Aus Gruppentherapien ist das bekannt: Fällt ein Team auseinander, gönnt sich nicht das Schwarze unter den Fingernägeln und ist der Chef auch noch unfähig, hilft mitunter nur ein Ordnungsruf oder ein unerwarteter Impuls von außen.

Der Eindruck stellt sich ein, sieht man darauf, wie der Weltklimagipfel in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku auf die Beschlüsse des G20-Gipfels in Rio reagiert – als hätte es das "Go" der Staats- und Regierungschefs aus Brasilien gebraucht.

 

Diese hatten sich in ihrer Abschlusserklärung dafür ausgesprochen, in Baku am Ende auch wirklich ein neues kollektives und bezifferbares Ziel für die Klimafinanzierung zu beschließen, das sogenannte New Collective Quantified Goal (NCQG). Natürlich nannten die Chefs in Rio keine konkreten Zahlen. Das überlassen sie ihren Verhandlern in Baku.

Der G20-Gipfel hält in der Erklärung am Pariser 1,5-Grad-Ziel fest und widmet sich auch den fossilen Energien. Zwar wird der Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl nicht explizit erwähnt, aber zumindest die schrittweise Einstellung "ineffizienter Subventionen" für fossile Energieträger.

Milliardärs-Steuer hat große Wirkung auf Baku

Am stärksten wirkt bis nach Aserbaidschan – das zeigen die Reaktionen – die von den G20 beschlossene Absicht, bei einer Besteuerung von Milliardenvermögen zusammenzuarbeiten und Individuen mit einem "ultrahohen Vermögen" effizient zu besteuern.

Die brasilianische Regierung, die derzeit den G20-Vorsitz innehat, hatte dazu bereits im Vorfeld eine Vermögenssteuer von mindestens zwei Prozent jährlich ins Gespräch gebracht, die die weltweit etwa dreitausend Milliardäre erfassen sollte. Diese Steuer könnte schätzungsweise 200 bis 250 Milliarden US-Dollar pro Jahr einbringen.

Niedrige Konferenzhalle mit bestuhlten Tischen, an denen gearbeitet wird.
Nüchterne Arbeitsatmosphäre herrscht in den Delegationen, wenn die Gespräche und Plenumssitzungen vor- und nachbereitet werden. (Bild: Jörg Staude)

Eine am Dienstag veröffentlichte Analyse von Umwelt- und Entwicklungsverbänden veranschlagt das Aufkommen einer derartigen Superreichen-Steuer auf etwa 180 bis 230 Milliarden Dollar jährlich. Von dem Geld könnte dann bis zur Hälfte für die internationale Klimafinanzierung eingesetzt werden, wird weiter vorgeschlagen.

Die Analyse zeigt übrigens für Deutschland zusätzliche Geldquellen von bis zu 96 Milliarden Euro auf. Mit denen könnte die Bundesregierung ihrer Verantwortung für die internationale Klimafinanzierung nachkommen, meinen die Autorinnen und Autoren.

Länder mit hohen Wachstumsraten sollen mehr tun

Zurück nach Baku: Für Simon Stiell, Exekutivsekretär der UN-Klimarahmenkonvention, haben die G20-Staaten eine klare Botschaft an ihre Verhandler in Aserbaidschan gesandt: Sie sollten Baku nicht ohne ein erfolgreiches neues Finanzziel verlassen. Dies liege im Interesse aller Länder.

Der deutsche Chefverhandler Jochen Flasbarth sieht die G20-Beschlüsse als einen "soliden Input" für den Klimagipfel. Ihm ist besonders das klare Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel wichtig.

Man müsse sich immer vor Augen halten, wer bei der G20 alles mit am Tisch sitze, sagte Flasbarth bei einem Medientermin. Übersetzt heißt das wohl: Das sind bei Weitem nicht alles engagierte Klimaschützer.

Auch Jennifer Morgan begrüßt die G20-Beschlüsse. Deutschlands Klimabeauftragte hat vor allem den "modernen Finanzansatz" im Blick, der alle Quellen anzapfen möchte. Genauso müsse man auch in Baku an die Fragen herangehen, sagte Morgan. Dabei müssten die Länder mehr leisten, die in den letzten Jahren hohe Wachstumsraten hatten.

Die Verantwortung, ob sich der Gipfel bei der Klimafinanzierung einigt, liegt für die Klimabeauftragte jetzt maßgeblich bei der aserbaidschanischen Konferenzpräsidentschaft. Diese setze sich bei dem Thema auch ambitioniert ein, ein gutes Ergebnis sei hier noch möglich, betonte Morgan.

Öl- und Gaslobby bremst fossilen Ausstieg aus

Anders und deutlich schlechter stellt sich die Lage bei der Treibhausgasreduktion dar, die über die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits entscheidet. Auf dem Weltklimagipfel wird die Minderung unter dem Begriff "Mitigation Work Program" verhandelt. Hierzu hat die G20 dem Gipfel offenbar nur einen rettenden Strohhalm herübergereicht.

Jennifer Morgan fordert die Gipfelpräsidentschaft am Dienstag fast ultimativ auf, bei der Treibhausgasminderung mit "Hochgeschwindigkeit" und nicht im Bummelzug zu fahren. Bis dato lägen zu dieser Frage nur "weiße Blätter Papier" vor, kritisierte sie die Lage so scharf wie nie in den vergangenen Tagen.

COP 29 in Baku

Bei der 29. UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan geht es um ein neues Ziel für die internationale Klimafinanzierung. Klimareporter° ist mit einem Team vor Ort und berichtet täglich.

Wer konkret blockiert, dazu äußert sich Morgan nicht. Auf den Konferenzfluren ist aber zu hören, dass vor allem Öl- und Gasförderländer wie Saudi-Arabien nahezu alles und jedes blockieren.

Für Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser zeigen die G20-Beschlüsse, dass die Öl- und Gaslobby den dringend nötigen Ausstieg aus den fossilen Energien bis in die Verhandlungen in Baku hinein ausbremst. Die in wenigen Tagen die deutsche Verhandlungsführung übernehmende Bundesaußenministerin Annalena Baerbock müsse jetzt den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas gemeinsam mit den besonders verletzlichen Ländern durchsetzen, meint Kaiser. "Wir brauchen keine Klimakonferenzen, die keine Fortschritte beschließen."

 

Auch für WWF-Klimareferentin Viviane Raddatz hätte das G20-Signal stärker ausfallen müssen, damit es in Baku sicher ankommt. Dieses Signal aus Rio müssten die Verhandelnden in Baku nun selbst verstärken, um gute Ergebnisse zu erzielen.

Die Hoffnung, ob diese "Verstärkung" gelingt, ist nicht mehr als ein Strohhalm. Auch bleibt nicht mehr viel Zeit, um die Gruppentherapie in Baku zu einem halbwegs akzeptablen Ende zu bringen.