
Klimareporter°: Herr Baumann, 2024 wurde der Biokraftstoffmarkt von fragwürdigen Importen aus Asien, China vor allem, überschwemmt. Das wollte das Umweltministerium mit einer gesetzlichen Neuregelung stoppen. Die Regelung wurde vom alten Bundestag aber nicht mehr verabschiedet. Gehen die Importe nun unvermindert weiter?
Elmar Baumann: Bereits Anfang 2023 gab es erste Hinweise auf fragwürdige Importe fortschrittlicher Biokraftstoffe. Seit deren Ausmaß deutlich ist, fordern wir als Verband, die Ursachen des Betrugs zu beseitigen. Es geht darum, einen fairen Wettbewerb sowie eine saubere Zertifizierung der importierten Kraftstoffe sicherzustellen. Wir haben dazu eine Reihe konkreter Vorschläge gemacht, so bereits im Juni und dann erneut im November 2023.
Das Problem, dass falsch deklarierte fortschrittliche Biokraftstoffe nach Deutschland eingeführt werden, besteht nach wie vor. Bislang sind keine Maßnahmen gegen dieses betrügerische Verhalten von Marktteilnehmern ergriffen worden.
Das hat gravierende Auswirkungen auf die Biokraftstoffbranche. Mittlerweile gibt es auch Anzeichen, dass fragwürdige Importe nicht nur aus Asien, sondern auch aus anderen Ländern nach Deutschland gelangen.
Ende Januar hatten sich die Fraktionen von SPD, Grünen und Union auf Basis einer Formulierungshilfe aus dem Umweltministerium darauf geeinigt, die Nachhaltigkeitskriterien für Biokraftstoffe zu verschärfen. Laut dem Konsens wären dann, auch bei Produzenten im Ausland, behördliche Vor-Ort-Kontrollen möglich geworden – als Voraussetzung, um die Kraftstoffe auf die Treibhausgasquote und die Unterquote für fortschrittliche Biokraftstoffe anrechnen zu können.
Die Regelung trat dann nicht in Kraft, weil sich die Fraktionen nicht über die Abschaffung einer ab 2026 geplanten nationalen Quote für E‑Kerosin, also für grünes Flugbenzin, einigen konnten. Nehmen Sie an, diese einmal erreichte Einigung zu den Vor-Ort-Kontrollen kann so einfach eins zu eins von einer neuen Koalition übernommen werden?
Wir gehen davon aus, dass die Gesetzesänderung zur verpflichtenden Erlaubnis behördlicher Vor-Ort-Kontrollen in den ersten 100 Tagen der neuen Bundesregierung erfolgen kann. Ohne diese Zugangserlaubnis für behördliche Kontrolleure bei Biokraftstoff-Produzenten dürfte der deutsche Markt dann nicht mehr beliefert werden. Das wäre ein wichtiger erster Schritt, um die Zertifizierung zu verbessern.
In den folgenden Monaten muss dann ein behördliches Zulassungsverfahren für Produzenten fortschrittlicher Biokraftstoffe auf den Weg gebracht werden. Das muss geschehen, bevor die europäische RED‑III-Richtlinie im Verkehr hierzulande umgesetzt wird.
Elmar Baumann
Der studierte Biotechnologie- und Wirtschaftsingenieur ist seit 2009 Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB). Im VDB haben sich größere Hersteller von Agrokraftstoffen organisiert, darunter ADM, Cargill, NEW und Verbio. Die Mitglieder repräsentieren nach Verbandsangaben 60 Prozent der inländischen Produktion.
Die Richtlinie verpflichtet die EU-Staaten für 2030 zu einem Mindestanteil von 29 Prozent Erneuerbaren am Endenergieverbrauch im Verkehr oder zu einer Verringerung von Treibhausgasen um mindestens 14,5 Prozent gegenüber den Emissionen, die durch den Einsatz fossiler Kraftstoffe entstanden wären. RED III muss eigentlich schon bis Mitte 2025 umgesetzt werden.
"Eigentlich" ist das richtige Stichwort. Die Umsetzung wird sich nach unserer Einschätzung mindestens bis Ende 2025 verzögern. So viel Zeit haben wir für die Lösung des Problems bei fortschrittlichen Biokraftstoffen nicht.
Daher muss das Zulassungsverfahren für die Produzenten fortschrittlicher Biokraftstoffe noch vor der RED‑III-Umsetzung geregelt werden.
Kraftstoffe aus Biomasse bringen zum einen noch immer die größte Reduktion von Treibhausgasen im Verkehr. Zum anderen ist klar, dass die Elektrifizierung der entscheidende Weg zu einem klimaneutralen Verkehr sein wird. Wie sehen die Vorstellungen der Branche für die Zukunft aus?
Entscheidend ist, den Einsatz fossiler Kraftstoffe zu reduzieren – und zwar durch E‑Mobilität sowie erneuerbare Kraftstoffe.
Laut dem Umweltbundesamt lag der Anteil der Erneuerbaren im Straßenverkehr 2023 bei 7,5 Prozent. Fossile Kraftstoffe machen demnach über 90 Prozent aus. Der Klimaschutz im Straßenverkehr ist also enorm ausbaufähig. Das belegen auch die Jahr für Jahr verfehlten Emissionsziele des Klimaschutzgesetzes im Verkehr.
Klar ist auch: Selbst bei einem Verbrenner-Aus für neue Fahrzeuge ab 2035 sind noch viele Jahre Millionen Pkw und Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotor unterwegs. Hinzu kommen Fahrzeuge in Bereichen, die auf absehbare Zeit nicht zu elektrifizieren sind, wie Bau oder Landwirtschaft.
Erneuerbare Kraftstoffe bleiben so ein entscheidender Faktor, wollen wir das Ziel Klimaneutralität nicht aufgeben. Hierfür werden alle erneuerbaren Energien benötigt. Nicht umsonst fordern wir zusammen mit fast 20 weiteren Verbänden mehr Ambition beim Klimaschutz im Verkehr und eine deutliche Erhöhung der THG-Quote.
Die Treibhausgas- oder THG-Quote, die die Mineralölbranche zu erfüllen hat, soll bisher – gesetzlich festgelegt – von etwas mehr als zehn Prozent in diesem Jahr auf 25 Prozent im Jahr 2030 steigen.
Die Bioenergiebranche selbst schlägt für 2030 nun eine Erhöhung auf 40 Prozent vor. Selbst wenn man annimmt, dass die deutsche Mineralölbranche dann weniger Benzin und Diesel verkauft – welchen Sinn soll eine derart hohe Quote haben? Würde die nicht das bekannte Teller-Tank-Problem verschärfen?
Ehrgeiziger Klimaschutz ist nur mit einer deutlich höheren THG-Quote möglich, die auch wieder Anreize für Investitionen in Erneuerbare im Verkehr schafft. Die THG-Quote ist heute das erfolgreichste Instrument, um die CO2-Emissionen der Antriebsenergie zu senken, und sollte folglich weiterentwickelt werden.
2023 und 2024 ist die THG-Quote durch die betrügerischen Importe massiv übererfüllt worden – zugleich ging aber der Verbrauch fossiler Kraftstoffe praktisch nicht zurück.
Wegen des Überangebots falsch deklarierter Importe ist so der Wert der CO2-Minderung im Verkehr eingebrochen: Der THG-Quotenpreis ist seit Mitte 2022 um rund 90 Prozent gesunken.
Folglich fanden hierzulande keine Investitionen mehr in Anlagen zur Produktion fortschrittlicher Biokraftstoffe statt. Durch den niedrigen Quotenpreis gab es auch keinen Anreiz, zusätzliche Ladestellen für E‑Fahrzeuge zu bauen. Auch die Herstellung von grünem Wasserstoff für Mineralölraffinerien oder als Kraftstoff lohnt sich nicht. Die Energiewende im Verkehr wird durch den Betrug völlig ausgebremst.
Die Anhebung der THG-Quotenhöhe auf 40 Prozent im Jahr 2030 ergibt sich hauptsächlich aus der geänderten Berechnungsmethodik bei RED III. Hinzu kommt, dass wir mit einer größeren Menge "echter" fortschrittlicher Biokraftstoffe und einem verbindlichen Anteil strombasierter Kraftstoffe rechnen.
Die 40 Prozent enthalten allerdings Mehrfachanrechnungen für E‑Mobilität, strombasierte Kraftstoffe und fortschrittliche Biokraftstoffe. Die reale CO2-Minderung liegt deutlich niedriger, nämlich bei 20 Prozent.
Um die steigende THG-Quote in den kommenden Jahren zu erfüllen, werden alle Optionen benötigt: E‑Mobilität, alle Kategorien von Biokraftstoffen, grüner Wasserstoff und strombasierte Kraftstoffe.
Und wo bleibt die umstrittene Nutzung sogenannter Energiepflanzen?
Der Beitrag von Anbaubiomasse ist gesetzlich bei aktuell 4,4 Prozent des Endenergieverbrauchs gedeckelt. Bei Biokraftstoffen wird das Wachstum hauptsächlich durch fortschrittliche Biokraftstoffe abgedeckt, die – korrekt zertifiziert – aus bestimmten Abfällen und Reststoffen hergestellt werden.
Die Branche schlägt auch vor, die THG-Quote auf in Deutschland verkaufte Treib- und Brennstoffe für die Luft- und Schifffahrt auszuweiten. Um welche Mengen geht es da und gibt es da überhaupt ein Interesse der betroffenen Branchen?
Jeder Verkehrsträger muss einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Der Straßenverkehr ist Vorreiter, weil er für den mit Abstand größten Anteil der CO2-Emissionen des Verkehrs verantwortlich ist. Außerdem ist die Regulierung dort einfacher zu bewerkstelligen als im transkontinentalen Luft- und Schiffsverkehr.
Der Vorschlag zur Ausweitung die THG-Quote auf Luft- und Schifffahrt stammt übrigens aus dem Bundesumweltministerium. Die THG-Quote hat sich aus unserer Sicht als Instrument grundsätzlich bewährt, sodass wir dieses Anliegen unterstützen.