Arschak Makitschjan mit einem Fridays-for-Future-Schild.
Arschak Makitschjan demonstrierte monatelang mit einem Fridays-for-Future-Plakat auf dem Moskauer Puschkinplatz. (Foto: Schanna Ismailowa)

Als russischer Aktivist auf der Flucht kann ich die Ängste der Beschäftigten der Ölraffinerie in Schwedt nur zu gut verstehen. Der Krieg in der Ukraine hat alle meine Zukunftspläne zunichtegemacht – und bringt auch ihre durcheinander.

Aber gerade so, wie ich nicht in Putins Russland zurückkann, so kann auch Schwedt nicht weiter abhängig von Rosneft und Putins Öl bleiben. Wir müssen nach vorne schauen. Für Schwedt gibt es nur eine Antwort: Enteignung.

Die Druschba-Pipeline ist die längste Ölpipeline der Welt. Sie verbindet die Schwedter PCK-Raffinerie, die dem staatlichen russischen Mineralölunternehmen Rosneft gehört, mit dem russischen Öl. Druschba heißt auf Russisch Freundschaft – die Pipeline ist ein Relikt aus den Zeiten der sowjetischen Kontrolle über Osteuropa.

Jetzt, in den Zeiten eines neuen Krieges in Europa, werden Entscheidungen der Bundesregierung in Bezug auf die PCK-Raffinerie zeigen, wen Deutschland im 21. Jahrhundert als Freund betrachtet.

Trotz des EU-Ölembargos gegen Russland hat Deutschland allein im Juni eine Milliarde Euro für Öl an Russland gezahlt. In den ersten fünf Monaten von Putins Krieg gegen die Ukraine sind hunderte Milliarden Euro aus Europa nach Russland geflossen – und damit direkt in die Finanzierung des Krieges.

Schwedts Ölraffinerie bleibt das größte Hindernis für eine vollständige Durchsetzung des Embargos gegen russisches Erdöl durch Deutschland. Das bereitet der deutschen Regierung erhebliche Kopfschmerzen. Eine von der deutschen Regierung eingesetzte "Taskforce Schwedt" hat bislang keine Lösungen geliefert. Nur Rosneft hat vorgeschlagen, ab 2023 einfach Öl aus Kasachstan statt aus Russland zu nutzen.

Allerdings würde die Raffinerie dann immer noch Rosneft gehören, und die in Deutschland erwirtschafteten Profite würden weiter direkt an den russischen Staat gehen. Putin hätte weiter einen nicht hinnehmbaren Einfluss auf Deutschlands Energieversorgung, und der CO2-Ausstoß würde noch viele Jahre weitergehen.

Doch es gibt eine mutige Lösung, die mehreren der strategischen Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, auf einmal begegnen könnte: die vollständige Enteignung der Raffinerie. Dies ist der einzige Weg, der dazu beiträgt, Deutschlands finanzielle Unterstützung für Putins Krieg in der Ukraine zu beenden und zugleich für mehr Energiesicherheit zu sorgen, indem eine kritische Infrastruktur vor ausländischen Interessen geschützt und die Energiewende beschleunigt wird.

Das Gefühl der Unsicherheit ist verständlich

Im März dieses Jahres bin ich aus Moskau nach Berlin geflohen. In Moskau war ich Klimaaktivist – ein Mitstreiter in Russlands kleiner Fridays-for-Future-Bewegung. Als der Krieg ausbrach, protestierte ich gegen Putins Kriegstreiberei. Nachdem ich wegen meiner Teilnahme an Demonstrationen verhaftet worden war, mussten meine Partnerin und ich das Land aus Sicherheitsgründen verlassen. Jetzt versucht die russische Regierung, mir die Staatsbürgerschaft zu entziehen – wodurch ich staatenlos würde.

Mir geht es wie so vielen anderen: Dieser Krieg hat mein Leben vollkommen auf den Kopf gestellt. Ich lebe von einem Tag zum nächsten und kann meine Zukunft nicht planen.

Arschak Makitschjan

ist Umwelt- und Friedensaktivist. Er hat Fridays for Future in Russland mitgegründet. In Moskau studierte er Geige, musste aber das Land verlassen und lebt nun in Berlin im Exil.

Ein komplettes Ölembargo geht mit Unsicherheit für die Zukunft der PCK-Beschäftigten einher, und ich verstehe ihre Ängste. Beim PCK sind 1.200 Menschen direkt beschäftigt, und indirekt hängen viele weitere Menschen in Schwedt mit ihrem Einkommen von der Raffinerie ab.

Aber dass sie überhaupt in diese prekäre Lage geraten sind, ist das Ergebnis einer weitverbreiteten politischen Ignoranz. Für billiges Gas und Öl haben deutsche Politiker negative Folgen für Deutschlands Energiesicherheit, für seine europäischen Nachbarn, für unser globales Klima und – wie wir heute sehen – auch für die Sicherheit von Arbeitsplätzen in Kauf genommen.

Und das alles, weil sie unbedingt kurzfristige Profite sichern wollten und keine langfristige Vision für den Übergang zu sicheren erneuerbaren Energien und nachhaltigen Arbeitsplätzen hatten.

Nicht nachhaltige Industrien schaffen keine sicheren Arbeitsplätze

Die Enteignung der PCK-Ölraffinerie ist eine Chance, der Region wieder eine Zukunft zu geben – eine Chance, Putin seine Profite zu nehmen und sie in erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff zu investieren und damit stabile Industriearbeitsplätze für die Menschen vor Ort zu schaffen.

Deutschlands Klimaziele, darunter das Ende der Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035, bedeuten, dass die Erdölindustrie hier langfristig keine Zukunft hat. Die Uckermark produziert schon heute mehr erneuerbare Energie, als sie verbrauchen kann. Den jungen Menschen in Schwedt ist bewusst, dass der Wandel kommen muss, und sie sehen den Chancen, die mit sauberen Technologien verbunden sind, mit Optimismus entgegen.

Blockiert Brandenburgs Landesregierung diesen Wandel, wird sie die PCK-Beschäftigten nicht vor einer unsicheren Zukunft bewahren, sondern im Gegenteil auf lange Zeit im Ungewissen lassen. Die vom Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Michael Kellner, geleitete Taskforce Schwedt darf Entscheidungen nicht länger aufschieben.

Das Hinauszögern wird nur dafür sorgen, dass Putin weiterhin von Schwedt profitiert – durch Öleinnahmen, durch Erpressung des deutschen Staats durch Gas- und Ölhahn-Spielchen, durch eine Spaltung der deutschen Gesellschaft.

Die Raffinerie stellt Deutschland vor die Entscheidung, wer seine wahren Freunde sind: Sind es die vielen Menschen, die sich nach einer Zukunft in Frieden, Sicherheit und einer gesunden Umwelt sehnen? Oder ist es Putin mit seinen imperialistischen Ambitionen?

Ich fordere Sie auf, mutig zu sein und das Mögliche zu tun: Holen Sie sich das Schwedter Werk von Rosneft zurück, stoppen Sie den Geldfluss zu Putins Kriegskasse und investieren Sie das Geld stattdessen in Energiewende und Transformation. Unterstützen Sie die Beschäftigten in Schwedt und die Region mit allem, was nötig ist. So stehen Sie zu den Menschen in der Ukraine und zeigen, wer wirklich Ihre Freunde sind.

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