Mitleid mit Lobbyisten muss man nicht haben. Manchmal aber werden sie ziemlich herb enttäuscht, vor allem dann, wenn sie ihr Ziel eigentlich schon erreicht sahen.

So muss sich jüngst die Windkraftbranche gefühlt haben. Seit dem Frühjahr streute sie Hinweise aus, dass baureife Wind-Projekte an Land aus den Jahren 2022 und 2021 an den mittlerweile um bis zu 50 Prozent gestiegenen Baukosten scheitern könnten.

Die Kostenexplosion vor allem infolge der Energiekrise sei mit den Einnahmen aus den Zuschlägen der Ausschreibungen der Bundesnetzagentur nicht zu bewältigen, klagten viele Projektierer.

Noch Mitte Mai ging der Branchenverband BWE auf Grundlage einer Umfrage davon aus, dass "nur" jedes fünfte Windprojekt, das 2022 einen Zuschlag bekommen hatte, auf der Kippe stehen würde, insgesamt schätzungsweise mehrere hundert Megawatt (Klimareporter° berichtete).

Inzwischen hat sich das Problem laut BWE vervielfacht. Bis zu 4.000 Megawatt sind gefährdet, warnt der Verband. Betroffen sind die meisten der 2022 erteilten Zuschläge sowie auch viele, die bei den Ausschreibungen Ende 2021 erteilt wurden.

Nach dem Zuschlag hat ein Windprojektierer in der Regel 24 Monate Zeit, um die Anlagen in Betrieb zu nehmen. Danach wird für jeden Tag Verzögerung eine Pönale fällig. Die Strafzahlung beträgt zunächst zehn Euro pro nicht gebautem Kilowatt und steigt dann stufenweise auf 30 Euro im 30. Monat an.

Ist die Anlage nach 30 Monaten, also zweieinhalb Jahren, noch immer nicht am Netz, erlischt der Zuschlag – die Pönale ist dennoch zu berappen.

Wenn Tausende bereits bezuschlagte Megawatt einfach wegfallen, wäre das ein herber Rückschlag – nicht nur für die Beteiligten, sondern auch für den ohnehin stockenden Windkraftausbau insgesamt.

Kabinett beschloss Rückgabe-Recht für Projektierer

Um das Problem zu lösen, kursierten mehrere Vorschläge. Einer davon sah vor, dass die Projektierer ihr bereits bezuschlagtes Projekt zurückgeben und sich damit dann, nach einer Frist, neu bei der Bundesnetzagentur bewerben können.

Genau dies beschloss am 7. Juni das Bundeskabinett. Grundlage war eine sogenannte Formulierungshilfe aus dem Bundeswirtschaftsministerium.

Regierungsfraktionen lassen sich solche Papiere gern von den Ministerien anfertigen, wenn Regelungen auf die Schnelle durch den Bundestag sollen. Bekanntestes Beispiel ist die 110-seitige Formulierungshilfe aus dem Wirtschaftsministerium für das "Heizungsgesetz".

Die vom Kabinett abgesegnete Wind-Formulierungshilfe sah vor, im Paragrafen 100 des EEG 2023, des aktuellen Erneuerbare-Energien-Gesetzes, einen neuen Absatz einzufügen. Danach hätten Bieter ihre Zuschläge für Projekt-Gebote aus den Jahren 2021 und 2022 an die Bundesnetzagentur zurückgeben können, sofern die entsprechenden Windkraftanlagen "nicht in Betrieb genommen wurden", wie das Ministerium formulierte.

Für diese Anlagen hätten dann in künftigen Ausschreibungen erneut Gebote abgegeben werden können, wenn zwischen Rückgabe und neuem Gebotstermin mindestens vier Wochen lagen.

Das Bundeswirtschaftsministerium begründete die Gesetzesinitiative damit, dass bei den Ausschreibungsrunden 2021 und 2022 erfolgreiche Projekte im Umfang von sogar rund 5.000 Megawatt noch nicht realisiert seien. Als Hauptgrund nannte auch das Ministerium außergewöhnliche Kostensteigerungen, die "zum Zeitpunkt der Gebotsabgabe noch nicht vorhersehbar waren".

Ziel der Regelung sei, hieß es weiter, dass die Projekte "sehr zügig wieder an Ausschreibungen teilnehmen können". Die Gesetzesänderung diene also der Beschleunigung des Windkraftausbaus.

Das leuchtet ein. Denn nach geltendem Recht erlischt der erteilte Zuschlag ja erst nach 30 Monaten, und erst dann könnte das auf Eis liegende Projekt neu in eine Ausschreibung gegeben werden.

Schnell im Huckepack durch den Bundestag

Formal sollte der am 7. Juni vom Kabinett abgesegnete Rückgabe-Vorschlag in ein Gesetz aufgenommen werden, das schon seit Ende Mai im Bundestag war. Es befasst sich in erster Linie mit den Preisbremsen für Erdgas, Wärme und Strom sowie mit diversen Änderungen weiterer energiewirtschaftlicher und sozialrechtlicher Gesetze. In einer solchen Gesetzesnovelle können EEG-Änderungen für die Windkraft problemlos "huckepack" mitgenommen werden.

Die Rückgabe-Möglichkeit wurde dann von der Windbranche in einer Bundestags-Anhörung zum Preisbremsen-Gesetz am 14. Juni im Energie- und Klimaausschuss ausführlich gewürdigt. Die Änderungen seien besonders geeignet, die Realisierung der Projekte zu sichern und zu beschleunigen, ist in der Stellungnahme des BWE zu lesen.

An diesem Punkt schien die monatelange Lobbyarbeit der Branche von Erfolg gekrönt zu sein. Der Glaube daran hielt aber nur eine Woche.

Am 21. Juni verabschiedete der Ausschuss seine Beschlussempfehlung zum Preisbremsen-Gesetz. Und hier ist plötzlich das Rückgaberecht für Windkraftprojekte an Land ersatzlos verschwunden.

Auch in den abschließenden Lesungen des Gesetzes am 23. Juni wird das "Huckepack"-Thema Windkraft mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt, weder von der Regierung noch von der Opposition. Es ist, als hätte es diese Idee nie gegeben.

Schließlich wird das Preisbremsen-Gesetz mit der Mehrheit der Ampel-Koalition angenommen – ohne die Windkraft-Regelung.

In wenigen Tagen wurde so das vom Bundeskabinett abgesegnete Rückgaberecht für Windkraft-Zuschläge der Jahre 2021 und 2022 politisch ausgeknockt. Die Enttäuschung der Windbranche darüber ist bis heute mit den Händen zu greifen.

FDP lehnt wegen unerwünschter Nebeneffekte ab

Im parlamentarischen Verfahren sei es üblich, dass Gesetzestexte verändert werden, erklärt der FDP-Abgeordnete Olaf in der Beek auf Nachfrage trocken. Aus Sicht seiner Fraktion hätte ein Rückgaberecht zu "unerwünschten Nebeneffekten" geführt.

Projekte hätten auch aus Gründen der reinen wirtschaftlichen Optimierung zurückgegeben werden können. Das hätte zu Ausbauverzögerungen geführt und die Steuerzahler viel Geld gekostet, begründet der Obmann der FDP im Ausschuss für Energie und Klimaschutz seine Ablehnung.

Branchenkenner sehen diese Gefahr eigentlich nicht. So habe bei einem Teil der betroffenen Projekte der Bau schon begonnen. Diese Vorhaben zurückzugeben, sei wegen der nötigen Abstimmungen mit Finanzierern und Zulieferern schwierig, so das Gegenargument.

Projektierer, die ihren Zuschlag zurückgeben und sich dann neu bewerben, hätten auch einkalkulieren müssen, dass die künftigen Ausschreibungsmengen für Land-Windkraft nicht erhöht werden. Dies übrigens entgegen einer ursprünglichen Forderung des BWE.

Der Windverband strebte nicht nur das Rückgaberecht an, sondern wollte auch, dass im kommenden Jahr die Ausschreibungsmengen um die zurückgegebenen Megawatt erhöht werden, um die Chancen für neue Projekte nicht zu schmälern.

Dem war die Regierung in der zunächst beschlossenen Formulierungshilfe aber nicht gefolgt. Die Projektierer hätten also nunmehr kalkulieren müssen, ob es besser ist, das Projekt zurückzugeben und sich dem Risiko einer engen Ausschreibung auszusetzen – oder das Projekt mit der Aussicht auf geringere Gewinne zu realisieren.

Strafzahlungen sollen zeitlich hinausgeschoben werden

Die Streichung des Rückgaberechts in den parlamentarischen Beratungen räumt auch Nina Scheer von der SPD-Fraktion ein. Dafür habe das Parlament aber erreicht, dass eine Wiederauflage der verminderten Nachtabsenkung von Windenergieanlagen ins Gesetz hineinkam. "Dafür hatten wir uns SPD-seitig ausgesprochen", betont die Fraktionsobfrau im Energieausschuss.

Die gelockerte Pflicht zur Drosselung in der Nacht gehört zu den Erleichterungen beim Betrieb der Windanlagen, die die Bundesregierung zwischen Oktober 2022 und April 2023 einführte, um in der Energiekrise mehr Strom zu erzeugen. Die Regelung war ausgelaufen und soll nun Scheer zufolge "verstetigt" werden. Erneuerbare Energie aus vorhandenen Anlagen ohne Not ungenutzt zu lassen, sei nicht hinnehmbar, erklärt die SPD-Politikerin.

Allerdings hilft die nächtliche Verstetigung so gar nicht, das Kostenproblem der vielen tausend Megawatt Windkraft aus den letzten beiden Jahren zu lösen. Dafür ist von den bekannten Lösungsvorschlägen derzeit nur noch das Hinausschieben der Pönalen im Spiel.

Ein entsprechender Pönalen-Vorschlag findet sich – wieder "huckepack" – im Ende Juni vom Wirtschaftsministerium vorgelegten Gesetzentwurf "zur Steigerung des Ausbaus photovoltaischer Energieerzeugung".

 

Konkret sollen die Realisierungsfristen für Windkraft an Land um drei Monate verlängert werden. Diese Verlängerung erfolgt, so die Begründung im Gesetzentwurf, aufgrund von Lieferkettenproblemen, die eine Realisierung innerhalb von 30 Monaten erschwerten.

Die Verlängerung um lediglich drei auf 33 Monate hält der Windverband allerdings für unzureichend. Der BWE hält 42 Monate Realisierungszeit für erforderlich, also einen Zeitaufschlag von zwölf Monaten.

Nach der Sommerpause soll das Photovoltaik-Gesetz in den Bundestag kommen. Was dabei mit den zeitlichen Aufschlägen bei den Pönalen geschieht, ist – wie neuerdings immer – offen.

Mein Tipp: Zwischen null und hundert Monaten ist alles drin.