Gruppe von Aktivistinnen, teils mit Protestschildern, im Hintergrund Steinkohlekraftwerk Datteln
Tonny Nowshin (2.v.r.) und Mitstreiterinnen beim Protest gegen Datteln 4 am 20. Mai. (Foto: Janus Petznik)

Sechs Frauen reden gegen das an, was sie Wahnsinn finden. Sie stehen vor dem Kanal, an dessen anderer Uferseite das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 steht. Es ist der 20. Mai, in wenigen Tagen soll Datteln 4 ans Netz gehen. Ein neues Kohlekraftwerk im Jahr 2020. Klimapolitisch untragbar, finden sie.

Sie, das sind sechs Klimaaktivistinnen unterschiedlicher Organisationen, die vor Pressevertreter:innen ihre Sicht auf Datteln 4 darlegen. Vertreten sind Fridays for Future, Greenpeace und Urgewald, eine unabhängige Aktivistin ist dabei.

Die Frauen rotieren umeinander, immer steht diejenige vorn, die gerade spricht. Neben den Rednerinnen stehen auch noch zwei weitere Aktivistinnen dabei. Später geht es zum Protestieren in Booten auf den Kanal. 

Als Tonny Nowshin später die Twitter-Nachricht sieht, in der Greenpeace die Aktion der Öffentlichkeit mit mehreren Fotos präsentiert, kann sie sich darauf nicht entdecken. Nur in einer Fernaufnahme vom Bootprotest ist ihr Kopf von hinten in Ameisengröße auszumachen. Ihre fünf Mitrednerinnen sind alle prominent abgebildet, deutlich erkennbar. Sie nicht. Alle anderen sind weiß. Sie nicht.

Ein Versehen? Möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich. Aber eben eines, das immer wieder zulasten von Schwarzen oder Indigenen Menschen und People of Color (BIPoC) passiert, deren Protest dann unsichtbar ist. Wie vor einem halben Jahr der ugandischen Klimaaktivistin Vanessa Nakate, die die Nachrichtenagentur Associated Press sogar aus einem Foto mit sonst weißen Klimaaktivistinnen wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer weggeschnitten hatte.

In einem Gastbeitrag bei Klimareporter° schreibt Nowshin schließlich über Rassismus in der Klimabewegung. Die Twitter-Fotos von Greenpeace zum Datteln-Protest sind dabei ein Beispiel von mehreren. Die Aktivistin kritisiert etwa auch Fridays for Future Deutschland dafür, sich erst sehr spät mit den Black-Lives-Matter-Protesten solidarisiert zu haben. Oftmals fühle sie sich erst richtig willkommen, wenn sie die Vorzeige-Betroffene aus Bangladesch spiele.

Greenpeace will "aus Fehlern lernen"

Der Beitrag hat eine Debatte in der Klimabewegung ausgelöst. "Auch wir haben zu spät reagiert und etwa Rassismus vor Black Lives Matter überhaupt nicht adressiert", twittert Fridays for Future als Reaktion. Die Bewegung müsse besser werden, "um diese Probleme endlich bei der Wurzel zu packen". Und weiter: "Tonny Nowshin hat recht: 'Eine rassistische Klimabewegung kann niemals eine gerechte Zukunft schaffen.'"

Auch Greenpeace hat reagiert. "Die Auswahl der Fotos in dem Tweet sehen wir als einen Fehler, für den wir uns schon vor der Veröffentlichung des Beitrages bei Tonny Nowshin entschuldigt haben", schreibt die Umweltorganisation in einem Statement auf der eigenen Website. In der Greenpeace-Fotodatenbank habe es auch Fotos mit Nowshin gegeben. 

"Wir bedauern zutiefst, dass der Tweet für Tonny zu einer Erfahrung von Rassismus in der deutschen Klimabewegung geworden ist", heißt es bei Greenpeace. Noch immer sei die Klimabewegung in Deutschland eine vornehmlich weiße Bewegung. "Beim Umgang mit Rassismus und auf dem Weg zu einer diversen und inklusiven Bewegung hat die Klimabewegung viel nachzuholen." Das gelte auch für Greenpeace. "Wir wollen aus unseren Fehlern lernen."

Tony Asentewaa* vom Berliner BIPoC-Klimakollektiv Black Earth freut sich über die Entschuldigung von Greenpeace. Das Statement zeige allerdings, dass noch tiefergehende Beschäftigung mit der Thematik nötig sei. "Schon in der Überschrift heißt es: 'Ein Vorwurf, der uns trifft'", zitiert er. "Wichtig ist also vor allem, wie es Greenpeace mit der Kritik geht, man soll ein klein wenig Mitleid bekommen."

Nicht herausgeschnitten, trotzdem unsichtbar

Im Statement gebe es zudem viel Rechtfertigung und Relativierung, beklagt Asentewaa. Zum Beispiel werde stark betont, dass Nowshin nicht aktiv herausgeschnitten wurde, sondern auf den fraglichen Bildern nur nicht drauf war.

"Schön, aber sie hat ja gar nichts anderes behauptet", meint der Klimaaktivist. Und das Ergebnis sei dasselbe. "Alles in allem klingt das so, als könne man bei Greenpeace immer noch nicht glauben, dass der Vorfall überhaupt rassistisch war."

Was Asentewaa in dem Statement außerdem fehlt, sind konkrete Schritte, die jetzt folgen. "Zum Beispiel Antirassismus- und Critical-Whiteness-Trainings, in denen man sich unter anderem damit beschäftigt, warum Menschen mit rassistischen Erfahrungen sich offenbar nicht im gleichen Maß von den Aktionen angesprochen fühlen und wie man das ändern könnte", meint der Aktivist.

Bei Greenpeace heißt es auf Nachfrage, man plane Workshops zu den Themen Antirassismus, kritisches Weißsein und Privilegien. Auch Fridays for Future ist schon dabei, derartige Veranstaltungen zu organisieren.

Wer sind die Gesichter der Bewegung?

Aber bitte nicht nur unter Weißen reflektieren, fordert die Antirassismustrainerin Sarah Shiferaw, die auch das Referat Flucht und Migration beim Wohlfahrtsverband Volkssolidarität koordiniert. "Ein dringend notwendiger Schritt wäre, finanzielle Mittel bereitzustellen, um sich die Unterstützung Schwarzer Expert:innen und Expert:innen of Color einzuholen, die zum Thema Rassismus und Klima tätig sind", sagt sie. "Sie sind bisher deutlich unterrepräsentiert oder gar nicht einbezogen."

Man müsse sich fragen, warum man Gruppen abseits der weißen Mittelschicht kaum erreiche, findet auch Shiferaw. "Damit einhergehend stellt sich auch die Frage, wer die 'Gesichter' der Bewegungen in der Öffentlichkeit sind", erklärt sie. "Hinter der Unsichtbarmachung von nicht-weißen Personen auf einem Foto steckt ein strukturelles Problem."

Zur Förderung von Teilhabe an Bewegungen gehöre außerdem die Repräsentation nicht-weißer Menschen in Lenkungsgremien, so die Antirassismustrainerin. "Dabei können sich NGOs fragen, wie ihre Gremien besetzt sind, wer Entscheidungsrechte hat."

Shiferaw rät auch, den Prozess öffentlich zu dokumentieren. "Der Schritt hin zum Aktivismus wäre für Schwarze Menschen und People of Color ein leichterer, wenn sie wissen, dass sich mit Rassismus auseinandergesetzt wird."

* Name auf Wunsch geändert. Der Name ist der Redaktion bekannt.

 

Anzeige