Ein riesiges Kraftwerk mit zwei dampfenden Kühltürmen vor wolkenverhangenem Himmel.
Braunkohlekraftwerke wie das in Weisweiler bei Aachen heizen die Atmosphäre auf. Dagegen hilft keine neue Studie, sondern ein klares "Stopp". (Foto: Max Schiff/​Wikimedia Commons)

Einen Tag, bevor diesen Donnerstag die Kohlekommission wieder tagt, stellen die Umweltstiftung WWF und der Ökostromer Lichtblick einen "Kohlereport" vor. Der Report analysiere erstmals umfassend die Rolle der Kohle im deutschen Energiesystem – vom Strukturwandel über den Klimaschutz bis zur Versorgungssicherheit, wird dieser angekündigt.

Nun, dass eine Studie zum Thema Kohleausstieg zum ersten Mal etwas analysiert, davon kann man sich nur noch schweren Herzens überzeugen lassen. Seit Anfang 2017 sind mindestens zehn Studien erschienen, die sich mit dem hiesigen Kohle-Ausstieg befassen – und da sind nur mal die gemeint, die von klimaschutzbewegten Umweltverbänden, Öko-Unternehmen, Stiftungen oder Einrichtungen in Auftrag gegeben wurden. Nicht mitgezählt ist die Legion an Studien, die renommierte Institute – wie zuletzt das DIW – selbst vorlegten oder die von Kohlelobbyisten in Verbänden und Regierungen bestellt wurden.

Was diejenigen Ausstiegs-Szenarien betrifft, die die deutschen Klimaziele noch irgendwie ernst nehmen, so ähneln sich diese inzwischen wie ein Ei dem anderen. In Varianten laufen die dort ausgebreiteten Entscheidungsräume auf wenige Punkte hinaus:

  • Will man die Klimaziele für 2020 und auch 2030 schaffen, muss die Kohlestrombranche zusätzlich CO2 sparen, weil die anderen Branchen bisher versagen oder nicht so schnell so massiv reduzieren können.
  • Der deutsche Kohlekraftwerkspark ist teilweise so in die Jahre gekommen, dass das rasche Abschalten der ältesten Anlagen Deutschland de facto wieder zum Klima-Vorreiter machen würde.
  • Weil die Mehrheit der älteren Meiler im Westen steht und es im Osten nur wenig und zudem keinen alten Steinkohlestrom gibt, ginge das Abschalten nach Alter zulasten des Westens.
  • Wer dagegen massiv an die Braunkohle als den größten Klima-Killer heranwill, trifft den Osten stärker.
  • Irgendwie muss also zwischen Altkraftwerken und CO2-Reduktion ein regionaler Kompromiss her – das ist das Feld, auf dem sich die Politik vermutlich die härtesten Schlachten liefern wird, derzeit noch hinter den Kulissen der Kohlekommission.

Studien zum Kohle-Ausstieg

16.8.2018 Greenpeace (beauftragt: Fraunhofer-Institut IEE)
Deutschland kann Klimaziel 2020 erreichen

17.7.2018 WWF (Öko-Institut)
CO2-Mindestpreise für das Auslaufen der Kohleverstromung

24.6.2018 Greenpeace Energy (Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft)
Braunkohle-Ausstieg spart jährlich fast 28 Milliarden Euro

28.5.2018 Greenpeace (Uni St. Gallen)
Ja zum Kohleausstieg – Umfrage zur sozialen Akzeptanz eines Kohleausstiegs in Deutschland und in den Kohlerevieren

4.5.2018 Bund für Umwelt und Naturschutz
BUND-Abschaltplan für AKW und Kohlekraftwerke

17.1.2018 WWF (Öko-Institut und Prognos)
Zukunft Stromsystem – Kohleausstieg 2035

15.11.2017 Greenpeace (Energy Brainpool)
Bewertung zum Kohleausstiegspfad

10.11.2017 Agora Energiewende
Kohleausstieg, Stromimporte und -exporte sowie Versorgungssicherheit

 23.10.2017 Agora Energiewende
Ein Kohleausstieg nach dem Vorbild des Atomausstiegs?

 2.10.2017 Sachverständigenrat für Umweltfragen
Stellungnahme: Kohleausstieg jetzt einleiten

 20.6.2017 Greenpeace (Energy Brainpool)
Klimaschutz durch Kohleausstieg

 24.4.2017 Nabu (Wuppertal-Institut)
Kohleausstieg – Analyse von aktuellen Diskussionsvorschlägen und Studien

 Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Ausgewogenheit

Das energiepolitische Tableau aber wurde schon im Januar 2018 in der Studie des Öko-Instituts und von Prognos allergründlichst ausgebreitet – de facto ist sie die Mutter aller Studien über den deutschen Kohle-Ausstieg. Viele der anderen Papiere fügen, ohne den jeweiligen Autoren zu nahe treten zu wollen, oft nur den einen oder anderen Aspekt hinzu.

Das ist letztlich auch kein Wunder: Die Grunddaten der deutschen Kohlewirtschaft sind bekannt, weitere Kraftwerke wird man auch bei genauester Recherche nicht mehr entdecken – es gibt wohl keinen anderen deutschen Industriezweig, der so genau durchleuchtet wurde.

Auch die Ausstiegs-Instrumente zeichnen sich inzwischen ab: keine exorbitante CO2-Steuer und kein knappes CO2-Budget, sondern ein ordnungsrechtlicher Abschaltplan, garniert mit zu vermutenden Milliarden-Hilfen.

Dennoch erscheinen – nunmehr fast im Wochentakt – immer neue Kohleausstiegs-Studien, bei denen man sich dann mitunter auch fragt, ob das Interesse der auftraggebenden Organisation an öffentlicher Aufmerksamkeit nicht größer ist als die neue Substanz der jeweiligen Untersuchung.

Wenn das Studien-Trommelfeuer einen guten Zweck hatte, dann den, dass die Kohlelobby einige ihrer Mythen, mit denen sie noch die Klima-Abgabe zu Fall brachte, nicht mehr so ohne Weiteres in die öffentliche Debatte streuen kann: Über drohende "Blackouts", unbezahlbare Strompreise oder "Strukturbrüche" trauen sich heute nur noch Politiker zu reden, die heimlich die AfD-Tiraden gegen die Energiewende lesen und auf deren populistischer Welle mitreiten wollen.

Keine Frage – der Kohle-Ausstieg ist inzwischen mehr als genügend interpretiert worden. Es käme nun drauf an, mal wirklich abzuschalten.

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