Letzter Freitag, es ist globaler Klimastreik von Fridays for Future – und ich sitze zu Hause vor meinem Computer. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, als wir vor Monaten mit den Planungen begonnen haben, aber wir sind eben mitten in einer Pandemie.
Massenhafte Demonstrationen sind gerade schlicht keine gute Idee. Deswegen haben wir umgeplant. In der Klimakrise verlangen wir, dass auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse gehandelt wird, dasselbe muss auch jetzt gelten.
Das heißt: Anstelle der Straßen fluten wir das Netz. In mehreren Ländern gibt es Livestreams, in denen einzelne Aktivist:innen unsere Forderungen vortragen, Musiker:innen ihre Lieder spielen, Prominente Video-Botschaften senden und, und, und. Die Social-Media-Kanäle sind voller Post mit dem Hashtag #fighteverycrisis. Jede Krise bekämpfen.
Der globale Netzstreik war ein Erfolg, würde ich sagen. Wir waren allein in Deutschland Zehntausende. Die größte Online-Demo, die es je gab. Bundeskanzlerin Merkel hat unsere Aktion in einer Pressekonferenz erwähnt. Die Presse hat berichtet.
Ich hatte sogar das Gefühl, dass manche Journalist:innen sich gefreut haben, mal wieder über etwas anderes als Corona zu berichten. Ihren Leser:innen geht es wahrscheinlich ähnlich. Langsam ist die neue Krise Alltag und es ist wieder Platz im Kopf für andere Nachrichten, die eben auch aktuell sind.
Protest ist systemrelevant
Aber auf der anderen Seite: Zu Beginn des Streiks konnte sich zumindest bei mir nicht dieses wunderbare Aufbruchsgefühl einstellen, das ich sonst bei Demobeginn habe. Und zum Ende konnten wir uns nicht in die Arme fallen und uns gegenseitig bestärken.
Diese kleinen Dinge helfen sonst gegen die Ängste, die wir alle haben, wenn es um die Klimakrise geht. Außerdem helfen sie dabei, sich wirklich als Teil einer großen Bewegung zu fühlen.
Und dann ist auch fraglich, wie viele Menschen wir mit dem Online-Streiken überhaupt erreichen. Auf der Straße sind wir zumindest für das direkte Umfeld nicht zu überhören. Aber im Netz? Da bestimmen Algorithmen, wer was sieht oder hört.
Sehr wahrscheinlich erreicht man dort vor allem die, die sich eh für uns interessieren, oft auf unsere Postings reagieren oder uns folgen. Und wer uns nicht hören will, stellt eben einfach den Ton auf seinem Handy ab. Obwohl das Netz so viel größer erscheint als jede Straße, bleiben wir dort unter uns in unseren Blasen.
Elena Balthesen
ist 18 Jahre alt und geht in die 12. Klasse einer Waldorfschule in München. In ihrer Kolumne "Balthesens Aufbruch" macht sie sich auf die Suche nach Wegen für ihre Generation, aus der Klimakrise herauszukommen. Sie ist bei "Fridays for Future" in München aktiv.
Es ist nicht absehbar, wie lange wir noch auf großen Straßenprotest verzichten müssen. Unsere Möglichkeiten in Zukunft sind ungewiss wie die von allen anderen auch. Wir versuchen, das Beste daraus zu machen.
Langfristig müssen wir aber wieder raus aus dem Netz. Aber auch zurzeit ist demokratische Teilhabe unglaublich wichtig, gerade jetzt. In der Coronakrise und auch sonst ist Protest sozusagen systemrelevant.
Und er muss kreativ werden. Wir müssen Wege finden, sichtbar zu werden, ohne unsere Gesundheit oder die anderer Menschen zu gefährden.
Bei Fridays for Future wollen wir die nächsten Wochen wieder laut werden. Kleinere Proteste werden hier und da wieder erlaubt sein, mit Abstand und Hygiene natürlich.
Die Coronakrise zwingt uns dazu, den Selbstfindungsprozess voranzutreiben, in dem Fridays for Future ohnehin schon war. Wird Schulstreik jeden Freitag zu langweilig auf Dauer? Welche Protestformen passen sonst noch zu uns? Wohin entwickeln wir uns? Solche Fragen müssen wir uns jetzt stellen, weil Weitermachen einfach keine Option ist.
Der Klimawandel lässt sich nicht verschieben
Und später, wenn es wieder möglich wäre, machen wir dann einfach so weiter wie bisher? Wahrscheinlich nicht. Wie das dann aussehen wird, weiß niemand. Aber ich habe keinen Zweifel daran, dass es uns dann noch geben wird.
Die Klimakrise wird schließlich auch noch da sein, auch wenn man durch die Verschiebung der nächsten Weltklimakonferenz und sonstiger Klimapolitik fast meinen könnte, dass auch der Klimawandel verschoben wurde. Sollen wir uns darum erst wieder kümmern, wenn Corona vorbei und alles wieder normal ist?
Das geht natürlich nicht. Und auch vor Corona war ja nicht alles normal. Die gefühlte Normalität war eine Krise, auch wenn der Klimawandel nicht so leicht mit bloßem Auge sichtbar ist.
All die gescheiterten Verhandlungen, unzureichenden Ziele, die Klimaungerechtigkeit, unsere destruktive Wirtschaftsweise. Dahin können wir nicht zurück. Man kann es momentan überall lesen, diese Tragödie sei auch eine Chance – und das stimmt auch.
Aber nicht nur dafür, hinterher allgemein Krisenmanagement gelernt zu haben oder Pflegeberufe besser zu behandeln.
Sondern dafür, diese Zeit als eine Phase der Transformation zu nutzen, bei der wir unser System nachhaltig verändern können. Dafür braucht es jetzt Proteste.