Dass die üblichen Verdächtigen – Umweltverbände und Kohlegegner – von den Wirtschaftsministern der Braunkohleländer Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen scharf kritisiert werden, ist nichts Neues. Nun aber trifft es auch die ökologisch eher unbescholtene Bundesnetzagentur.
Diese hatte, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, Mitte Juni in ihrem Entwurf für einen bis 2030 reichenden Netzentwicklungsplan auch Szenarien veröffentlicht, wie sich die deutsche Kraftwerkslandschaft bis dahin entwickeln wird.
Eigentlich logisch: Wer die Stromnetze planen will, muss irgendwie wissen, wo welches Kraftwerk wie lange laufen wird. In den Augen der drei Kohle-Minister hat sich die Behörde allerdings erdreistet, Szenarien mit zu wenig Braunkohle zu entwerfen.
Denn die Netzagentur nimmt in den sechs Projektionen nicht nur die Verminderung der Braunkohleverstromung von derzeit 21.200 Megawatt auf 9.400 bis 9.000 Megawatt bis 2030 an – die Altmaiersche Halbierung also.
In einer Variante unter dem Stichwort "Szenario B 25" erlaubt sich die Behörde auch, von einem Abbau der Braunkohlekapazität auf 9.400 Megawatt im Jahr 2025 auszugehen. Für die Kohlelobby läuft das auf einen Kohleausstieg bis 2030 hinaus.
Das Einfügen des "neuen Kohleausstiegsszenarios zum Zieljahr 2025" und dessen "kurzfristige Veröffentlichung vor der Auftaktsitzung" der Strukturwandel-Kommission wirke "politisch intendiert", mutmaßen nun die drei Kohle-Minister in einem am Montag veröffentlichten Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).
Für Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart weist die Vorlage der Bundesnetzagentur in die "völlig falsche Richtung". Sein Bundesland brauche eine "gut funktionierende, zukunfts- und wettbewerbsfähige" Energieversorgung, so der FDP-Minister. Das sei mit einem "überstürzten Verzicht auf gesicherte Leistung aus konventioneller Energie" nicht zu vereinbaren.
Netzagentur soll auch CO2-Preis geplant haben
Aber das ist noch nicht alles. Laut Medienberichten hat die Bundesnetzagentur im Szenariorahmen die vier großen Netzbetreiber, für die der Netzentwicklungsplan maßgeblich ist, auch angewiesen, einen CO2-Preis zu berechnen. Und zwar einen, der nötig ist, um das Klimaziel der Bundesregierung für 2030 einzuhalten – falls dafür das Abschalten konventioneller Kraftwerke und der Zubau erneuerbarer Energien nicht ausreichen.
Gegen die Kritik verteidigt sich die Bundesnetzagnetur schon einige Zeit. Im Kern weist sie darauf hin, dass die Vorgaben für die heftig angegriffenen Szenarien sich am Koalitionsvertrag der Groko orientieren, etwa am geplanten Ökostrom-Anteil von 65 Prozent bis 2030 oder an den vereinbarten Sonderausschreibungen für Windkraft an Land und auf See sowie für Photovoltaik. Auch seien in der Netz- und Kraftwerksplanung die Sektorenkopplung, flexiblere Stromkonzepte und steigende Speicherkapazitäten zu berücksichtigen.
Offenbar nimmt die Bundesnetzagentur damit den Koalitionsvertrag ernster, als es den Länder-Wirtschaftsministern gefällt. Der Bundeswirtschaftsminister äußerte sich, soweit bekannt, bislang nicht zu dem seit Tagen schwelenden Konflikt um seine Netzbehörde. Am Montag war Altmaier beim "Lausitz-Dialog 2018" in Schwarze Pumpe zu Gast und twitterte von dort nur ganz im Sinne der Länderminister: Beim Strukturwandel müsse "die Frage der Arbeitsplätze zuerst geklärt werden und nicht erst ganz am Schluss".
Auf wen das zielt, wird Altmaiers Geheimnis bleiben. Denn dass die Zukunft der Arbeitsplätze ganz hintenanstehen soll, hat gar keiner gefordert. Abgesehen davon ist es für Heide Schinowsky, bündnisgrüne Landtagsabgeordnete in Brandenburg, auch "völlig inakzeptabel", dass der Lausitz-Dialog als geschlossene Veranstaltung stattfand. Die Bürger müssten sich beteiligen können, statt ausgeschlossen zu werden, verlangte sie.
Altmaier hatte bereits am Wochenende gegenüber regionalen Medien bekräftigt, dass er keinen vollständigen Kohleausstieg bis 2030 anstrebt. In dem Punkt liegt die Bundesnetzagentur größtenteils auf der Linie ihres Chefs.