Ob es in Deutschland bei der Energiewende vorangeht, bewertet die Expertenkommission zum Energiewende‐Monitoring seit 2011 traditionell mit den Ampel-Farben Rot, Gelb oder Grün.
Unter den 32 Bewertungspunkten finden sich im neuesten Bericht, der heute an das Bundeswirtschaftsministerium übergeben wurde, nur wenige grüne. Einen gibt es für die generelle Akzeptanz in der Bevölkerung. Eine Energiewende finden laut Bericht stabile 90 Prozent der Befragten sehr wichtig.
Allerdings sinke die Zustimmung bei der Frage, wie die Energiewende umgesetzt wird, schränkt Energieökonom Andreas Löschel vom Expertengremium ein. 2023 fanden nur noch 20 Prozent der Leute die Umsetzung gut und mehr als 50 Prozent schlecht.
Einen grünen Punkt vergeben die vier Expertinnen und Experten – wenig überraschend – für die steigende Ökostromerzeugung. 2023 stammten mehr als 50 Prozent des verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Quellen. Das Regierungsziel, 2030 einen Erneuerbaren-Anteil von 80 Prozent am Strommarkt zu erreichen, hält das Gremium für "prinzipiell möglich".
Expertenkommission sieht fast überall Handlungsbedarf
Häufiger aber steht die Ampel im Bericht auf Gelb und Rot. Es passiere einiges, aber es gebe auch sehr viele Baustellen, meint Löschel. Handlungsbedarf erkennt das Gremium in nahezu allen Bereichen der Energiewende, so beim Aus- und Aufbau der Netze für Strom und Wasserstoff sowie bei der Schaffung passender Rahmenbedingungen für die Energiewende.
Eine solche Rahmenbedingung, die den Fachleuten besondere Sorgen macht, ist die künftige Zusammensetzung des Kraftwerksparks. Trotz Erneuerbaren-Ausbau gebe es weiterhin einen hohen Bedarf an steuerbaren Kraftwerken.
Um die Versorgung zu sichern, würden bis 2030 rund 10.000 bis 15.000 Megawatt neue, wasserstofftaugliche Gaskraftwerke gebraucht, erklärt Felix Matthes. Zwischen 2030 und 2035 kämen noch einmal 15.000 Megawatt steuerbare Leistung hinzu.
Bezogen darauf sei die bisherige Kraftwerksstrategie der Ampel zu knapp bemessen, kritisiert der Umweltökonom. Diese sieht erstmal nur vor, 10.000 Megawatt wasserstofffähige Gaskraftwerke auszuschreiben.
Die Entwicklung werde dabei durch einen beschleunigten Kohleausstieg verschärft, betont Matthes. Angesichts der absehbaren Entwicklung der CO2- und Brennstoffpreise erwartet er, dass Kohlekraftwerke ab 2030 ihre Betriebskosten nicht mehr bezahlen können und es dann zu einem marktgetriebenen Kohleausstieg kommt.
Seien dann nicht genügend regelbare Gaskraftwerke vorhanden, müssten mit dem Geld der Kunden Kohlekraftwerke außerhalb des Marktes bereitgehalten werden. "Das wäre vermutlich die teuerste aller Lösungen", betont Matthes.
Wohnungsbestand weiter durch fossile Heizungen geprägt
Während beim Strom schon mehr als die Hälfte der Erzeugung erneuerbar ist, sind es bei der Wärme erst 19 Prozent, also knapp ein Fünftel. Vom Umfang her sei das durchaus erfreulich, allerdings werde der größte Teil der erneuerbaren Wärme derzeit mit Holz erzeugt, schränkt Expertin Anke Weidlich ein.
Beim Holz sieht die Energiewirtschaftlerin künftig eine starke Nutzungskonkurrenz. Biomasse müsse zudem bevorzugt für die Klimaneutralität eingesetzt werden, betont sie und bedauert, dass die Elektrifizierung im Wärmebereich nur sehr langsam vorangeht.
Ein Indiz dafür: Zwar sind im Wohnungsneubau schon mehr als die Hälfte der installierten Heizungen Wärmepumpen, der Wohnungsbestand wird aber weiter durch Gas- und Ölkessel geprägt, speziell der Anteil der Gasheizungen geht nicht zurück.
Als einen wichtigen Faktor, um den Einsatz von Wärmepumpen anzureizen, sieht die Expertenkommission dabei das Verhältnis zwischen Strompreis und Brennstoffpreisen. Strom sei pro Kilowattstunde oft mehr als dreimal so teuer wie Erdgas in den letzten Jahren gewesen, wird im Monitoringbericht konstatiert. Die Betriebskosten einer Wärmepumpe seien damit höher als die einer Gasheizung, zusätzlich zu den höheren Anschaffungskosten.
Strom müsse eine attraktive Alternative für Wärme und Mobilität werden, sei in Deutschland aber ein sehr teurer Energieträger, umreißt Weidlich das nicht ganz neue Problem. Um den Strompreis zu senken, setzt sich das Gremium unter anderem dafür ein, die Stromsteuer auf das europäische Mindestniveau zu senken sowie die Netzentgelte wieder staatlich zu bezuschussen.
Die Senkung der Umlagen und Abgaben auf Strom sollte dabei mit einer höheren CO2-Bepreisung fossiler Energieträger gegenfinanziert werden, wird im Monitoringbericht vorgeschlagen. "Das schafft Anreize, den Verbrauch fossiler Energieträger zu reduzieren und den Umstieg auf erneuerbare Energien zu fördern", erklärt Anke Weidlich dazu.
"Energiestatistische Artefakte" sorgen für gute Bewertung
Einen weiteren grünen Punkt vergibt das Gremium übrigens für verbesserte Energieeffizienz, konkret die Endenergieproduktivität – um gleich einzuschränken: Ein erheblicher Teil des rückläufigen Primärenergieverbrauchs resultiere aus "energiestatistischen Artefakten", die vor allem durch die primärenergetische Bewertung der massiv steigenden Stromerzeugung aus Wind und Sonne entstünden.
Mit dem Hinweis auf den statistischen "Artefakt" wiederholt sich eine Kritik aus vorhergehenden Berichten. Danach folgt die Erstellung der Energiebilanzen in Deutschland und der EU den Konventionen der Internationalen Energieagentur IEA. Dadurch wird der Strom aus Wind-, Solar- und Wasserkraft (ohne Pumpspeicherkraftwerke) sowie der Stromaußenhandel mit einem Umwandlungswirkungsgrad von hundert Prozent in Primärenergie umgerechnet.
Im Vergleich dazu werde die konventionelle Stromerzeugung mit der realen Effizienz – beziehungsweise die Kernkraft mit dem Standardfaktor von 33 Prozent – bei der Primärenergieberechnung berücksichtigt, betont die Expertenkommission. Wird dann eine Kilowattstunde konventioneller Strom durch die gleiche Stromerzeugung aus Wind und Sonne ersetzt, steigt die Energieproduktivität quasi automatisch an.
Bei hohen Anteilen von Solar- und Windstrom entstehe durch diese energiestatistische Konvention ein massiver Rückgang des Primärenergieverbrauchs, der "nicht als Energieeinsparung missinterpretiert werden sollte", warnt das Gremium vor voreiligen Erfolgsmeldungen.
Hinter einem grünen Punkt beim Monitoring muss also nicht unbedingt gleich auch eine gute Maßnahme stehen. Manches fällt einem auch einfach so in den Schoß.