Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Jens Mühlhaus, Vorstand beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Green City AG.
Klimareporter°: Herr Mühlhaus, Mitglieder der Ampel-Parteien entscheiden dieser Tage darüber, ob sie dem Entwurf des Koalitionsvertrags zustimmen. Geben ihnen die klima- und energiepolitischen Punkte im Vertrag genügend Gründe, um den Vertrag durchzuwinken?
Jens Mühlhaus: Diese Frage stellt sich so eigentlich nur für die Basis der Grünen, die einen besonders kritischen Blick auf das Papier werfen dürfte. Wie immer kann man die Verhandlungsergebnisse von zwei Seiten betrachten. Ich versuche es mal aus der wohlwollenden Perspektive.
Der Satz "Wir machen es zu unserer gemeinsamen Mission, den Ausbau der erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg zu räumen" ist schon ein Wort. 80 Prozent Erneuerbare bis 2030 sind ein signifikanter Sprung, das zeigen auch die festgehaltenen Ausbauziele für Photovoltaik und Windkraft.
Gleichwohl ist der Kohleausstieg, der "idealerweise" bis 2030 erfolgen soll, für meinen Geschmack zu weich formuliert. In der Praxis wird sich zeigen, ob der ausgehandelte Mechanismus mit den nationalen Maßnahmen im Emissionshandel dahingehend Anwendung findet, dass Kohlestrom verteuert und damit spätestens 2030 unwirtschaftlich wird. Ob das für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels reicht, wird sich zeigen.
Grundsätzlich muss man anerkennen, dass die Ampel scheinbar verstanden hat, worauf es ankommen wird. Die Vorschläge sind deutlich ambitionierter als in der großen Koalition. Die Transformation des Energiesystems wird allerdings nicht explizit erwähnt, hier mangelt es mir nach wie vor an Präzision.
Ob wir eine echte "Klimaregierung" bekommen, wie es der Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer formulierte, da wäre ich mir noch nicht so sicher. Die Möglichkeit besteht, darum glaube ich, dass der Koalitionsvertrag auch die nötige Zustimmung erhalten wird. Besser wird er nicht werden, so viel ist sicher.
Für das Ziel, trotz weiter steigendem Stromverbrauch für 2030 einen Anteil von 80 Prozent Ökostrom zu erreichen, erntet die Ampel-Koalition viel Lob. Dafür sollen unter anderem bis 2030 insgesamt 200.000 Megawatt Photovoltaik in Deutschland installiert sein. Derzeit sind es etwas mehr als 55.000 Megawatt. Halten Sie so eine Vervierfachung innerhalb von nur neun Jahren für realistisch?
Es muss realistisch werden, eine andere Chance haben wir nicht. Ökostrom ist der Wirkstoff gegen die Klimakrise, das ist ein Fakt. Wenn in Deutschland 80 Prozent der CO2-Emissionen durch die Nutzung fossiler Rohstoffe verursacht werden und Strom bis 2050 zum weltweit wichtigsten Energieträger aufsteigt, dann muss Strom klimaneutral erzeugt werden.
Wir haben ein Zeitfenster von zehn Jahren, um diese Transformation in der Energieerzeugung zu schaffen. Der Anspruch der neuen Koalition, Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich zu beschleunigen, wird dabei entscheidend sein. Denn bei der Projektierung und beim Bau von Erneuerbare-Energien-Anlagen bremsen uns diese ewig langen Genehmigungsverfahren drastisch. Fünf bis zehn Jahre sind für komplexere Windparks keine Seltenheit. Uns läuft einfach die Zeit davon.
Die Solarenergie hat hier einen entscheidenden Vorteil. Sie genießt grundsätzlich eine hohe Akzeptanz, ist schnell umzusetzen und nahezu beliebig skalierbar. Die Branche kann das leisten, daran habe ich keinen Zweifel. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass 200.000 Megawatt Leistung durchaus eine spürbare Veränderung unserer Kulturlandschaft mit sich bringen.
Es gibt sie ja nach wie vor, die CSU-Bürgermeister, die Sachen sagen wie: "Solarparks sind Fremdkörper, die Module spiegeln in der Sonne, das passt nicht in unsere Landschaft." Wie will die Koalition es schaffen, dieses tradierte Denken zu verändern? Und das in so kurzer Zeit? Ich glaube nicht, dass es technische Faktoren sind, die den Sprung auf 200.000 Megawatt verhindern können, es sind die Hürden in den Köpfen der Menschen.
Die Bürgerenergie bezeichnen die Ampel-Parteien im Vertragsentwurf als wichtiges Element für mehr Akzeptanz. Im Rahmen des europarechtlich Möglichen will die Koalition die Rahmenbedingungen für die Bürgerenergie verbessern, dazu gehören Energy Sharing, Ausschöpfung der De-minimis-Regelungen sowie die Prüfung eines Fonds, der die Risiken absichert. Bei der Novellierung des Steuer-, Abgaben- und Umlagensystems soll auch die Förderung von Mieterstrom- und Quartierskonzepten vereinfacht werden. Wie bewerten Sie diese Vorhaben?
Hier bleibt der Koalitionsvertrag leider sehr, sehr vage. Es dominieren Allgemeinsätze wie "Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für die Solarenergie genutzt werden" oder "Wir wollen dafür sorgen, dass Kommunen von Windenergieanlagen und größeren Freiflächen-Solaranlagen auf ihrem Gebiet finanziell angemessen profitieren können". Was es wirklich braucht, sind konkrete Möglichkeiten für die Beteiligten, sich einbringen zu können. Die Bevölkerung muss doch mitmachen können, sich gehört fühlen.
Wir lösen das bei uns im Haus über eine frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit und andere partizipatorische Formate. Aber das kostet Zeit, Geld und Nerven. Und genau an diesem Punkt prallen Wunsch und Wirklichkeit aufeinander. Die absolut notwendige Beschleunigung von Vorhaben führt doch dazu, dass nicht mehr auf jede kleine Befindlichkeit Rücksicht genommen werden kann.
Hier braucht es eine klare politische Vision eines regenerativen Energiesystems, das für uns als Gesellschaft erstrebenswert ist. Die Stadt-Land-Konflikte müssen angesprochen und nicht unter dem Schlagwort Bürgerenergie abgeheftet werden.
Warum sollen Land- und Forstwirte denn Land zur Energieerzeugung bereitstellen? Nur damit die Hipster in den Städten mit dem Elektro-SUV und mit gutem Gewissen in die Berge fahren können? Nein, sie sollten es aus Eigeninteresse tun, denn es ist ja ihr Grund und Boden, ihr Wald, der unter Starkwetterereignissen und Schädlingen leidet.
Ich bin gespannt, ob es den Koalitionären in Zeiten wie diesen gelingt den Menschen klarzumachen, dass wir alle in einem Boot sitzen. Ich wünsche es mir.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Ich wurde davon überrascht, dass die Grünen zugunsten der FDP auf das Verkehrsministerium verzichtet haben. Ich lasse mich gerne von der FDP eines Besseren belehren, aber es ist zu befürchten, dass das Automobil in der nächsten Legislaturperiode weiter im Zentrum aller Überlegungen stehen wird. Für die dringend notwendige Verkehrswende sind das keine guten Nachrichten.
Auf Autobahnen wird es kein Tempolimit geben, obwohl das nicht nur aus Klimaschutzgründen absolut sinnvoll wäre. Ich habe das Wort "Verkehrswende" im Koalitionsvertrag nicht ein einziges Mal gefunden. Doch es braucht ein Umdenken im Kopf. Bis 2030 sollen 15 Millionen Elektroautos bei uns auf den Straßen rollen. Da bleibt immerhin wenig Luft für Benziner und Diesel, aber auch wenig Platz für alternative Mobilitätsformen.
Fragen: Jörg Staude