Am 24. September meldete das Institut für Physik der Atmosphäre des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR): "Der globale Luftverkehr trägt 3,5 Prozent zur Klimaerwärmung bei."
Es geht um das Ergebnis einer umfangreichen Studie unter Leitung der Manchester Metropolitan University, an der das DLR beteiligt war und die Anfang September in der Fachzeitschrift Atmospheric Environment erschienen ist.
Die beteiligten Institute gehören gleichsam der klimawissenschaftlichen Champions League an, wenn es um die Klimawirkungen der Luftfahrt geht. Das politisch brisante Resultat der Untersuchung sind allerdings nicht die 3,5 Prozent – dass die globale Luftfahrt vergleichsweise so viel CO2 emittiert wie Japan, ist allgemein bekannt.
Neu ist aber ein anderes Ergebnis der Studie. Danach entfällt "nur ein Drittel der Klimawirkung des Luftverkehrs auf CO2-Emissionen" – zwei Drittel werden dagegen durch sogenannte "Nicht-CO2-Effekte" verursacht, von denen, so die Studie, "Kondensstreifen und daraus resultierende Kondensstreifen-Zirren der bedeutendste Faktor sind".
Wer die Studie genauer zur Kenntnis nimmt, entdeckt sogar, dass das eine Drittel der Klimawirkung des Fliegens nicht nur die Emissionen von CO2, sondern auch die aller anderen Treibhausgase berücksichtigt. Die Kernaussage der Studie müsste deswegen eigentlich so formuliert werden: Zwei Drittel der Klimawirkung des Luftverkehrs entfallen auf Nicht-Treibhausgas-Effekte.
Oder anders gesagt: Wer allein die "Treibhausgasneutralität" des Luftverkehrs zum politischen Ziel erhebt oder akzeptiert, der akzeptiert auch, dass zwei Drittel der Klimawirkung dieser Branche nicht an die Verursacher adressiert, sondern stillschweigend hingenommen werden.
Das könnte die Klimastrategie der Branche ins Wanken bringen.
Stärkere Klimawirkung in großer Höhe
2019, im Jahr des klimapolitischen Neuaufbruchs in Deutschland, wollte auch die Luftfahrt ihr Scherflein beitragen. Man wolle erreichen, "dass die luftverkehrsbedingten Emissionen auf null sinken", verkündeten im August 2019 die Mitglieder des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), in dem unter anderem Condor, Eurowings und Lufthansa Cargo sowie die deutschen Großflughäfen sitzen, in einer gemeinsamen Erklärung. Ziel sei es, "langfristig CO2-neutral fliegen zu können".
Der BDL räumt dabei das Lückenhafte dieses Ziels in der Erklärung selbst ein. So sei der Luftverkehr "neben seinem CO2-Ausstoß auch für weitere Emissionen verantwortlich, die durch die Verbrennung von Kerosin in großer Höhe entstehen. Auch diese Emissionen haben Auswirkungen auf das Klima, da sie zur Entstehung von Wolken und weiteren Treibhausgasen beitragen können."
Jochen Luhmann
studierte Mathematik, Volkswirtschaftslehre und Philosophie und promovierte in Gebäudeenergieökonomie. Er war zehn Jahre als Chefökonom eines Ingenieurunternehmens und 20 Jahre am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie tätig. Er ist Herausgeber der Zeitschrift Gaia und Vorstandsmitglied der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler.
Das Verhalten des Wirtschaftszweiges ist lehrbuchgerecht und nachvollziehbar. Doch dann trat auch die Politik ins Feld. Anlass war die Nationale Luftfahrtkonferenz 2019 am 21. August in Leipzig.
Da verabschiedeten die Verkehrs- und Wirtschaftsminister von Bund und Ländern das "Leipziger Statement für die Zukunft der Luftfahrt". Darin unterstützen sie zwar vorbehaltlos das begrenzte Ziel eines "CO2-neutralen Fliegens" – aber weder das "klimaneutrale Fliegen" noch die "klimaneutrale Luftfahrt" werden als Ziel erkoren.
In der Politik noch nicht angekommen
Unterzeichnet ist dieses Statement zunächst einmal von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Der legte kürzlich aus persönlicher Initiative einen "Vorschlag für eine Allianz von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat für Klimaneutralität und Wohlstand" vor – das Ziel eines klimaneutralen Luftverkehrs hat Altmaier in seinen innovativen Forderungskatalog jedoch nicht aufgenommen.
Das Leipziger Dokument ist auch von einem prominenten Grünen unterzeichnet, von Tarek Al-Wazir, Wirtschaftsminister und Vizeministerpräsident in Hessen mit Verantwortung für das Verkehrsressort.
Al-Wazir soll, wie es heißt, bei möglichen kommenden Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene eine bedeutende Rolle spielen. Unterschrieben hat er das Papier damals für den Vorsitz der Verkehrsministerkonferenz der Bundesländer. In Hessen ist allerdings mit Frankfurt am Main auch der größte Verkehrsflughafen Deutschlands zu Hause.
Die aktuelle DLR-Studie erinnert daran, was beide Politiker, die für sich das Anliegen des Klimaschutzes in Anspruch nehmen, ausblenden: Eine Klimapolitik im Verkehrssektor, die zwei Drittel vom Klimaeffekt des Luftverkehrs ausspart, kann nicht ihr letztes Wort sein. Da ist nachzubessern. Das wird die Zivilgesellschaft nachhalten.