Das Braunkohlekraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen
Im RWE-Kraftwerk Neurath haben die ältesten Braunkohleblöcke schon deutlich mehr als 40 Jahre auf dem Generator. (Foto: Tetris L/​Wikimedia Commons)

Den ersten Machtkampf hat die neue Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) schon verloren, bevor er richtig begann. Es ging um die neu geschaffene Kohlekommission, die mehr oder weniger darüber entscheiden soll, ob Deutschland wenigstens 2030 seine Klimapflichten einhält. Als fürs Klima zuständiges Ressort müsse ihr Haus deshalb auf Augenhöhe mit dem Wirtschaftsministerium für die Kommission Verantwortung tragen, forderte Schulze mit dem Beistand der SPD-Fraktion im Bundestag.

Das Haus Altmaier wies das Ansinnen recht barsch zurück und nach der Kabinetts-Klausur in Meseberg verkündete Kanzlerin Merkel, dass sich gleich vier Ministerien – neben Wirtschaft und Umwelt auch noch Arbeit und Inneres – um die Kommission kümmern sollen. Die Geschäftsstelle wird beim Wirtschaftsministerium eingerichtet.

Man fragt sich natürlich, was das Seehofersche Innen-und-Heimat-Superressort da zu suchen hat. Hinter den Kulissen wird geunkt, dann könnten die Polizeieinsätze gegen Kohlegegner besser koordiniert werden. Oder will Seehofer gar die Lausitz, die Heimat der Sorben, vor weiterer Zerstörung durch die Braunkohle bewahren?

Wie dem auch sei – Altmaier hat zwar den Klimaschutzplan 2050 zum Maßstab für die Kommissionsarbeit erhoben, doch um eine wirksame CO2-Reduktion wird es nur am Rande gehen. So wurde die Forderung der Umweltverbände nach einem Kohle-Moratorium während der Kommissionsarbeit – also dem Verzicht auf Genehmigung neuer Tagebaue und Kraftwerke –, gleich ad acta gelegt.

Vor der Welt versprochen, im Land populär

Es half auch nichts, dass der Umweltverband BUND auf den Pariser Klimavertrag verwies, wegen dem Deutschland bis 2030 aus der Kohle aussteigen müsse. Der Verband warf auch eine Umfrage in die Waagschale, nach der sieben von zehn Bundesbürgern dafür sind, im großen Umfang alte Kohlekraftwerke stillzulegen, um das Klimaziel für 2020 noch zu erreichen.

Offiziell soll die Kohle-Kommission noch in diesem Jahr ein Enddatum und einen Ausstiegspfad für die Kohle aufschreiben. Zudem soll sie Pläne für den Strukturwandel in den betroffenen Regionen im Rheinland, in der Lausitz und Mitteldeutschland erarbeiten.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) stellte auf der internationalen Energiewende-Konferenz diese Woche in Berlin allerdings klar, mit ihm werde es bis 2030 keinen Kohleausstieg, sondern nur eine "Halbierung" der Kohleverstromung geben. Bis dato hat der Minister jedoch nicht mitgeteilt, auf welches Basisjahr er sich dabei bezieht.

Erst eine Woche später, in einer Befragung der Bundesregierung im Bundestag, nannte der Minister Zahlen: So würden Steinkohle und Braunkohle derzeit mit rund 38.000 Megawatt zur Stromerzeugung beitragen. Dieser Anteil würde dann auf etwa 20.000 Megawatt bis 2030 halbiert werden.

Halbierung wäre kein allzu großer Kraftakt

Über einen möglichen Halbierungs-Fahrplan nachzudenken ist schon jetzt möglich. Fingerzeige dafür liefert eine Kohleausstiegs-Studie, die das Öko-Institut vor mehr als einem Jahr im Auftrag des WWF vorgelegt hatte. Nimmt man zum Beispiel 2015 als Ausgangsjahr, waren laut der Studie zu der Zeit in Deutschland etwa 50.000 Megawatt Kohlekraftwerke am Netz, 29.000 davon mit Stein- und 21.000 mit Braunkohle befeuert.

Dieser Kraftwerkspark wurde aber nicht kontinuierlich aufgebaut, sondern gewissermaßen sprunghaft. So wurden die großen Braunkohle-Kraftwerke im rheinischen Revier vor allem in den 1970er Jahren und im Lausitzer Revier in den 80er Jahren in Betrieb genommen. Bei der Steinkohle gingen viele Anlagen in den 80ern bis Mitte der 90er Jahre ans Netz.

Rechnet man diese älteren, meist schon mehr als 25 oder 30 Jahre laufenden Kraftwerke zusammen, kommt man auf 8.000 Megawatt Braunkohle und 12.000 Megawatt Steinkohle. Diese 20.000 Megawatt abzuschalten würde schon einen Großteil der Altmaierschen Halbierung liefern.

Ungenügend, aber durchsetzbar

Bis 2020 passiert da ohnehin einiges. Zum einen gehen 2.700 Megawatt Braunkohle in die gut bezahlte Kohlereserve, euphemistisch "Sicherheitsbereitschaft" genannt. Zum anderen rechnet die Studie des Öko-Instituts bei der Steinkohle bis 2020 mit "marktgetriebenen Stilllegungen" von etwa 9.000 Megawatt – die Hälfte der zur Halbierung nötigen 25.000 Megawatt wäre so schon fast geschafft.

Der "Rest" legt sich, wenn man denn konsequent nach dem Alter geht, fast von selbst still. 2020 wird laut Studie rund die Hälfte der dann für den Weiterbetrieb vorgesehenen Kohlekraftwerke – Braun- und Steinkohle nahezu gleichermaßen – eine Betriebsdauer von 30 Jahren oder mehr auf dem Buckel haben.

Bei diesen Anlagen sind nach Ansicht der Forscher auch die rechtlichen Hürden für eine Stilllegung geringer. Man könne sich hier "zumindest prinzipiell" die Kombination einer gesetzlichen Außerbetriebnahme mit Kompensationszahlungen vorstellen – wie das bei der erwähnten Kohlereserve geschieht.

Das Aus für die älteren Kraftwerke bringt auch klimapolitisch mehr, weil sie ineffizienter sind und für dieselbe Menge Strom mehr CO2 ausstoßen. So spricht viel dafür, dass Altmaiers "Halbierungs"-Konzept vor allem auf eine Stilllegung aller älteren Kohle-Meiler bis 2030 hinausläuft.

Als Kehrseite bliebe, dass auch nach 2030 noch viele tausend (nach den Zahlen Altmaiers um die 18.000) Megawatt Kohle am Netz wären – und das auf lange Sicht. Für den Klimaschutz wäre das verheerend. Aber wie gesagt, im Machtkampf zieht dieser vorerst den Kürzeren.

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