Matthias Willenbacher. (Bild: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Gründer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, der Plan von Union und SPD, die Strompreise für alle zu senken, ist kaum umsetzbar. Die Absenkung von Netzentgelten und Stromsteuer sei enorm teuer und ineffizient – und werde konterkariert durch das Ziel, 20.000 Megawatt Gaskraftwerke zu bauen, warnt unsere Kolumnistin, die Energieökonomin Claudia Kemfert. Können Sie den Plänen der kommenden Koalition bei Energie und Klima auch gute Seiten abgewinnen?

Matthias Willenbacher: Nehme ich aus den Koalitionsverhandlungen das bis jetzt Bekannte zur Grundlage, tritt die Energiewende nach guten Jahren in eine Phase der Unsicherheit ein. Was Claudia Kemfert zu den Strompreissenkungs-Plänen sagt, trifft den Nagel auf den Kopf.

Die Idee ist nicht nur energieökonomisch Unsinn, sondern auch politisch, weil das mühsam mit der EU-Kommission verhandelte Paket – zum Beispiel zum Kraftwerkssicherheitsgesetz – wieder aufgeschnürt werden müsste. Klimapolitisch ist bei der neuen Koalition von grünem Gas nicht mehr die Rede und geopolitisch würden neue Abhängigkeiten von den USA geschaffen. Das ist insgesamt zum Haareraufen.

Licht sehe ich in folgenden Punkten: Erstens scheint den Verhandelnden die Dringlichkeit bei der Umsetzung der neuen europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED III zur Genehmigungsbeschleunigung bewusst zu sein. Das ist gut, denn andernfalls droht der Faden bei vielen geplanten Windkraftprojekten zu reißen, weil Ende Juni die Vorschriften der EU-Notfallverordnung auslaufen.

Zweitens bekennen sich SPD und Union an prominenter Stelle zur Bürgerenergie und wollen den Mieterstrom stärken und endlich das Energy Sharing einführen. Damit ist die Bürgerenergie endgültig in der politischen Mitte angekommen, und das ist gut so.

Drittens bekennen sich die Koalitionäre zur strategischen Bedeutung einer starken Erneuerbaren-Industrie – das ist nicht nur angesichts der wachsenden Konkurrenz aus China auf dem Windturbinenmarkt gut. Positiv ist viertens, dass die Energie-Direktversorgung von Unternehmen aus Wind- und Solarparks erleichtert werden soll.

Wir sollten nun gemeinsam darauf hinarbeiten, dass diese Lichtblicke nicht durch einen voreiligen Umbau der Förderung der erneuerbaren Energien überschattet werden.

Die Förderung ist nämlich gleich von zwei Seiten bedroht: zum einen durch eine überhastete Umstellung auf investitionskosten-basierte Förderinstrumente – Stichwort Financial CfDs – und zum anderen durch fehlenden Netzausbau. Nach dem Motto: Wenn es kein Netz gibt, müssen die Erneuerbaren eben warten. Beides droht besonders vonseiten der Union.

Claudia Kemferts Resümee sagt eigentlich alles: Die beste Energiepreisbremse ist ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien.

Von den 500 Milliarden Euro Sondervermögen soll nach dem Willen von CDU, CSU und SPD der größte Teil in die Sanierung von Brücken, Straßen und Schienen fließen. Steht zu befürchten, dass die meisten Milliarden einfach im "Betongold" verschwinden und keine nachhaltige Wirkung entfachen?

Das würde ich differenziert betrachten. Die Sanierung oder den Ausbau von Brücken und Schienen halte ich in den meisten Fällen für sinnvoll und dem Klimaschutz langfristig dienlich. Auch der Transport von Windanlagen und deren Teilen profitiert von sanierten und wieder voll belastbaren Brücken.

Was einsturzgefährdete Brücken für den Individualverkehr und den ÖPNV bedeuten können, zeigt die Situation in Berlin. Und ein gut ausgebautes Schienennetz in der Fläche stärkt den ÖPNV und den Schienengüterverkehr.

Schwierig und überflüssig finde ich den Aus- und Neubau von Autobahnen, weil er nur zu mehr Verkehr und Landschaftszerschneidung führt und dringend benötigte Fachkräfte an den falschen Baustellen bindet.

Zudem kann der Bund das Geld nicht nach eigenem Gutdünken ausgeben. 100 Milliarden Euro sind für den Klima- und Transformationsfonds reserviert und weitere 100 Milliarden für die Länder, die das Geld hoffentlich eins zu eins an die Kommunen weitergeben. Ich gehe davon aus, dass mit diesen Geldern sehr viele Schulen und Kitas saniert oder neu gebaut werden.

Und auch die restlichen 300 Milliarden können nur genutzt werden, wenn aus dem regulären Haushalt mindestens zehn Prozent – ohne Sondervermögen – für Investitionen verwendet werden.

Natürlich besteht die Gefahr, dass jetzt vollkommen überholte Projekte im Verkehrswegeplan wieder aus der Mottenkiste geholt werden. Ich hoffe aber, dass die Zivilgesellschaft den Verkehrsminister:innen auf die Finger schaut und dass die Erkenntnis, mehr Straßen führen nur zu mehr Verkehr, inzwischen auch in den zuständigen Ministerien angekommen ist.

Die Windenergiebranche kann ihr Ausbautempo weiter erhöhen, zeigen jüngste Branchenzahlen. Die steigende Zahl neuer Genehmigungen verschärft aber auch den Wettbewerb untereinander. Zudem streitet die künftige Koalition noch über das bundesweite Zwei-Prozent-Flächenziel. Werden Windparks künftig zwar weiter gebaut, aber weniger rentabel?

Kaum ist die Windkraftbranche nach den schwierigen Groko-Jahren wieder auf beiden Beinen, steht sie vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen. Die Tatsache, dass die Projektpipeline fürs Erste gut gefüllt ist, senkt ganz automatisch die Zuschlagspreise bei den Windkraft-Ausschreibungen der Bundesnetzagentur.

Das dürfte zunächst für alle verkraftbar sein, auch wenn es bei gleichbleibenden Kosten nicht unbegrenzt nach unten gehen kann. Energiepolitisch wäre es sicher ratsam, die Sorgen der Branche um auskömmliche Vergütungen nicht als bloßes Lobbygejammer abzutun. Ein konstanter und kräftiger Windkraftausbau muss sein, damit die Energiewende gelingen kann und die Energiepreise sinken.

Auf den Genehmigungsboom könnte bald wieder eine Flaute folgen. Die Regelungen zur Genehmigungsbeschleunigung aus der Notfallverordnung sind wie gesagt nur noch wenige Monate in Kraft. Wenn die neue Bundesregierung hier nicht liefert und endlich die RED-III-Richtlinie dauerhaft in bundesdeutsches Recht umsetzt, ginge ein Großteil der Projekte in der Pipeline verloren.

Fatal wäre es auch, die laufende Ausweisung der Windkraftflächen in den Bundesländern wieder zu stoppen und durch ein ominöses Ökostrom-Ziel zu ersetzen, wie es die Union will. Nicht nur die Branche, sondern alle Beteiligten – auch die Länder und deren Genehmigungsbehörden – brauchen Kontinuität und Planungssicherheit. Fahrlässige Kurswechsel gefährden dies und sind letztlich ohnehin nur als Ausbau-Bremsen gedacht.

Neben der schwierigen Situation bei den Genehmigungen bereitet mir der Netzausbau große Sorgen. Erstens versuchen einige in der Union, den schleppenden Ausbau der Übertragungsnetze zum Bremsklotz für die Erneuerbaren‑Förderung zu machen. Dabei ist unstrittig, dass es Alternativen zur Verwendung des Stroms vor Ort gibt, Stichworte Speicher, Sektorenkopplung und Flexibilität.

Zweitens wird immer deutlicher, dass der schleppende Ausbau des Verteilnetzes den Anschluss neuer Windparks verzögert. Auch hier gibt es sinnvolle Lösungen. Der erste Schritt wäre, dass die Politik ein entsprechendes Problembewusstsein entwickelt. Davon sind wir leider noch meilenweit entfernt.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Ich fand es in den letzten Wochen überraschend, mit welcher Vehemenz unterschiedlichste Verbände forderten, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu verlangsamen. Sie bezogen sich dabei jeweils auf eine eigene Studie.

Das Hauptargument war bei allen, dass der Stromverbrauch in den letzten Jahren nicht so stark gestiegen sei wie bisher von der Bundesregierung angenommen. Diese konzertierte Aktion fand natürlich parallel zu den laufenden Koalitionsverhandlungen statt. Und sie stieß bei der Union scheinbar auf offene Ohren.

Nun ist es wenig überraschend, dass der Stromverbrauch geringer ausfällt als erwartet. Wir befinden uns im dritten Jahr einer Wirtschaftsflaute. Außerdem wurden mit der irrlichternden Diskussion über das Heizungsgesetz die Hausbesitzer verunsichert und der Wärmepumpenabsatz in den Keller getrieben. Durch eine inkonsistente Förderpolitik wurde zusätzlich der E‑Automarkt heruntergefahren.

Die Union ist mit dem Anspruch im Wahlkampf angetreten, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und die Klimaziele einzuhalten. Wenn sie das weiterhin ernst meint und in Politik umsetzt, wird der Stromverbrauch in den nächsten Jahren automatisch wieder ansteigen.

Die zunehmende Elektrifizierung von Bereichen, die bisher mit fossilen Brennstoffen versorgt wurden, wird diesen Trend deutlich beschleunigen.

Einige Vorschläge aus den verschiedenen Studien und Papieren sind es sicherlich wert, genauer betrachtet zu werden: etwa ein stärkerer Bürokratieabbau bei Genehmigungen für Großbatterien oder einfachere Möglichkeiten, flexible Verbraucher im Strommarkt zu integrieren.

 

Erneuerbare Energien langsamer auszubauen, ist aber mit Sicherheit kein Vorschlag, der umgesetzt werden sollte. Aus meiner Sicht wäre es nicht schlimm, wenn die Erneuerbaren 2030 sogar einen Anteil von 85 oder 90 Prozent am Stromverbrauch erreichen statt der im Gesetz angestrebten 80 Prozent. Es wäre nicht das erste Mal in der 25-jährigen Geschichte des EEG, dass der Ausbau schneller voranschreitet als erwartet.

Vielmehr wäre es in der aktuellen sicherheitspolitischen Weltlage hochgradig riskant, langsamer auszubauen, nur weil die Netzbetreiber organisatorisch und finanziell stark gefordert sind und andere Unternehmen ihre Geschäftsmodelle gefährdet sehen.

Erneuerbare Energien sind die Grundlage für eine größere nationale und europäische Energieunabhängigkeit und damit auch für unsere Sicherheit.

Fragen: Jörg Staude