Mehrere Aktivist:innen in Warnwesten blockieren sitzend vier Spuren einer Straße
Eine Gruppe der "Letzten Generation" blockiert die Stadtautobahn in Berlin. (Foto: Aufstand der letzten Generation)

Sie blockieren Autobahnen für mehr Klimaschutz – schon seit Ende Januar. Aktivist:innen der "Letzten Generation" wollen die Politik dazu bewegen, gegen Lebensmittelverschwendung vorzugehen und eine grundlegende Agrarwende anzustoßen.

Ihr Anliegen ist wichtig. Auch ich habe Angst vor dem Klimawandel und kann nachvollziehen, wenn Aktivist:innen mit zivilem Ungehorsam verdeutlichen, dass sich die Klimakrise weiter zuspitzt. Die Landwirtschaft steht dabei vielleicht im Schatten von Kohleausstieg und Verkehrswende, doch auch hier brauchen wir eine Wende.

Das Problem ist nur, dass diese Zusammenhänge in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle spielen. Der Diskurs über die Blockaden dreht sich mehr um die Form des Protests als um das eigentliche Anliegen. Das kann man zu einem gewissen Teil vielleicht dem Mediensystem ankreiden, doch vor allem hängt es mit den Aktionen selbst zusammen.

Autobahnen für eine nachhaltigere Landwirtschaft blockieren?

Wenn die Aktivist:innen mit einem vergleichsweise radikalen Mittel zuspitzen wollen, müssen sie das konsequent tun. Doch das Zuspitzen schlägt an dem Punkt fehl, wo die Form des Protests am inhaltlichen Anliegen vorbeigeht. Dass genervte Autofahrer:innen nicht verstehen, warum sie darunter leiden, dass es in Deutschland noch kein Essen-Retten-Gesetz oder konkrete Schritte hin zu einer grundlegend anderen Landwirtschaft gibt, ist nachvollziehbar.

Es gibt keinen inhaltlichen Zusammenhang zwischen der Blockade der Autobahn und einem Wandel im Agrarsektor. Deswegen besteht die Gefahr, dass Autofahrer:innen, die von den Blockaden direkt betroffen sind, verprellt werden und – noch viel gravierender – dass deutschlandweit Menschen das Verständnis für Klimaschutz verloren geht.

Die Aktivist:innen sind sich dessen durchaus bewusst. "Wir wissen, dass wir Menschen gegen uns aufbringen", sagte ihre Pressesprecherin Carla Hinrichs Anfang Februar im Gespräch mit Klimareporter°. "Wir richten uns ganz konkret an die Bundesregierung." Das nachhaltige Leben der Einzelnen werde den Kollaps nicht aufhalten.

Die Blockade ist dabei das Druckmittel der Bewegung gegen die Bundesregierung. Und ja, ganz klar, es ist wichtig, den Druck auf die Verantwortlichen zu erhöhen – gerade auch als Gegengewicht zu Agrarverbänden und anderen Lobbygruppen.

Doch ob die öffentlich sehr kontroverse Diskussion über die Protestform es Politiker:innen erleichtert, solche Vorhaben für mehr Klimaschutz umzusetzen, ist zweifelhaft. Besonders dann, wenn die Aktivist:innen der "Letzten Generation" regelmäßig klarstellen, dass sie "immer wiederkommen werden" – wenn die aktuellen Forderungen erfüllt sind, dann mit neuen. Erst der Hungerstreik vor der Bundestagswahl, jetzt die Blockaden der Autobahnen. Wie soll das weitergehen?

Politiker:innen können sich auf dieses Spiel kaum einlassen. Die Aktivist:innen wollen einen "umfassenden Wandel", eine Transformation in eine klimagerechte Gesellschaft. So dringend sich unsere Gesellschaft ändern muss: Solch große Veränderungen sollten nicht mit Hungerstreik und Autobahnblockaden durchgesetzt werden.

Der Hungerstreik endete durch ein Gespräch mit Olaf Scholz, von dem eigentlich nichts in Erinnerung blieb – bis auf die Ankündigung der Autobahnblockaden. Nun bahnt sich ein neues Gespräch an. Zumindest Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich dafür offen gezeigt. Nach den Erkenntnissen aus dem ersten Gespräch bleibt nur zu hoffen, dass die Beteiligten diesmal nicht wieder aneinander vorbeireden. Es wäre ein Erfolg – dank der Proteste.

Klimaschutz muss am Ende mehrheitsfähig sein

Zwar werden die Entscheidungen Einzelner den Klimakollaps nicht aufhalten, aber die Mehrheit der Einzelnen entscheidet in Deutschland, welcher Weg beim Klimaschutz eingeschlagen wird. Aktivist:innen haben nicht die Aufgabe, Mehrheiten zu organisieren. Aber was bringt der Protest, wenn die Aktionen in der Gesellschaft vor allem Unverständnis hervorrufen und mehr über die Legitimität der Proteste diskutiert wird als über die eigentlichen Probleme?

Die Autobahnblockaden drohen die Fronten in der Klimafrage zu verhärten. Die Diskussion um mehr Klimaschutz sollte jedoch gerade nicht emotional aufgeladen und ideologisiert werden. Der Klimawandel ist ein beängstigendes Thema. Trotzdem muss Klimaschutz von einer klaren Mehrheit der Gesellschaft mitgetragen werden. Dazu braucht es einen konstruktiven Diskurs.

Protest, auch ziviler Ungehorsam, ist dabei wichtig, weil er auf drängende Fragen aufmerksam macht und Menschen sensibilisieren kann. Er sollte jedoch für eine breitere Öffentlichkeit verständlich sein und nicht das Gegenteil bewirken.

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