Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Jens Mühlhaus, Vorstand beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Green City AG.
Klimareporter°: Herr Mühlhaus, Deutschland war im ersten Halbjahr 2020 nicht mehr EU-Kohlemeister, aber um die Energiewende steht es trotzdem nicht gut. Photovoltaik-Betreiber, die ab Ende 2020 keine EEG-Förderung mehr bekommen, schauen in die Röhre: Unternehmerische Angebote zum Weiterbetrieb sind rar und die Appelle der Verbände an die Politik verhallen weitgehend ungehört. Warum eigentlich?
Jens Mühlhaus: Ein Phänomen, das uns im Bereich der erneuerbaren Energien immer wieder begegnet: Wir haben in der Branche zukunftsorientierte Verbände und Unternehmen, die permanent Lösungskonzepte aufs Tableau bringen. Und trotzdem mangelt es an einem offenen Ohr und dem politischen Willen, diese auch anzunehmen.
In diesem Fall sind die Leidtragenden nicht, wie sonst eigentlich immer, die Unternehmen, sondern die Bürger. Wir können doch nicht die Betreiber solcher Anlagen – größtenteils Energiewende-Aktivisten der ersten Stunde – in diese verquere Situation bringen: dass sie ab dem 1. Januar 2021 ihre Anlagen aufwändig umrüsten, den Strom illegal einspeisen oder gar ihre Anlage abschalten müssen. Das Förderende ist seit Jahren bekannt und eine Regelung ist noch nicht in Sicht.
In Zeiten einer rasant fortschreitenden Klimakrise können wir es uns absolut nicht leisten, auf Solarstrom aus intakten und leistungsfähigen Anlagen zu verzichten.
Deswegen bleibt uns Unternehmen und Verbänden der Branche nichts anderes übrig, als mal wieder selbst zur Tat zu schreiten. Der Solarenergie Förderverein hat aus dem Grund eine Petition gestartet, um in Berlin endlich Klarheit für die Betreiber einzufordern.
Und wir bieten bei Green City den Anlagenbetreibern zusätzlich mit einem speziellen Stromtarif Sicherheit. An Vorschlägen und Angeboten von Unternehmerseite mangelt es also keinesfalls. Allein die Kopf-in-den-Sand-Taktik der Politik hindert mal wieder.
Eins der Akzeptanzprobleme, mit denen sich die Windkraft auseinandersetzen muss, ist die Gefährdung von Greifvögeln wie Milanen und Adlern. Derzeit werden technische Lösungen erprobt, die die Windanlagen herunterfahren, wenn sich eine gefährdete Art nähert. Können derartige Lösungen die Windkraft wieder voranbringen?
Unsere Hoffnung ist groß, dass wir hier eine technische Lösung für die vielen Projekte in den Händen halten, die momentan wegen einem Rotmilan-Horst in der Schublade schlummern.
Ein Blick in die Praxis zeigt aber auch, dass der Einsatz nicht so einfach ist. Wir planen gerade an einem Standort ein solches System mit ein. Dafür sind wir in engem Kontakt sowohl mit dem Hersteller eines Kamerasystems als auch mit der zuständigen Naturschutzbehörde.
Doch der Rattenschwanz zeichnet sich gerade ab: Sowohl bei den radar- als auch bei den kameragestützten Systemen fallen enorme Datenmengen an, die übertragen und verarbeitet werden müssen. Eine neue Herausforderung!
Wenn sich diese Systeme durchsetzen, müsste das dann künftig zusätzlich zu den bereits bestehenden Maßnahmen im Bereich Umwelt- und Naturschutz in die Planungen einfließen. Einfacher wird es für Projektierer wie uns dadurch sicherlich nicht.
Der Schutz der großen Greifvögel muss hohe Priorität haben, und da helfen diese technischen Systeme sicherlich dem einzelnen Vogel. Eigentlich bin ich sogar davon überzeugt, dass sich diese Systeme in Kürze flächendeckend durchsetzen werden und von den Behörden für eine Genehmigung von Windanlagen als Standard gefordert werden könnten. Das wäre ein echter Durchbruch für den Vogelschutz. Und es kann den Ausbau der Windkraft enorm vorantreiben.
Aber die eigentliche Debatte wird bisher nicht ernsthaft geführt, auch nicht von den Naturschutzverbänden: Der Klimawandel schreitet viel zu schnell voran. Aber der Ausbau der Windkraft stockt. Und die Windkraft ist der entscheidende Schlüssel für einen zügigen Umbau der Energieversorgung.
Wir müssen von den fossilen Energieträgern weg, und das in wenigen Jahren. Also müssen jetzt schnell viele Windanlagen her. Und hier geht es dann in der ausstehenden Debatte um den Artenschutz im Ganzen. Das Artensterben wird durch die steigenden Temperaturen massiv zunehmen, da werden dann auch die Greifvögel betroffen sein. Und zwar nicht nur einzelne Vögel, sondern alle.
Wenn weiterhin der Ausbau der Windkraft wegen dem Schutz einzelner Vögel so großflächig scheitert wie jetzt, dann brauchen wir uns in zehn bis 20 Jahren nicht zu wundern, wenn es dann in unseren Landstrichen weder diesen einzelnen Vogel noch seine Artgenossen gibt und auch nicht die Maus, die sie eigentlich jagen sollten. Wegen Trockenheit.
Ich fordere die Naturschutzverbände dringend auf, sich dieser Debatte endlich zu stellen. Und vielleicht, so meine Hoffnung, helfen dieses Mal tatsächlich technische Systeme zum Schutz einzelner Vögel, die auf die Anlagen zusegeln. Denn nur mit mehr Windanlagen kann man letztlich mehr Vögel schützen.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Während ich diese Zeilen schreibe, kommt die Nachricht von Fridays for Future mit dem Aufruf zum nächsten globalen Klimastreik am 25. September. Da stockt mir der Atem.
Die Schüler:innen und Studierenden haben wohl das nervenaufreibendste Schuljahr oder Semester hinter sich, das man sich nur vorstellen kann. Und medial mussten sie sich in den letzten Monaten dem Thema Corona geschlagen geben.
Der Klimawandel ist in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund gerückt. Aber die jungen Leute geben einfach nicht auf. Woher nehmen sie nur die Kraft? Wie groß muss die Sorge und Verzweiflung sein?
Allein beim Gedanken daran bekomme ich Gänsehaut. Sie lassen einfach nicht locker. Ganz im Gegenteil. Wie aus dem Nichts stampfen sie coronakonforme Ideen aus dem Boden.
Lassen wir sie jetzt nicht allein und leisten unseren Beitrag dazu, dass ihre Worte nicht verpuffen. Sie haben es verdient! Und viele nachfolgende Generationen werden es ihnen danken.
Fragen: Susanne Schwarz