Vanessa Nakate ist in nur ein paar Tagen berühmt geworden. Die 23-jährige Betriebswirtin organisiert Demonstrationen für Klimaschutz in der ugandischen Hauptstadt Kampala und hat die Klimaorganisation The Rise Up Movement gegründet. Sie repräsentierte Fridays for Future mit anderen zusammen auf der Weltklimakonferenz in Madrid und zuletzt beim Weltwirtschaftsforum in Davos.
Das wären hervorragende Gründe dafür, ihren Namen zu kennen. Dass das nun viele Menschen auf der Welt von sich sagen können, hat damit aber nur indirekt zu tun.
Zusammen mit ihren Fridays-for-Future-Mitstreiterinnen Luisa Neubauer aus Deutschland, Greta Thunberg und Isabelle Axelsson aus Schweden sowie Loukina Tille aus der Schweiz posierte Nakate in Davos für ein Foto. Auf dem Bild, das die US-Nachrichtenagentur AP schließlich um die Welt schickte, war sie aber nicht zu sehen. Der Fotograf hatte beim Zuschnitt einfach einen Cut neben Neubauer gemacht – und Nakate weggeschnitten.
Dass das ein ungünstiger Zufall war, ist nicht anzunehmen. Schließlich stand Nakate nicht etwa unbeteiligt irgendwo im Hintergrund, sodass man den Zuschnitt mit ihrer mangelnden Bedeutung für die Szene rechtfertigen könnte. Das Motiv bestand aus fünf Frauen, die sich in einer Reihe aufgestellt hatten. Eine von ihnen wegzuschneiden geschieht sicher nicht unbedacht.
Das legt auch eine Stellungnahme der AP-Bildredaktion nahe, die einige Medien zitieren. Demnach sei die Entscheidung aus "kompositorischen Gründen" gefallen, wegen eines hässlichen Hauses hinter Nakate.
Der Fall zeigt, dass es oft am Thema vorbeigeht, darüber zu diskutieren, ob einzelne Personen nun Rassistinnen sind oder nicht. Wenn man darunter versteht, dass eine rassistische Handlung als solche gemeint sein muss, ist es der AP-Fotograf (wahrscheinlich) nicht. Offenbar war er aber nicht bereit, einen suboptimalen Bildhintergrund in Kauf zu nehmen, um die einzige Schwarze Person nicht als überflüssig erscheinen zu lassen. Vielleicht ist er auch gar nicht auf die Idee gekommen, dass sein Schnitt das aussagen könnte.
Mikroaggression nennt man so einen diskriminierenden Akt, der nicht böse gemeint sein muss, aber strukturell marginalisierte Personen weiter marginalisiert. Sozusagen die soziale Praxis, die die rassistische oder anderweitig diskriminierende Strukturen im Alltag offenbart.
Wenn der weiße Typ auf der Party zum Beispiel ganz nebenbei das Haar einer anwesenden Schwarzen Frau anfassen möchte, während anderen Lockenköpfen solche Eingriffe in die Intimzone in der Regel erspart bleiben, weil es halt doch nicht um irgendeine Haarstruktur geht. Wenn die weiße Frau den Schwarzen Mann in der U-Bahn direkt auf Englisch bittet, sie zum Aussteigen durchzulassen – weil sie gar nicht in Betracht zieht, dass es sich um einen Deutschen handeln könnte.
Oder eben wenn der Fotograf ausgerechnet Nakate aus dem Foto schneidet, während es kaum vorstellbar (und auch nicht wünschenswert) ist, dass Luisa Neubauer dasselbe passiert. Obwohl sie ja sozusagen die deutsche Vanessa Nakate ist.
Warum ist weiß in diesem Beitrag kursiv und Schwarz großgeschrieben?
Weil beides in diesem Kontext keine (Haut-)Farben sind, sondern soziale Konstrukte. Wer als weiß wahrgenommen wird – wie auch die Autorin dieses Kommentars –, hat Privilegien in der Welt. Menschen, die nicht als weiß eingeordnet werden, sind Rassismus ausgesetzt. Da Schwarz zu einer bewussten Eigenbezeichnung dieser diskriminierten Gruppen geworden ist, wird der Begriff hier großgeschrieben.
Die Arbeit damit hatte zuerst einmal Nakate. Sie musste sich selbst sichtbar machen, indem sie sich auf Twitter bei AP beschwerte. "Ihr habt nicht nur ein Bild gelöscht. Ihr habt einen Kontinent gelöscht", warf sie der Nachrichtenagentur vor. Und dann handelt es sich auch noch um den Kontinent, den die Klimakrise wohl am stärksten treffen wird.
Das hat mehrere Gründe. Erstens wird die Änderung des globalen Klimas in Afrika krasse Spuren hinterlassen: vor allem im Norden und Südwesten des Kontinents wird es Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich weniger Niederschlag geben. Mit hoher Zuverlässigkeit kann man schon sagen, dass Wasser noch stärker dort fehlen wird, wo es ohnehin schon knapp ist.
Zweitens sind viele afrikanische Regionen im Hinblick auf Klimawandelfolgen besonders verletzlich. Vor allem in subsaharischen Regionen gibt es viele Gemeinschaften, die von ihren vor Ort produzierten Lebensmitteln leben, die veränderten Wettermuster wirken sich also direkt auf die Ernährungssicherheit aus. Außerdem steht wenig Geld zur Verfügung, um für ausreichend Anpassung zu sorgen, denn die Gewinner des globalen Kapitalismus leben vor allem im Norden der Erde.
Afrikanische Frauen müssen übrigens besonders mit den Folgen der Klimakrise in Afrika kämpfen. Sie tragen häufiger als Männer die Verantwortung für die Ernährung ihrer Familien durch Subsistenzwirtschaft, Nahrungszubereitung und Wasserholen. Genauer kann man die erwartbaren Auswirkungen des Klimawandels auf Afrika zum Beispiel im fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC nachlesen.
Die Klimakrise trifft Afrika hart, zu ihrer Entstehung haben die afrikanischen Länder aber am wenigsten beigetragen.
Der Klimawandel ist mit den anderen globalen Gerechtigkeitskrisen verknüpft und ohne sie eigentlich nicht richtig zu verstehen. Das macht der Fall des AP-Fotos ohne Vanessa Nakate deutlich.
Die Nachrichtenagentur hat mittlerweile um Entschuldigung gebeten – in dem Entschuldigungstweet, der zu einer Nachricht über die interne Diskussion bei AP verlinkte, erwähnte AP allerdings nicht einmal Nakates Namen. "AP-Chefredakteur entschuldigt sich bei afrikanischer Klimaaktivistin", heißt es da nur. Sichtbarmachen sieht anders aus.
Lektüretipps
Weiße Menschen können nicht wissen, wie sich Rassismus anfühlt – aber sie können nicht-weißen Menschen zuhören und glauben. Und ihre Bücher zum Thema lesen. Zwei aktuelle Beispiele: