In der Küche füllt jemand altes Speiseöl aus einer Bratpfanne in eine Plastikflasche.
Altes Speiseöl wird hierzulande zu tankbarem Biodiesel – an diesem schönen Bild stimmt vieles nicht. (Bild: Fernando Avendano/​Shutterstock)

Bilder sagen mehr als tausend Worte. Daran dachten sicher die Leute, die Ende Mai zur Freigabe sogenannter Dieselreinkraftstoffe für die passenden Symbolfotos sorgten. Auf vielen Illustrationen sind zwei bauchige Flaschen zu sehen: Eine ist mit gelbem, fossilem Diesel gefüllt, die andere mit einer klaren Flüssigkeit. Der "reine" Stoff soll der neue HVO-100-Diesel sein.

Weil HVO (hydrotreated vegetable oil) aus Altspeiseölen oder Fettresten hergestellt werden kann, wurde das Foto gern mit der Schlagzeile garniert: "Tanken mit Frittenfett".

Wirklich neu ist der "Bio"-Diesel aus Speiseöl und -fett nicht. Seit Jahren kann HVO herkömmlichem Diesel beigemischt werden – bis zu einem Anteil von 26 Prozent. Real lag der Anteil im Schnitt aber nur bei zwei Prozent.

Neu ist seit Mai nur, dass HVO auch in Reinform getankt werden kann, deswegen das Kürzel HVO 100. Es dauerte aber keinen Monat, bis das Marketing-Bild vom klaren und "reinen" Biodiesel erschüttert wurde. Die Deutsche Umwelthilfe hatte den Schadstoffausstoß eines Diesel-Pkw mit der gängigen Euro-5-Abgasnorm gemessen, der HVO 100 verbrannte.

Umweltverband: Biodiesel gesundheitsschädlicher als fossiler

Das Resultat: Der neue Kraftstoff ist gesundheitsschädlicher als üblicher Diesel. Die Stickoxid-Emissionen von HVO 100 waren 20 Prozent höher als die von konventionellem Diesel, zeigten Messungen des Umwelthilfe-eigenen Emissions-Kontroll-Instituts.

Für besonders problematisch hält dessen Leiter Axel Friedrich: Mit HVO 100 steigt auch der Ausstoß ultrafeiner Partikel an. "Diese sind besonders schädlich für die Gesundheit, weil sie tief in den Körper bis in die Blutbahnen eindringen", erklärte Friedrich.

 

Dagegen verweist der Autoclub ADAC aufgrund eigener Messungen darauf, dass mit HVO 100 die geltenden Grenzwerte sowohl bei Rußpartikeln als auch bei Stickoxiden eingehalten werden – sie würden sogar um bis zu 97 beziehungsweise 78 Prozent unterschritten. Im Vergleich zum Diesel seien das lediglich leicht erhöhte Werte.

Mit ihrer Kritik zerrede die Umwelthilfe die Chancen von HVO 100 für einen klimafreundlichen Verkehr, kritisiert der Autoclub. Auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) lobte: "Aus Abfall- und Reststoffen produziertes HVO kann die CO2-Emissionen gegenüber fossilem Diesel um bis zu 90 Prozent reduzieren."

Konkret soll das CO2-Minus von HVO gegenüber fossilem Diesel bei etwa 87 Prozent liegen. Das hat jedenfalls die zuständige Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) für 2022 ausgerechnet.

Im Zusammenhang mit der Markteinführung des neuen Biodiesels steht Wissings Haus jetzt allerdings unter dem Verdacht eines unzulässigen Lobbyismus, wie das ZDF‑Magazin Frontal aufdeckte.

Klima-Maßstab im Verkehr ist nur die "THG-Quote"

Beobachter der Branche überrascht das wenig. Denn in der Klimabilanz haben alle sogenannten Biokraftstoffe, also auch HVO, ein grundlegendes Problem: Wer sie im Motor verbrennt, trägt nur dazu bei, dass die Mineralölindustrie die vorgeschriebene Treibhausgasminderungs-Quote (THG-Quote) erfüllen kann.

Die Quote beträgt dieses Jahr rund 9,4 Prozent und bedeutet: Die Mineralölfirmen müssen nachweisen, dass der entsprechende Anteil der von ihnen verkauften Kraftstoffe CO2-frei ist.

Um die Quote zu erfüllen, dürfen sich die Firmen nicht nur Biokraftstoffe wie HVO anrechnen, sondern auch grünen Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe (E‑Fuels) oder für E‑Mobilität verkauften Strom. Erlaubt sind auch immer noch CO2-Einsparungen aus sogenannten Upstream-Emissionsprojekten, die ebenfalls von einem Skandal erschüttert werden.

Lukas Höhne, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Umweltbundesamt, erklärt die klimapolitische Wirkung der Quote: "Durch die Regelungen der THG-Quote ist es für deren Erfüllung unerheblich, ob ein einzelner Kraftstoff wie HVO 100 über eine sehr hohe CO2-Minderung verfügt. Maßgeblich ist, dass die gesamte Menge der in Verkehr gebrachten Kraftstoffe die Minderungsverpflichtungen der THG-Quote erfüllt."

Höhne erwartet deswegen, dass HVO 100 lediglich den Umfang anderer Erfüllungsoptionen reduziert. "Die Nutzer von HVO 100 fahren klimafreundlicher, jedoch alle anderen Verkehrsteilnehmenden klimaschädlicher", erläutert der Ingenieur die Verschiebung der CO2-Minderung.

Möglicherweise verteilen die Ölfirmen die zwei Prozent aus der durchschnittlichen Beimischung sogar einfach auf HVO 100 um. Dann träte genau das ein, was UBA-Experte Höhne erwartet: Die HVO-100-Nutzer emittieren weniger, die anderen Diesel-Nutzer mehr CO2.

Rohstoffe für HVO werden größtenteils importiert

In Deutschland gibt es zudem eine Obergrenze für die Anrechenbarkeit von abfallbasierten Biokraftstoffen. Diese liegt seit 2022 bei maximal 1,9 Prozentpunkten der jeweils geltenden THG-Quote. Die Obergrenze soll auch verhindern, dass eine künstliche Nachfrage nach Frittenfett – oder was dafür gehalten wird – erzeugt wird.

Das Problem ist nicht aus der Luft gegriffen. Laut der BLE sind die 2022 in Deutschland eingesetzten HVO-Mengen zwar "hauptsächlich" aus Abfällen und Reststoffen hergestellt worden, für etwa ein Fünftel wurde aber auch Palmöl genutzt.

Palmöl darf seit 2023 generell nicht mehr zur Erfüllung der THG-Quote angerechnet werden. Deswegen wird der Einsatz von Altspeiseölen in den HVO weiter zunehmen, vermutet das Umweltbundesamt.

Zugleich verweist das UBA auf Angaben der BLE, wonach mehr als 99 Prozent der Ausgangsstoffe des für die TGH-Quote angerechneten HVO-Kraftstoffs nicht aus Deutschland stammen.

Anders gesagt: Der reine Biodiesel HVO ist offenbar ein nahezu reines Importprodukt – mit dem entsprechenden Transportaufwand. Der verschlechtert die CO2-Bilanz, geht aber nicht in die nationale Klimarechnung ein.

Auch lässt sich das in Deutschland geltende Einsatzverbot für Palmöl nur schwer kontrollieren. Wo die Ausgangsstoffe für HVO wirklich herkommen und ob der Kraftstoff tatsächlich nur aus Altspeiseöl hergestellt wird, lässt sich nicht zweifelsfrei nachverfolgen.

Wachsende Zweifel an der Herkunft von angeblichem "Frittenfett"

"Dem Endprodukt sieht man die Ausgangsstoffe nicht mehr an. Auch mit Laboranalysen kann nicht mehr festgestellt werden, ob zum Beispiel Palmöl oder altes Frittierfett als Rohstoff verwendet wurde", benennt Lukas Höhne das Nachweisproblem.

In jüngster Zeit sind sogar laut Marktbeobachtern die international gehandelten Mengen an Biokraftstoffen aus Altspeiseölen stark gestiegen. Entsprechend wachsen die Zweifel an der Herkunft des angeblichen Frittenfett-Diesels.

In der Biokraftstoff-Branche halten sich in dem Zusammenhang hartnäckig Spekulationen, dass ursprünglich in Indonesien aus Palmöl hergestellter Biodiesel durch in China ansässige Lieferanten an europäische Importformate angepasst wird.

Die Umdeklarierung soll sich dabei allerdings vor allem auf sogenannte fortschrittliche Biokraftstoffe richten, die offiziell aus Quellen wie Biomasse in Siedlungsabfällen, Algen, Stroh oder zellulosehaltigen Materialien stammen. Die "Fortschrittlichen" haben gegenüber dem Frittenfett-Diesel den klimapolitischen Vorzug, dass die erzielte CO2-Einsparung unter bestimmten Umständen doppelt auf die THG-Quote angerechnet werden kann.

 

Die deutsche Biokraftstoffindustrie fordert denn auch seit Monaten, dass die entsprechenden Schiffe sehr regelmäßig und engmaschig kontrolliert werden. Auch die Zertifizierung und die Kontrolle der Letztlieferanten sowie der Nachhaltigkeitsnachweise für fortschrittliche Biokraftstoffe seien zu verbessern, so der Branchenverband VDB.

Hinter all den Dieselreinkraftstoffen können am Ende doch ziemlich schmutzige Geschäfte auch mit fragwürdigen Lobbyisten stecken. Um den reinen Klimaschutz geht es da nicht.