Jens Mühlhaus. (Foto: Dominik Parzinger)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Jens Mühlhaus, Vorstand beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Green City AG.

Klimareporter°: Herr Mühlhaus, im ersten Halbjahr 2020 produzierten erneuerbare Energien rund 55 Prozent des Stroms in Deutschland. Gute Nachrichten, oder?

Jens Mühlhaus: Es ist mal wieder der mediale Klassiker! Die Assoziation mit Nachrichten wie diesen ist so vorhersehbar wie traurig.

Man liest, was man lesen will. Mehr als die Hälfte unserer Stromversorgung stammt aus den Erneuerbaren und – das beinhaltet die Meldung auch – die Versorgung der Kohleverstromung ist auf einem absteigenden Ast. Und welche, völlig menschliche Reaktion folgt, wenn man eine solche Headline liest? Entspannung, durchatmen, sich anderen Dingen widmen. Die Energiewende läuft schon. Wir sind auf einem guten Weg ...

Doch man könnte dieser Nachricht auch einen völlig anderen Tenor geben. Wir hatten zwar einen Rekordanteil an Grünstrom im ersten Halbjahr. Doch ein Blick in die Branche sollte nervös machen: Der Ausbau der Erneuerbaren ist extrem eingebrochen.

In der ersten Jahreshälfte sind nur Windanlagen mit einer Gesamtnennleistung von 513 Megawatt neu ans Netz gegangen und 878 Megawatt neu genehmigt worden. Das sind Zahlen, die einen wirklich beunruhigen.

Und dafür braucht es ein Bewusstsein in der breiten Bevölkerung: Nein, die Energiewende ist kein Selbstläufer. Nein, wir sind noch nicht am Ziel.

Nur wenn der Zubau Erneuerbarer-Energien-Anlagen einen sicheren politischen Rahmen hat und somit konsequent weiter vorangetrieben wird, erst dann ist es Zeit durchzuatmen. Und erst dann ist es auch Zeit für positive Headlines.

Deutschland hat den Kohleausstieg beschlossen – aber erst 2038 muss das letzte Kraftwerk vom Netz. Wie bewerten Sie das Kohleausstiegsgesetz?

Nur wer es ganz besonders gut mit dieser Bundesregierung meint, sieht hier einen historischen Meilenstein, dadurch dass der Kohleausstieg nun gesetzlich verankert ist. Aus meiner Sicht, und so empfindet es wohl jeder Klimaaktivist, ist dieses "Kohleabsicherungsgesetz" – wie Kritiker es schon liebevoll nennen – ein politischer Faustschlag mitten in die Magenkuhle.

Experten sind sich einig: Deutsche Braunkohle wird bereits im Jahr 2025 schon nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Warum dann noch zwölf weitere Jahre warten?

Und zusätzlich noch mehr als vier Milliarden Euro für die Stilllegung den Konzernen in den Rachen werfen? Plus: ein reduzierter Energiesteuersatz, keine Zahlungen für das Recht, Braunkohle aus dem Boden zu holen, und eine Befreiung von der Wasserabgabe?

Wer schafft es, diesen Sachverhalt unseren Kindern schlüssig zu verkaufen? Ich sicher nicht.

Irgendwie scheinen sie wie wegradiert, die Bilder der Abertausenden Demonstranten deutschlandweit, bevor Corona unser Leben auf den Kopf stellte.

Wie schaffen es Altmaier und Co, dieser jungen Generation noch gegenüberzutreten? Es wird mit ihrer Zukunft gespielt. Und jeder weitere faule Kompromiss geht zu ihren Lasten. Nicht zu meinen und auch nicht zu denen von Herrn Altmaier. Es geht um die Zukunft unserer Kinder. Und die wird immer düsterer.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Überrascht hat mich diese Woche der Vorschlag der Dena, die EEG-Umlage ab 2021 auf null zu senken und dafür die Stromsteuer zu verdoppeln. Ich verstehe den Wunsch, an dieser Stelle die Endverbraucher zu entlasten und den bürokratischen Aufwand zu reduzieren. Auch würde damit die EEG-Umlage auf den Eigenverbrauch komplett entfallen, die den Ausbau der Erneuerbaren massiv behindert.

Und doch beschleicht mich ein mulmiges Gefühl. Ist es richtig, die Zukunft der erneuerbaren Energien in die Hände des Finanzministeriums zu legen?

Es könnte dann nicht das erste Mal sein, dass Klimaschutzmaßnahmen gekippt werden, um den Haushalt nicht zu belasten. Die Folgen wären verheerend.

Fragen: Susanne Schwarz

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