Eingang in die "Blue Zone", den eigentlichen Arbeitsbereich des Klimagipfels in Baku. Die Hoffnungen auf Fortschritte bei der COP 29 sind begrenzt. (Bild: Jörg Staude)

Klimareporter°: Frau Morgan, Klimaschutz wurde früher mit den Gefahren der Klimakrise begründet. In letzter Zeit wird immer öfter Sicherheit, nicht zuletzt die nationale Sicherheit, als zentrales Argument bemüht. Warum dieser Wandel im Narrativ?

Jennifer Morgan: Die Auswirkungen des Klimawandels werden immer präsenter. Wir sehen, wie sich dadurch Konflikte verschärfen und welche Sicherheitsbedrohung davon ausgeht. Wie Außenministerin Baerbock betont hat, ist die Klimakrise mittlerweile die größte Sicherheitsherausforderung unserer Zeit. Darauf müssen wir reagieren.

Wir sehen, dass beispielsweise auch die Nato zuletzt eine Klimastrategie verabschiedet hat. Aber das ist natürlich nicht der einzig relevante Aspekt. Die zunehmenden Extremwetterereignisse bringen unheimliche Kosten für die Wirtschaft mit sich. Das gilt für Deutschland, für Spanien, für Brasilien genauso wie für kleine Inselstaaten.

Ich bin seit 30 Jahren bei diesen Verhandlungen dabei. Früher habe auch ich über die Klimakrise als etwas in der fernen Zukunft gesprochen. Mittlerweile beeinflusst sie das tägliche Leben jedes Menschen. Egal ob direkt oder über steigende Lebensmittelpreise und Versicherungsprämien. Dass diese Dinge mit dem Verbrennen fossiler Energieträger zu tun haben – das ist wichtig zu erklären.

Nicht nur Scholz, Biden und Macron blieben dem Gipfel fern, sondern auch zahlreiche Staatschefs aus afrikanischen Ländern. Verlieren die Entscheider:innen angesichts des Wahlsiegs von Donald Trump ihr Vertrauen in die Klimagipfel?

Nein, viele Staats- und Regierungschefs sind gekommen, das dürfen wir nicht unterschlagen. Worauf es am Ende aber ankommt, ist nicht die Anzahl der Staatschefs, sondern was wir in den Verhandlungen erreichen.

Es ist in vielen Ländern gerade eine komplizierte Zeit. Aber das heißt nicht, dass dieser Gipfel oder der Weg zur Klimaneutralität weniger priorisiert werden. Letzte Woche in Budapest unterstrichen die EU-Regierungschefs, der erste klimaneutrale Kontinent werden zu wollen. Das ist ein starkes Signal.

Und ja: Die Klimagipfel sind nach wie vor extrem wichtig. Jedes Land hat hier einen Platz am Tisch, auch kleine Inselstaaten und die ärmsten und verletzlichsten Länder. Letztes Jahr haben wir in Dubai die Abkehr von Fossilen beschlossen und eine Verdreifachung der erneuerbaren Energien. Das war hart umkämpft, gerade weil es einen Unterschied macht.

Diese Entscheidungen beeinflussen jeweils die nationale Klimapolitik, und das weltweit. Und diese Klimapolitik entscheidet am Ende darüber, ob in Erneuerbare oder Fossile investiert wird. Diese Verhandlungen können nicht ersetzt werden.

Der US-Klimabeauftragte John Podesta hat erklärt, was die USA in den Verhandlungen zur Klimafinanzierung erreichen wollen. Aber was für ein Gewicht hat ein Land wie die USA, von dem jeder weiß: Die sind nächstes Jahr raus?

Stand jetzt sind die USA dabei. Sie sind der größte historische Emittent der Welt. Deshalb ist natürlich wichtig, was sie hier sagen. Wir verhandeln hier über ein Finanzziel für die nächsten zehn Jahre. Das heißt, es wird für die nächste und die darauffolgenden US-Regierungen gelten. Wir begrüßen deshalb, dass sich die USA an den Verhandlungen beteiligen.

Porträtaufnahme von Jennifer Morgan bei einem Interview.
Bild: IISD/ENB

Jennifer Morgan

ist seit März 2022 Staats­sekretärin und Sonder­beauftragte für inter­nationale Klima­politik im Auswärtigen Amt. Die gebürtige US-Amerikanerin war Klima­aktivistin und leitete später das Klima­programm unter anderem beim WWF und beim World Resources Institute. Von 2016 bis 2022 war sie Co-Chefin von Green­peace Inter­national.

In einem offenen Brief fordern verschiedene COP-Veteranen wie Ex-UN-Chef Ban Ki-moon Reformen am Gipfel-Format. In ihrer jetzigen Form seien die Klimagipfel nicht fähig, schnell und umfassend genug die nötigen Veränderungen herbeizuführen.

Die Unterzeichner Christiana Figueres und Johann Rockström haben beide klar gesagt, dass sie der COP 29 Erfolg wünschen. Sie wissen, wie wichtig die COPs sind, glauben aber, der Prozess könne besser werden.

Und klar, es gibt bei allen Dingen Luft nach oben. Deshalb hat auch das UN-Klimasekretariat bereits einen Prozess angefangen, um Reformen zu diskutieren. Seit letztem Jahr müssen die Teilnehmer etwa offenlegen, für welche Organisation sie da sind. Das schafft mehr Transparenz.

Das Gastgeberland hat die Aufgabe, zwischen den Ländern zu vermitteln, wenn es schwierig wird. Gleichzeitig hat Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew in seiner Eröffnungsrede westliche Politiker:innen, Medien und NGOs der Heuchelei bezichtigt. Hilft ein Mediator, der so scharf gegen manche Länder schießt?

Jede Präsidentschaft wird am Ende am Ergebnis gemessen. Die aserbaidschanische Konferenzpräsidentschaft muss nun beweisen, dass sie ihrer Aufgabe gewachsen ist. Bisher erlebe ich sie in den Verhandlungen als professionell und kohärent.

Außenministerin Annalena Baerbock hat vor Konferenzbeginn gesagt, dass es aufgrund der schwierigen Haushaltslage für Deutschland keinen Raum für mehr Klimafinanzierung gebe. Lässt sich unter dieser Prämisse verhandeln?

Es geht hier um einen neuen Ansatz für die Klimafinanzierung. Wir verhandeln hier ein Ziel für die nächsten zehn Jahre. Es geht also nicht um konkrete nationale Beiträge.

Was Deutschland beitragen kann, wird im Nachgang der Konferenz beschlossen und ist damit Aufgabe der nächsten Bundesregierung. Mit Blick auf unseren Beitrag der letzten Jahre müssen wir den internationalen Vergleich nicht scheuen. Das gibt uns viel Glaubwürdigkeit.

Trotzdem drängt sich die Frage auf, wie Deutschland einem höheren Finanzierungsziel zustimmen und gleichzeitig sagen kann: Wir heben unseren Beitrag aber nicht an.

Wir setzen uns hier für ein ambitioniertes Ziel ein, das aber gleichzeitig auch realistisch ist. Dazu gehört, dass alle Länder, die etwas leisten könnten, aber das bisher nicht tun, mitziehen.

Es geht hier wirklich um einen Paradigmenwechsel, um einen neuen Ansatz, in dem auch viel mehr private Mittel gehebelt werden sollen.

Es geht auch nicht immer nur ums Geld. Vielen afrikanischen Ländern geht es etwa konkret darum, dass die Kapitalkosten etwa für erneuerbare Energien sinken. Deshalb reden wir hier über detaillierte Möglichkeiten einer neuen Klimafinanzarchitektur.

COP 29 in Baku

Bei der 29. UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan geht es um ein neues Ziel für die internationale Klimafinanzierung. Klimareporter° ist mit einem Team vor Ort und berichtet täglich.

Wo stehen die Verhandlungen nach der ersten Hälfte des Gipfels? Die Fronten scheinen völlig verhärtet zu sein.

Am Samstag haben sich die Verhandler nochmal getroffen und sind den in der ersten Woche verhandelten Text durchgegangen. Jetzt ist der Text in den Händen der COP-Präsidentschaft und es geht weiter auf ministerieller Ebene.

Gleichzeitig finden viele bilaterale Gespräche statt, die wichtig sind, um die Verhandlungen nach vorne zu bringen. Ich habe letzte Woche zwei Stunden mit dem chinesischen Vize-Umweltminister geredet und zuvor auch mit dem Sonderbeauftragten von Saudi-Arabien und dem Premierminister von Tonga.

Wir als Deutschland haben eine große Glaubwürdigkeit und spielen eine wichtige Rolle. Und ich merke, alle Länder sind hier, um Lösungen zu finden.

Eine Forderung der Klimagerechtigkeitsbewegung, etwa von Debt for Climate, ist ein bedingungsloser Schuldenschnitt für die Länder des globalen Südens. Auch wenn das hier nicht entschieden werden kann, spielt das Thema Überschuldung überhaupt eine Rolle?

Die Überschuldung ist ein zentrales Problem für viele Länder und wir nehmen das sehr ernst. Was der Klimagipfel erreichen kann, ist, mit einem neuen Ansatz bei der Klimafinanzierung ein Signal an die zuständigen Entscheidungsgremien zu senden, insbesondere an die G20.

Deutschland versucht bilateral zu unterstützen, aber für wegweisende Entscheidungen müssen alle großen Gläubiger an den Tisch, auch private Gläubiger sind dafür relevant.

 

Auf vergangenen Konferenzen gab es ein quid pro quo, ein Geben und Nehmen. Es wurde über Geld, aber auch über Emissionsreduktion gesprochen. Hier in Baku scheint Letzteres kaum eine Rolle zu spielen.

Das stimmt nicht. Auch darüber haben wir schon stundenlang verhandelt. Wir wollen auf dieser COP die Umsetzung vergangener Einigungen konkretisieren.

Das bedeutet zum Beispiel, Fortschritte beim Ausbau von Stromspeichern und Stromnetzen zu erzielen. Zudem ist klar: Es braucht einen globalen Kohleausstieg, auch für klare Bekenntnisse hierzu setzt sich die EU ein.

Das ist vielleicht nicht so präsent, weil der Fokus der Medien auf dem Finanzierungsteil der Verhandlungen liegt. Aber wir arbeiten sehr eng mit den 150 Ländern zusammen, die letztes Jahr die Abkehr von fossilen Energien und die Verdreifachung der Erneuerbaren beschlossen haben.

Denn klar ist: Der beste Weg, um Schäden und Verluste zu vermeiden, ist Emissionsreduktion.