Ministers nahmen die Länder an.
Auch Zahl der Unfälle sinkt
Der Umweltausschuss des Bundesrates hatte vorgeschlagen, die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen auf 130 Kilometer pro Stunde zu begrenzen. In dem Ausschuss sind viele grüne Landesminister. Besonders das Land Berlin hatte sich für den Vorstoß starkgemacht. Doch in der Abstimmung im Plenum ließen die unionsgeführten Landesregierungen die Geschwindigkeitsbegrenzungen durchfallen.
"Einige Mitglieder des Bundesrates haben immer noch nicht verstanden, dass die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger mehr Verkehrssicherheit und Klimaschutz will", sagte der BUND-Verkehrsexperte Jens Hilgenberg nach der Abstimmung. "Die Menschen denken weiter als die Bundesregierung und offenbar auch als große Teile der Landesregierungen."
Mittlerweile gibt es in Deutschland eine stabile Mehrheit für ein Tempolimit. Bei einer Umfrage des ZDF-Politikbarometers sprachen sich 59 Prozent für Tempo 130 auf Autobahnen aus. Sechs Prozent wollten eine noch weitergehende Geschwindigkeitsbegrenzung.
Ein Drittel der Befragten lehnte ein Tempolimit ab – vor allem Anhänger von AfD und FDP nahmen diese Position ein.
Dabei sind die Vorteile einer Geschwindigkeitsbegrenzung belegt. Die Autobahnen werden sicherer, die Zahl der Unfälle sinkt genauso wie die Anzahl der Verletzten. Unter anderem hatte das Land Brandenburg Zahlen von einem Autobahnabschnitt vor und nach der Einführung von Tempo 130 erhoben und ausgewertet.
SPD inzwischen für Tempolimit
Auch mit Blick auf Umwelt, Klima und Gesundheit erscheint ein Tempolimit sinnvoll. Es senkt den Ausstoß von Schadstoffen und reduziert den CO2-Ausstoß. "Mit einem Tempolimit auf Autobahnen lassen sich drei bis fünf Prozent der Emissionen des Verkehrssektors einsparen", sagt Verkehrsexperte Knie. Das sei eine gigantische Menge.
Vor allem für einen Sektor, dem es seit Jahren nicht gelingt, seinen klimaschädlichen Fußabdruck zu reduzieren: Auch im vergangenen Jahr sind die Emissionen im Verkehr wieder gestiegen. Bislang zeigt das seit Jahren CSU-geführte Verkehrsministerium keine ernsthaften Ambitionen, die Emissionen seines Sektors in den Griff zu bekommen.
Anfang des Monats hatte die CSU eine Kampagne gegen ein Tempolimit gestartet. "Immer mehr Bürgern stinkt der ständige Verbotswahn", sagte CSU-Generalsekretär Markus Blume dem Boulevardblatt Bild. Damit liegt er auf einer Linie mit dem Verkehrsminister, der sich mehrfach für digitale Verkehrslenkung anstelle von "Verboten" aussprach. Der Autoclub ADAC hat dagegen seinen grundsätzlichen Widerstand gegen Tempolimits aufgegeben.
Die SPD plädiert mittlerweile für ein Tempolimit. Die Partei will das Thema auch noch einmal in den Bundestag einbringen. Eine Initiative der Grünen war dort im vergangenen Jahr von den Abgeordneten abgelehnt worden – auch mit den Stimmen fast aller Sozialdemokraten.