Klimareporter°: Helena, du bist Schülerin, bei mir ist die Schulzeit auch noch nicht lange her: Wenn du Fridays for Future eine Schulnote geben müsstest, als wie erfolgreich schätzt du die Bewegung ein?
Helena Marschall: Ich will dafür eigentlich keine Note vergeben, denn von unserem Ziel sind wir noch weit entfernt. Wir haben einerseits viel erreicht, denn es wird zum ersten Mal viel über die Klimakrise gesprochen. Andererseits wird auch nur gesprochen. Konkrete Maßnahmen bleiben aus. Und das liegt an den Politikern und Politikerinnen.
In den USA gibt es eine Note für Bemühungen und eine für die Leistung. Unseren Bemühungen würde ich auf jeden Fall eine Eins geben, für das Resultat eher so eine Drei bis Vier.
Von heute bis Sonntag tagt der Sommerkongress von Fridays for Future in Dortmund. Warum veranstaltet ihr ein solches Camp?
Zunächst, weil wir uns so endlich alle persönlich vernetzen können. Bisher kennen sich die meisten Menschen nur aus Whatsapp-Gruppen und Telefonkonferenzen. Außerdem wollen wir zeigen, dass wir da sind und keine Sommerpause machen. Im Gegenteil, wir nutzen eine Woche unserer Sommerferien, um zusammenzukommen. Der dritte Grund ist die Möglichkeit, sich auch inhaltlich mit der Klimakrise zu beschäftigen. Wir erwarten über 50 Referenten und 1.400 Teilnehmer.
Wäre ein solcher Sommerkongress nicht als einwöchentlicher Streik während der Schulzeit erfolgreicher?
Nein, zum einen können so mehr Leute erscheinen und zum anderen gab es solche Wochen-Streiks schon, in Köln zum Beispiel. Der Sommerkongress soll über die Protestform des Streiks hinausgehen, indem wir unter anderem Vorträge organisiert haben. Weitere Wochenstreiks sind aber für September in Planung.
Was für Vorträge sind das?
Es gibt Workshops zu allen möglichen klimarelevanten Themen sowie mehrere Podien, unter anderem zur CO2-Steuer oder zu der Frage, wie unsere Bewegung noch erfolgreicher sein kann.
Woran liegt es, dass die Fridays-for-Future-Bewegung im letzten Jahr so erfolgreich geworden ist?
Zum einen gab es den Hitzesommer im letzten Jahr: Jeder konnte die Klimakrise in seinem Alltag spüren. Dann hat Greta Thunberg angefangen zu streiken und Wissenschaftler legten im Herbst den IPCC-Bericht über die Folgen der Erderwärmung für das 1,5-Grad-Ziel vor. Und trotzdem war die Klimapolitik der deutschen Regierung schlichtweg nicht vorhanden.
Die Kombination dieser Ereignisse hat unsere Bewegung ins Rollen gebracht. Vor drei Jahren wäre Fridays for Future nicht so erfolgreich gewesen wie jetzt.
Du hättest dich vor drei Jahren also nicht der Bewegung angeschlossen?
Helena Marschall
ist Klimaaktivistin bei Fridays for Future. Die Schülerin aus Frankfurt am Main organisiert seit Dezember vor allem Demonstrationen in ihrer Heimatstadt, engagiert sich aber auch bundesweit. Beim Sommerkongress koordiniert sie über 200 Helfer und kümmert sich auch um die Logistik. Nach dem Abitur im kommenden Jahr will sie erst einmal als Aktivistin tätig sein.
Die Klimapolitik hat mich schon ziemlich lange frustriert. Erst der IPCC-Bericht gab allerdings den Ausschlag, mich einer Bewegung anzuschließen. Es gab zwar auch damals schon viele Klimaschutz-Initiativen, aber Fridays for Future war etwas ganz Neues mit viel Potenzial, realpolitische Veränderungen herbeizuführen.
Es gibt auch viele Klimaleugner – auch in eurem Alter?
Ich kenne keine in meinem Alter. Das Thema ist den allermeisten Menschen bewusst, aber vielen ist der Ernst der Lage nicht bekannt – also, dass wir gerade dabei sind, auf zwei, drei, vier Grad Erderwärmung zuzusteuern. Viele Menschen haben die unglaubliche Fähigkeit, das zu verdrängen.
Kritiker werfen den Fridays-Aktivisten vor, dass sie sich widersprüchlich verhalten, zum Beispiel, indem sie fliegen. Was sagt ihr zu solchen Vorwürfen?
Die finde ich unverhältnismäßig. Natürlich hat der persönliche Konsum Auswirkungen auf unser Klima, aber er ist im Vergleich zu einer politischen Systemänderung gering. Alle Skeptiker konzentrieren sich auf das Fliegen und natürlich ist das ein riesiges Umweltproblem, aber viele andere Ursachen für die Klimakrise kommen gar nicht zur Sprache. Die Zementproduktion beispielsweise macht acht Prozent der globalen Emissionen aus.
Das heißt, die Medien stellen das unzureichend dar?
Ja, Diskurse verschieben sich in eine unproduktive Richtung. Dieses "Jeder muss verzichten und für sich selbst das Klima retten" sprechen wir schon seit Jahrzehnten an. Passiert ist dadurch viel zu wenig. Denn ohne eine politische Änderung ist eine persönliche sehr schwierig.
Ein Beispiel: Wenn ich zu meiner Oma fahre, die im Mainzer Umland wohnt, brauche ich mit der Bahn doppelt so lange wie mit dem Auto. Wenn man das Bahnsystem ausbaut und vergünstigt, sodass Ziele mit der Bahn schneller erreicht werden, entscheidet sich der Einzelne automatisch klimafreundlich.
Klimaschutz ist also in erster Linie eine Aufgabe der Politik?
Klimaschutz ist ein Zusammenspiel, aber erstmal muss die Politik handeln, damit der Verbraucher es einfacher hat.
Scientists for Future, Sports for Future – was haltet ihr eigentlich davon, dass sich immer mehr Erwachsene eurer Bewegung anschließen?
Das ist mega wichtig. Es ist super, dass so viele junge Menschen aktiv werden, aber wir wollen die ganze Gesellschaft mitnehmen – gerade auch beim globalen Streiktag am 20. September. Der Streiktag ist übrigens deswegen so besonders, weil ausdrücklich Menschen jeden Alters und Hintergrundes eingeladen sind, mit uns auf die Straße zu gehen.
Was hat Fridays for Future in der nächsten Zeit noch vor?
In Brandenburg und Sachsen sind bald die Landtagswahlen. Wir planen zwei Tage vorher, am 30. August, einen Großstreik. Insgesamt werden wir einfach versuchen, mehr Druck aufzubauen. Unsere Zukunft kann keinen Kompromiss eingehen. Wir werden weiterstreiken, bis klar ist, dass alles getan wird, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.
Habt ihr Angst, dass das Interesse an Fridays for Future in den Medien oder innerhalb eurer Bewegung verloren geht?
Ich habe keine Angst. Wir streiken auch im Sommer jede Woche mit 20.000 bis 30.000 Menschen in ganz verschiedenen Städten und haben immer noch eine unheimliche Medienaufmerksamkeit. Allein zum Kongress haben sich über 50 Journalisten und Journalistinnen akkreditiert. Die Klimakrise wird immer wichtiger und wir können sie nicht einfach aussitzen.