Stromleitung mit Strommast, im Hintergrund Börsen-Zahlen und Grafiken in Türkis mit etwas leuchtendem Gelb.
Der Strompreis muss sinken, sagt die Expertenkommission. (Bild: Napaporn Leadprathom/​Shutterstock)

In einer Klemme steckt Deutschland derzeit fest. Eigentlich ist Strom, grüner zumal, das klimapolitische Mittel der Wahl. Millionen Wärmepumpen sollen künftig mit Strom heizen, E‑Autos sollen ihn massenhaft laden. Die Industrie soll ihre Brenner abschaffen und auf Strom oder Wasserstoff umstellen. Und auch der soll künftig größtenteils auf Strombasis entstehen.

Aber die Stromnachfrage schwächelt anhaltend. Vor der 2022 mit dem Ukrainekrieg ausgelösten Energiekrise lag der jährliche Bruttostromverbrauch Deutschlands meist deutlich jenseits der 560 Terawattstunden. 2023 und 2024 krebste der Verbrauch um die 520 Terawattstunden herum. Die Bruttogröße beschreibt den gesamten Stromverbrauch, einschließlich der Netzverluste und des Eigenverbrauchs der Kraftwerke. Eine Terawattstunde sind eine Milliarde Kilowattstunden.

Weniger Stromverbrauch bedeutet auch: Die Kosten von Erzeugung und Netz werden auf weniger Abnehmer verteilt. Das erhöht den Strompreis. Und weil das soziale und wirtschaftliche Folgen hat, mehren sich Forderungen nach staatlicher Subventionierung des Strompreises.

Neben der schlechten Konjunktur in der stromintensiven Industrie ist der niedrige Elektrifizierungsgrad ein wichtiger Grund dafür, dass der Stromabsatz in Deutschland nicht wie erwartet steigt, sondern sogar seit Längerem leicht rückläufig ist. Das konstatiert zudem der neue, am Freitag veröffentlichte Bericht der unabhängigen Expertenkommission zum Energiewende-Monitoring.

Sinkender Verbrauch stört Finanzierung des Stromsystems

Die Klemme ist offensichtlich: Weniger Stromverbrauch infolge der Energiekrise machte Strom teurer, das bremst Elektrifizierung und Dekarbonisierung. Das Abbremsen wiederum lässt den Verbrauch nicht wie einst geplant ansteigen, was wiederum den Einsatz von Strom teurer macht, und so weiter.

Im Bericht liest sich das im Expertenton so: Aus dem sinkenden Stromverbrauch "ergibt sich die Herausforderung, dass mit dem bestehenden System zur Wälzung der Infrastrukturkosten auf die Verbraucher, in Kombination mit steigenden Investitionen in den Netzausbau, die Netzentgelte in Zukunft weiter steigen werden. Dies verschlechtert die Bedingungen für den Umstieg auf elektrische Wärme-, Mobilitäts- und Prozesstechnologien weiter und schafft zudem Risiken hinsichtlich Bezahlbarkeit und Energiearmut sowie bei der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft."

Die Monitoring-Kommission hatte erst im Juni 2024 einen umfassenden Bericht vorgelegt. Das am Freitag veröffentlichte Papier stellt ein Update dar. Es sei sinnvoll, die großen Herausforderungen jetzt nochmals prägnanter darzustellen und die Entscheidungsträger zu informieren, erläuterte Kommissionsvorsitzender Andreas Löschel das Motiv für die Arbeit.

Wer da an die laufenden Koalitionsverhandlungen denkt, liegt nicht falsch, auch wenn die Kommissionsmitglieder bei der Präsentation des Updates diese mit keinem Wort erwähnten.

Haushaltsstrom wieder für unter 30 Cent

Gegenüber dem letztjährigen Bericht gebe es zwar Fortschritte, vor allem beim Ausbau der erneuerbaren Energien, dennoch stünden die Signale bei den meisten Aufgaben der Energiewende auf "Gelb" – und sogar auf "Rot" bei Energiesicherheit, Netzen und Energieeffizienz, bilanzierte Löschel, Ökonom an der Ruhr-Uni Bochum, am Freitag.

Bei den Strompreisen scheint das Schlimmste aber vorbei. Haushalte könnten derzeit mit Verträgen als Neukunden schon Preise von weniger als 30 Cent für die Kilowattstunde erzielen, sagte Kommissionsmitglied Anke Weidlich, Professorin für Energieverteilung an der Uni Freiburg.

Beim Strompreis für die Wirtschaft zeichnete Weidlich ein unterschiedliches Bild. Große Industriebetriebe, die jährlich mehr als 150.000 Megawattstunden verbrauchen, haben nach ihren Angaben für Strom noch etwa zehn Prozent mehr zu zahlen als im Vorkrisenjahr 2021. Für Unternehmen, die weniger Strom benötigen, liege der Preisanstieg teilweise noch immer bei mehr als 20 Prozent. Hier seien die Stromkosten überproportional zu anderen Aufwendungen gestiegen, sagte Weidlich.

Dabei komme es nicht allein auf die absolute Höhe des Strompreises an, sondern auch auf sein Verhältnis zum Gaspreis, so Weidlich weiter. Dieses Preisverhältnis habe sich jüngst zugunsten des Stroms verbessert, dennoch sei in Deutschland Strom im Vergleich zu Gas noch immer teurer als anderswo in Europa. Diese anderen Länder wiesen dann in der Regel auch einen höheren Elektrifizierungsgrad bei Wärme auf, machte Weidlich den Zusammenhang deutlich.

Neustart der Kraftwerksstrategie gefordert

Besondere Sorgen macht sich die Monitoring-Kommission wegen des Scheiterns der Kraftwerksstrategie der Ampel-Regierung. Während der Ausbau der Erneuerbaren an Dynamik gewinne, nehme der Bestand an steuerbaren Kapazitäten ab, also an Kraftwerken, die flexibel eingesetzt werden können, heißt es im Update-Bericht.

Der Bau neuer, flexibler Gaskraftwerke sei für die Energiewende essenziell, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, betonte dazu Kommissionsmitglied Felix Matthes. "Wir haben einen sehr hohen Zubaubedarf an Gaskraftwerken in den nächsten zehn Jahren", sagte der Energiewendeexperte des Öko-Instituts. Über die Details könne man streiten, auf jeden Fall müssten aber "zweistellige Zahlen von Gigawatt" neu ins System müssen. Ein Gigawatt sind 1.000 Megawatt.

Matthes hält dazu einen Neustart der gescheiterten Kraftwerksstrategie für notwendig. Die Brennstoff-Vorschriften sollten dabei weniger restriktiv ausgestaltet werden, forderte er. Auch sollte kein Datum für den Umstieg der Erdgaskraftwerke auf Wasserstoff vorgeschrieben sowie ein Mischbetrieb von Erdgas und Wasserstoff erlaubt werden.

Ein Klimaproblem ergibt sich für Matthes aus den Gas-Gigawatt nicht. Die Erdgaskraftwerke würden zum einen wenig laufen. Zum anderen ersetzten sie alte Gas- oder Kohlekraftwerke, die sonst weiterlaufen und entsprechend mehr emittieren würden. Im Vergleich zu einer Situation, in der fehlende Versorgungssicherheit den Kohleausstieg verhindere, sei die CO2-Bilanz "immer positiv", suchte Matthes Klimabedenken zu zerstreuen.

 

Aus Klimasicht darf die Energiewende laut dem neuen Monitoringbericht jedenfalls nicht abgebremst werden. Bis 2024 sind Deutschlands Treibhausgas-Emissionen gegenüber 1990 um 48 Prozent gesunken. Dies bedeute, dass bisher eine Reduktion um 1,4 Prozentpunkte im Schnitt pro Jahr erreicht wurde, heißt in dem Papier.

Für das 65-Prozent-Ziel müsste demnach in den nächsten sechs Jahren eine weitere Reduktion um 17 Prozentpunkte erfolgen – das sind rund 2,8 Prozentpunkte im Jahr, rechnet der Bericht vor. Das Tempo der Emissionsreduktion müsse sich also verdoppeln, um das 2030er Klimaziel zu erfüllen.

Dazu muss Deutschland zuallererst auch aus der Stromklemme raus.