Immer wieder sonntags: Unsere Herausgeber erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Gero Lücking, Geschäftsführer für Energiewirtschaft beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Lichtblick.
Klimareporter°: Herr Lücking, vor 20 Jahren trat das Gesetz in Kraft, das den Strom- und Gasmarkt öffnete und Ökostromanbieter wie Lichtblick erst möglich machte. Das Versprechen, dass Strom durch die Öffnung billiger wird, hat sich aber nicht erfüllt. Ist die Reform trotzdem gelungen?
Gero Lücking: Die Liberalisierung ist nach einer sehr holprigen Startphase eine Erfolgsgeschichte. Die Verbraucher können inzwischen aus einer großen Vielfalt an Angeboten auswählen. Der Wettbewerb sorgt ständig für attraktive Angebote und damit für angemessene Preise. Jeder Anbieter muss ständig damit rechnen, dass ihm die Kunden weglaufen, falls sein Angebot nicht mehr marktgerecht ist. Die Kunden haben damit Macht.
Dass sich durch staatliche Abgaben und Steuern, die sich innerhalb dieser 20 Jahre deutlich erhöht haben oder sogar neu eingeführt wurden, das Preisniveau insgesamt nach oben entwickelt hat, ist eine andere Frage. Diese externen Effekte können nicht der Liberalisierung zugerechnet werden.
Zudem können die Kunden durch die Liberalisierung jetzt erstmals und in zunehmendem Maße über ihre Nachfrage nach ökologischem Strom auch das Angebot der Erzeugung bestimmen. Die Nachfrage beginnt das Angebot zu bestimmen. Marktmechanismen, die in anderen Märkten üblich sind, fangen langsam auch im Strommarkt an zu greifen. Spielen die Kunden ihre durch die Liberalisierung neu gewonnene Marktmacht konsequent aus, werden die Stromkonzerne bald auf ihrem dreckigen Braunkohlestrom sitzenbleiben.
Und nun kommt durch die Pläne von Eon und RWE eine neue Gefahr auf den liberalisierten Markt zu. RWE wird in der Erzeugung zu einer deutschen EDF. Und Eon beherrscht die Netze und die Endkundenversorgung. Diese Markt- und Machtkonzentration wird der Liberalisierung und dem Wettbewerb schaden. Das wird zu steigenden Preisen führen – zum Schaden der Verbraucher und der deutschen Volkswirtschaft. Die Kunden können gegen diese drohende Übermacht ein Gegengewicht setzen und mit ihrem Stromwechsel den Megakonzernen der Zukunft die Rote Karte zeigen.
Die versprochenen Sonderausschreibungen für Wind- und Solarstrom aus dem Koalitionsvertrag stehen auf der Kippe. In einem Änderungsentwurf für das EEG, der noch vor der Sommerpause Gesetz werden soll, sind sie jedenfalls nicht mehr drin. Ist so das Ausbauziel von 65 Prozent Ökostrom bis 2030 noch zu schaffen?
In den letzten Tagen gab es turbulente Verhandlungen zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium auf der einen und den Regierungsfraktionen auf der anderen Seite. Es läuft offenbar auf nicht weniger als drei EEG-Novellen in diesem Jahr hinaus!
In der ersten Novelle geht es um die Frage der Behandlung von Bürgerenergiegenossenschaften. In der zweiten Novelle wird es neben ein paar kleineren Änderungen im EEG auch um das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz gehen, zu dem das Bundeswirtschaftsministerium gerade noch intensive Verhandlungen mit der EU führt.
Und die dritte Novelle soll dann offenbar die im Koalitionsvertrag vereinbarten Sonderausschreibungen für 2019 und 2020 in Höhe von 4.000 Megawatt beinhalten. Hoffen wir, dass es so kommt ... Bisher gibt es ja noch nicht einmal einen Staatssekretär, der sich im Wirtschaftsministerium um das Thema Energie kümmern soll.
Die Klima-Vorkonferenz in Bonn hat begonnen. Auf der Tagesordnung steht diesmal, die "Gebrauchsanleitung" für das Paris-Abkommen vorzubereiten, die im Dezember beim Klimagipfel in Katowice verabschiedet werden soll. Kann es unter der Präsidentschaft des Kohlelands Polen ein positives Signal für den Klimaschutz geben?
Selbstverständlich haben die Verhandlungsleiter eine führende und sehr bestimmende Position bei Megaverhandlungen wie diesen inne. Sie können über Erfolg und Misserfolg solcher Konferenzen mitbestimmen. Aber wird sich die Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft vom Gastgeber in die Irre oder sogar an der Nase herumführen lassen? Ich denke, das wird schwer.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Wir haben uns gewundert, warum vor vier Wochen VW-Chef Müller ausgewechselt wurde. Zwei Wochen nach seiner Ablösung folgte die Großrazzia bei Porsche, wo Müller jahrelang Vorstandsvorsitzender war. In Wolfsburg ahnte man offenbar den bevorstehenden Schritt der Staatsanwälte und hat ihn wohl vorher aus der Schusslinie nehmen wollen.
In der Folge der Razzia wurde der bei Porsche führende Motorenchef wegen Verdunklungs- und Fluchtgefahr in Untersuchungshaft genommen. Er ist ein enger Vertrauter des Porsche-Entwicklungsvorstands, der schon seit einigen Monaten hinter Gittern sitzt und vorher acht Jahre Motorenchef bei Audi war. Und jetzt kommt passend zur VW-Hauptversammlung die Meldung, dass in den USA gegen den Ex-VW-Chef und Müller-Vorgänger Martin Winterkorn Anklage erhoben wird.
Die Ermittlungen haben das Top-Management erreicht. Das Lügengebäude, dass nur einige wenige Einzeltäter aus dem mittleren Management ohne Wissen der obersten Führungsetage für den Diesel-Skandal verantwortlich seien, stürzt nach und nach in sich zusammen. Die Schlinge zieht sich weiter zu.
Fragen: Friederike Meier