Die Renaturierung des Moors startet mit einem braun-beigen Pappkarton. "Moor kann mehr" steht auf dem Karton, den Claudia Bühler, Vorständin der Michael-Otto-Umweltstiftung, in die Höhe reckt. Die Ecken des neuartigen Otto-Versandkartons sind mit zwei roten Rohrkolben bedruckt. Warum dieser Karton etwas Besonderes ist, wird eineinhalb Stunden später und rund zwölf Kilometer entfernt klar.

 

Ein schmaler Fluss fließt in der Uckermark im Nordosten Brandenburgs: die Sernitz, eingebettet in einen 800 Hektar großen Moorkörper. Dessen Ursprung liegt in der Eiszeit. Heute gilt das Sernitzmoor als das bedeutendste Quellmoor Brandenburgs.

Doch der naturzerstörende Geist der "trockenlegenden Wirtschaftlichkeit" schleicht seit Jahrhunderten durch Deutschland und entzieht den Mooren ihre Kraft. Über lange Zeit hinweg wurden Moore entwässert, um sie landwirtschaftlich zu nutzen oder Torf zu gewinnen. In den 1970er Jahren erlitt auch die Sernitz-Niederung erhebliche Wasserverluste.

Der alte Geist bleibt aber nicht unangefochten. Mithilfe der Tomoorow-Initiative, eines Projekts der Otto-Stiftung und der Michael-Succow-Stiftung, sollen Moore wiedervernässt und auch wirtschaftlich nutzbar gemacht werden.

"Leider sehr trocken"

Zum Sernitz-Moor reist man vom Städtchen Angermünde gut ein Dutzend Kilometer ins Land bis zum Rande des Ortes Günterberg. Zusammen mit einer Gruppe Moor-Interessierter fährt auch der Pappkarton mit.

Der Weg führt hügelabwärts, an Feldern und Wiesen entlang. Der Boden unter den Füßen ist fest. Die Landschaft, die sich hier entfaltet, gleicht für das ungeschulte Auge eher einer Weide. Weder Gummistiefel noch hochgekrempelte Hosen sind beim Übergang ins Moor nötig.

Karte mit einer Luftaufnahme der Sernitz-Moorfläche, man sieht die vielen parallelen Entwässerungsgräben.
80 von 450.000 Hektar: Maßnahmenplan zur Wiedervernässung der Sernitz-Moorfläche. (Bild: Pia Hesse)

Wer genauer hinsieht, erkennt dunklen, organischen Boden, erklärt Jan Peters von der Tomoorow-Projektleitung. "Das ist Torf", sagt er – und fügt hinzu: "Leider sehr trocken, sehr krümelig."

Mystische Moor-Magie sucht man hier vergebens. Beim Anblick kahler Erlen und gelblich-strohiger Gräser fordert die Wirklichkeit die Fantasie heraus. "O schaurig ist's übers Moor zu gehn", dichtete Annette von Droste-Hülshoff. "Unter jedem Tritte ein Quellchen springt, / Wenn aus der Spalte es zischt und singt!" Das kann schwerlich hier und jetzt sein.

Rund 80 Hektar Sernitzer Torfwiese will die Initiative allein dieses Jahr wiedervernässen. Das soll nicht nur den Wasserhaushalt stabilisieren, sondern auch der Biodiversität zugutekommen. Dann kann das Moor-Konzert wieder erklingen: Kröten quaken, Libellenflügel sirren und der Wind raschelt durchs Schilf.

Schon in den 1990er Jahren gab es in der Sernitz-Niederung erste Renaturierungsversuche. Das EU‑Projekt "Schreiadler" hat zwischen 2011 und 2019 Teile des Gebiets wiedervernässt.

Andere Flächen blieben trocken, eine davon ist das heutige Tomoorow-Gebiet. Es gehört zu den 350 Hektar, die der Succow-Stiftung aus dem Nationalen Naturerbe übertragen wurden.

Auf die Plätze, fertig, nass!

Nun lockt der Start des Projekts auch politische Prominenz ins trockene Moor. Vier Spaten stecken tief in einem Haufen aus dunklem Torfboden. Hinter jedem steht einer der Projekt-Initiatoren: die Stifter Michael Succow und Michael Otto sowie an Spaten drei und vier die geschäftsführende Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, beide von den Grünen.

Symbolisch: Michael Succow, Michael Otto, Steffi Lemke und Cem Özdemir (v.l.n.r.) beim Spatenstich. (Bild: Pia Hesse)

Die vier gehen in Position, ein Fuß auf dem Torf-Hügel, der andere fest auf dem Boden. Kurz nach dem Griff zum Spaten und einem Lächeln in die Kameras fliegt auch schon Erde in den davorliegenden Graben.

Es ist einer der 14 Entwässerungsgräben, die in der ausgewählten Fläche nun verfüllt werden, damit das Wasser nicht mehr abfließt, sondern sich staut. Die Wiedervernässung des Moors ist damit "eröffnet".

Mit Blick auf Succow und Otto scherzt Steffi Lemke: "Es ist mir wirklich eine Ehre, mit euch beiden heute hier zu stehen und einmal auch ernsthaft für das Moor gearbeitet zu haben. Zumindest für eine halbe Minute", sagt sie.

Für den Tag hat Lemke ihren Blazer gegen wetterfeste Kleidung und Wanderschuhe getauscht, so auch Özdemir. Gummistiefel tragen beide nicht. In einem Jahr, hofft Özdemir, wird man sie dann aber doch brauchen, um das Moor zu betreten.

Was Mensch und Spaten nicht schaffen, übernimmt dann eine Maschine. Mit dem Bagger werden auch alte Drainagesysteme am Ende der Entwässerungsgräben entfernt. Der Boden wackelt mit jeder Schaufel Torf, die das Gerät aus dem Boden hebt.

Keine leichte Sache: Entfernung der Stauanlage am Ende des Entwässerungsgrabens mit dem Bagger. (Bild: Pia Hesse)

Keine einfache Aufgabe, immer wieder kippt der kleine Bagger nach vorn, als er das alte Staurohr aus dem Boden zu heben versucht. Platschend fällt das Rohr zurück ins Grundwasser. Fünfzehn Minuten später hat das Hin und Her aber ein Ende.

Ein ausgehängter Maßnahmenplan zeigt die kommenden Schritte zum nassen Moor: Weitere Entwässerungssysteme werden deaktiviert, und mit gezielten Stauanlagen und Stützschwellen soll der Wasserhaushalt im Gebiet reguliert werden.

Finanziert wird das Vorhaben mit zwei Millionen Euro vom Landwirtschaftsministerium, eine weitere Million kommt von der Otto-Umweltstiftung.

Das Wetter an diesem Apriltag wirkt wie ein stiller Kommentar zum klimatischen Zustand der Region. Die Sonne scheint, doch der Wind ist kalt und auch vom Himmel her bleibt es trocken. Frank Bretsch, Vize-Landrat der Uckermark, mahnt: Im März seien nur rund fünf Prozent der üblichen Niederschlagsmenge gefallen, dazu war es noch drei Grad wärmer als sonst. Die Moore dursten.

Das gute alte Moor

Auch der renommierte Moorschützer Michael Succow dämpft gleich nach dem Startschuss die Euphorie: "Woher wollen wir das Wasser bekommen?"

Das in der Region verfügbare Grundwasser wird für die nötige Wiedervernässung des Moors nicht ausreichen. Der Wasserhaushalt der Landschaft sei bereits jetzt hochgradig angespannt, warnt Succow. "Das ist der Klimawandel."

Laut einem wasserwirtschaftlichen Gutachten im Auftrag der Landkreise Uckermark und Barnim gehört die Region mit jährlichen Niederschlagsmengen von nur 450 bis 650 Millimetern zu den trockensten Gebieten Deutschlands.

Moore

Moore zählen zu den wirksamsten CO2-Speichern aller Landlebensräume. Obwohl sie nur etwa drei Prozent der Erdoberfläche bedecken, binden sie doppelt so viel Kohlenstoff wie sämtliche Wälder zusammen.

Wird ein Moor jedoch entwässert, oxidiert der im Torf gespeicherte Kohlenstoff. Neben Kohlendioxid werden auch andere Treibhausgase wie Methan und Lachgas freigesetzt, wodurch aus einem Klimaretter ein Klimakrisenbeschleuniger wird.

In Deutschland stammen rund sieben Prozent der Treibhausgasemissionen aus trockengelegten Mooren. Von einst rund 1,5 Millionen Hektar Moorflächen sind heute etwa 95 Prozent durch Landwirtschaft, Entwässerung oder Torfabbau tot. So gelangen jährlich rund 54 Millionen Tonnen CO2‑Äquivalent in die Atmosphäre.

Das Sernitz-Moor ist Teil des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin, erstreckt sich über etwa 800 Hektar – und steht nun beispielhaft für eine Kehrtwende.

Schwer vorstellbar, dass auf den Moorflächen einmal ein ganz anderer Wind wehte. Auf dem offenen Feld erinnert sich Succow an die frühere Landschaft: an Schreiadler in der Luft und Rohrdommeln, die überall zu hören waren, an basenreiche Seggenriede mit kleinen und großen Seggen, zwischen denen Fieberklee und Orchideen blühten. "Eine Landschaft, wie man sie sich heute kaum noch vorstellen kann", so der über 80-jährige Ökologe.

Schon vor 50 Jahren war Succow in diesem Moor unterwegs. Steffi Lemke mit ihrer Ostbiografie weiß noch, dass Succow die Moore damals kartierte und schon zu dieser Zeit den Entscheidern bescheinigte, dass die geplante intensive agrarische Nutzung aufgrund der uneinheitlichen Wasserstände äußerst schwierig und problematisch würde.

So ein Ton sei damals, als Trockenlegung vor Moorschutz ging, nicht üblich gewesen, sagt Lemke.

Geschäftsmodell Moor

Ökologie und Ökonomie sollen nun beim Sernitz-Projekt Hand in Hand gehen. Da kommt der Versandkarton wieder ins Spiel. Er ist das Produkt einer künftigen Wertschöpfungskette, die Moorschutz und Wirtschaftlichkeit vereint.

Der Karton besteht in Teilen aus pflanzlicher "Paludi-Biomasse", die auf wiedervernässten Moorböden wächst, etwa Schilf, Torfmoose oder Seggen. Zukünftig soll der Versandkarton noch grüner und mooriger werden: "Wir haben vor, den Anteil der Biomasse auf 20 Prozent zu erhöhen", verkündet Michael Otto. Der Markt soll weiter angekurbelt werden.

Das sieht auch Projektleiter Peters so. Neben der deutschlandweiten Wiedervernässung der rund eine Million Hektar großen Moorflächen, die entwässert und in landwirtschaftlicher Nutzung sind, steht für ihn die Wirtschaftlichkeit ganz weit oben.

Wichtig sei vor allem, Wertschöpfungsketten aufzubauen, um die Biomasse, die von diesen nassen Mooren in sogenannten Paludikulturen geerntet wird, auch wirtschaftlich nutzen zu können.

Neben dem Anbau moortypischer Pflanzen ist auch eine tiergerechte Haltung zum Beispiel von Wasserbüffeln möglich. Die Biomasse kann dann nicht nur zur Produktion von Versandkartons dienen, sondern auch als Futtermittel oder Baustoff.

 

Doch bislang steckt der Paludi-Markt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Dafür müssten deutlich mehr Moorflächen wiedervernässt und Paludikulturen in größerem Maßstab etabliert werden.

Eine Studie des Umweltbundesamtes kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2030 rund 450.000 Hektar – knapp ein Drittel der deutschen Moorböden – für die Produktion von Paludi-Biomasse zur Verfügung stehen könnten. Das entspricht in etwa der Fläche des Ruhrgebiets.

Die 80 Hektar des Sernitz-Moors wirken im Vergleich dazu zwar klein, sind aber ein wichtiger erster Schritt – ein "Na geht doch"-Moment für den Moorschutz.