Brücke über die Wupper mit Stauwehr, im Vordergrund ein gelbes Schild: Betreten der Anlage und Baden verboten – Lebensgefahr.
Am Wehr der Wupper-Vorsperre: Dass die Lebensgefahr immer stärker vom Klimawandel ausgeht, spiegelt sich in behördlichen Regelungen noch nicht wider. (Foto: Frank Vincentz/​Wikimedia Commons)

Die katastrophale Flut in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zeigte zwei Typen zerstörerischer Hochwasser: Zum einen schwollen unregulierte Flüsse und teilweise unscheinbare Bäche von jetzt auf gleich zu reißenden Fluten an. Zum anderen liefen an regulierten Flüssen Talsperren über.

In letzterem Fall war offenbar in den Tagen zuvor nicht genug Stauraum geschaffen worden, um den eigentlichen Zweck der Talsperren – den Hochwasserschutz – auch zu erfüllen.

Die Aufarbeitung in den beiden am schwersten betroffenen Bundesländern und bei den Wasserverbänden, die die Talsperren betreiben, vermittelt bisher den Eindruck: An den zweiten Hochwasser-Typ, an das Talsperren-Problem geht man nur mit ganz spitzen Fingern heran.

Das Umweltministerium von Nordrhein-Westfalen, das die Aufsicht über das Talsperrenmanagement der Wasserverbände des Landes innehat, legte am 25. August einen 500 Seiten starken "Zweiten fortgeschriebenen Bericht" zu den Hochwasserereignissen vor.

In Rheinland-Pfalz beschloss der Landtag am 31. August, zur Untersuchung eine Enquete-Kommission einzurichten. Der Fragenkatalog für die Enquete wurde vorgelegt.

Des Weiteren erhielt der Stadtrat von Wuppertal eine Analyse, die von der Stadtverwaltung in Kooperation mit dem Wupperverband erstellt wurde. Der Wupperverband betreut als Flussgebietsmanager die Wupper von der Quelle bis zur Mündung.

Zudem treiben Landtagsabgeordnete die Aufklärung mit Anfragen an die Landesregierung voran. Aus alldem ergibt sich ein erstes Bild.

Keiner für alle, jeder für sich?

Zunächst fällt auf, dass die Akteure bislang bei einem kleinteiligen und isolierten Untersuchungsansatz stehen bleiben. Das Problem, wie Talsperren unter den Bedingungen des Klimawandels – also bei stark veränderten Wetterverhältnissen – so zu regulieren sind, dass sie den Hochwasserschutz auch in Zukunft gewährleisten können, muss jedoch wesentlich großräumiger betrachtet werden.

Mit dem Klimawandel häufiger auftretende Großwetterlagen wie das "Tief Mitteleuropa" können zu stationären Dauerniederschlägen führen, die ein ganzes Flusseinzugsgebiet betreffen. Derzeit kommt ein solches Großtief hierzulande im Schnitt an neun bis 15 Tagen im Jahr vor – und ist kaum örtlich präzise mit fünf Tagen Vorlauf vorherzusagen.

Die Talsperrenbetreiber wiederum verweisen zu Recht darauf, dass sie nur bei einem Vorlauf von fünf Tagen noch ausreichend viel Stauraum zu schaffen vermögen – angesichts der üblicherweise hohen Füllstände der Talsperren im Sommer. Das ist ein wirkliches Dilemma und ein neuartiges Problem.

Porträtaufnahme von Hans-Jochen Luhmann.
Foto: Wuppertal Institut

Jochen Luhmann

studierte Mathematik, Volks­wirtschafts­lehre und Philosophie und promovierte in Gebäude­energie­ökonomie. Er war zehn Jahre als Chef­ökonom eines Ingenieur­unternehmens und 20 Jahre am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie tätig. Er ist Heraus­geber der Zeit­schrift Gaia und Vorstands­mitglied der Vereinigung Deutscher Wissen­schaftler.

Laut dem Deutschen Wetterdienst (DWD) wird sich bis 2100 eine flutgefährliche Großwetterlage noch einmal rund 20 Prozent häufiger einstellen. Hier wird man ohne eine gemeinsame Arbeitsgruppe von DWD, Talsperrenbetreibern und Aufsichtsbehörden nicht weiterkommen.

Vor der Frage, wie Talsperren unter den Bedingungen des Klimawandels zu managen sind, stehen allerdings nicht nur den Wupperverband oder nur Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. In Deutschland gibt es mehr als 370 Talsperren und die Mehrzahl von ihnen muss sich auf die Folgen des Klimawandels einstellen.

Besonders betroffen von anhaltenden Extremniederschlägen werden die Mittelgebirge sein. Die Landkreise, die 2050 am meisten mit Starkregen rechnen müssen, ziehen sich wie ein Band vom Rheinland quer über Hessen und Südthüringen bis in den Osten und die Mitte Bayerns. So sagt es eine Risikostudie voraus, die das Hamburger Climate Service Center (CSC) 2015 für den Gesamtverband der Versicherungswirtschaft erarbeitet hat. Das Thema Talsperrenmanagement betrifft also mindestens fünf Bundesländer.

Faktisch will aber die nordrhein-westfälische Landesregierung, so kündigt sie es an, "die bestehenden Bewirtschaftungskonzepte für Talsperren" lediglich "anhand der Erkenntnisse aus dem Hochwasser 2021" überprüfen. Und auch das nur in "Gesprächen mit den betroffenen Wasserverbänden".

Werden die Talsperrenaufsichten der anderen Bundesländer dasselbe tun und wird das Rad also mindestens fünfmal neu erfunden?

Talsperren verlieren ihr Geschäftsmodell 

Das Geschäft der Talsperrenbetreiber ist zwangsläufig monopolistisch. Deshalb steht es unter staatlicher Aufsicht. Die war bislang personell äußerst dünn besetzt, wie auch der Fortschrittsbericht aus NRW dokumentiert.

Lange Zeit war das personelle Manko kein großes Problem – doch jetzt bringt der Klimawandel das Wettergeschehen durcheinander und hebt damit das etablierte Geschäftsmodell der Talsperrenbetreiber aus den Angeln.

Solange diese Einsicht bei den Regulierern in den verschiedenen Bundesländern nicht reift, können die Talsperrenbetreiber weitermachen wie bisher. Sie haben ein enormes wirtschaftliches Interesse daran, am Status quo festzuhalten. In Nordrhein-Westfalen ist das ohne zu übertreiben mit der langjährigen Position des RWE-Konzerns bei der Braunkohle zu vergleichen.

Die Bereitstellung von Trink- und Brauchwasser – der zweite Zweck der Talsperrenbewirtschaftung – gilt als regelrechte Cashcow. Will man da ran, muss man grundsätzlich werden.

Eine Talsperre dient im Kern zwei Zwecken: dem Hochwasserschutz sowie der Bevorratung von Trink- und Brauchwasser. Ökonomisch betrachtet schaffen die Betreiber von Talsperren ein "verbundenes Produkt", sie betreiben eine Koppel-Produktion.

Mit dem Wupperverband wurde nicht gesprochen

In seinem Gastbeitrag vom 8. August ("Wenn eine volle Talsperre wichtiger ist als Flutschutz") hatte Jochen Luhmann angedeutet, es habe im Vorfeld der Flutkatastrophe Mitte Juli warnende Gespräche zwischen dem Wupperverband und der Aufsicht, dem Umweltministerium Nordrhein-Westfalen, gegeben.

Grundlage dafür war eine Aussage von Hans-Jörg Lieberoth-Leden vom Umweltministerium im WDR: "Wir haben mit den Wasserverbänden intensive Diskussionen bis in die letzte Zeit gehabt, wie viel Vorhaltung von Wasser mit Blick auf Trockenzeiten notwendig und sinnvoll ist."

Der Wupperverband legt Wert auf die Feststellung, dass aus dem Ministerium niemand mit ihm gesprochen habe. Das nordrhein-westfälische Umweltministerium teilte inzwischen mit, dass mit der zitierten Aussage lediglich Gespräche mit einem einzelnen der Wasserwirtschaftsverbände, dem Ruhrverband, gemeint gewesen seien. (red)

Doch das passiert nicht gleichmäßig über das ganze Jahr. Es gibt einen jahreszeitlichen Hotspot: Trink- und Brauchwasser sind, wenn überhaupt, im Sommer knapp. Das gilt besonders in Hitzesommern mit Dürreperioden, wie sie in den letzten Jahren öfter vorkamen – auch eine Manifestation des Klimawandels. Das heißt: Der Klimawandel hat einen Bedarf an extrem hohen Füllständen im Sommer geschaffen.

Will man für solche Hitzesommer vorsorgen, also möglichst viel Wasser im Sommer bevorraten, muss im Gegenzug der Leerraum für den Hochwasserschutz klein gehalten werden.

Bis vor etwa zwei Dekaden war diese Gegenläufigkeit kein Problem, denn lang anhaltende Starkniederschläge kamen früher im Sommer fast nie vor. Diese aus heutiger Sicht nahezu idyllische Zeit ist zu Ende gegangen.

Dabei gilt: Mit der Wasserbevorratung verdienen die Talsperrenbetreiber ihr Geld. Am Hochwasserschutz verdienen sie nichts.

Schlimmer noch: Im Überflutungsfall, sofern sich die Vorsorge im Talsperrenmanagement als zu gering erweist, zahlen die überfluteten Betroffenen unterhalb der Talsperre ihre Schäden selbst.

So bringt der Klimawandel die überkommene Weise der "Produktion" der Talsperren massiv durcheinander. Die Betreiber unterstehen zwar staatlicher Aufsicht und müssen ihre Bewirtschaftungspläne genehmigen lassen. Auf den menschengemachten Klimawandel passen die Bewirtschaftungspläne aber nicht mehr.

Jahrhundertereignisse alle x Jahre

Das ist schon lange klar, geschehen ist bislang noch nichts. Die jüngste Hochwasserkatastrophe, typisch für Mittelgebirgsregionen, bietet erneut eine Chance, auch beim Talsperrenmanagement angemessen zu reagieren.

Stefan Kämmerling, Abgeordneter der SPD im nordrhein-westfälischen Landtag, zitierte in einer Anfrage an die Landesregierung vor zwei Jahren einen örtlichen Wasserversorger, die WAG Nordeifel: "Trinkwasserschutz verträgt sich nicht mit Hochwasserschutz."

Kämmerling fragte zu Recht nach der Position der Landesregierung angesichts dieses Dilemmas. Die Landesregierung – zuständig ist hier das Umweltministerium – räumte in ihrer Antwort den Antagonismus grundsätzlich ein, unterließ es aber, auf die veränderte Situation durch den menschengemachten Klimawandel zu sprechen zu kommen.

Bislang machen die Verantwortlichen nicht den Eindruck, dass sie sich dieser besonderen Herausforderung stellen wollen. Das ist durchaus nachvollziehbar. Eine Lösung ist nämlich nicht in Sicht.

Hochwasser, hier 2013 in Passau, wird durch Klimawandel und falschen Umgang mit Wasser und Boden häufiger und schlimmer. (Foto: Stefan Penninger/​Wikimedia Commons)

In solchen Situationen ist es politisch opportun und üblich, mittels einiger begrifflicher Schwurbelei das Problem unter den Teppich zu kehren – statt offen zu sagen: Es gibt ein massives Problem, wir haben aber noch keine Lösung.

Zu hinterfragen sind zum Beispiel die Vorgaben in der langjährigen Wetter- beziehungsweise Niederschlagsstatistik, anhand derer die Betreiber zwischen der Wasserbevorratung (im Sommer) und dem Hochwasserschutz abzuwägen haben.

Eine zentrale Rolle spielt dabei das sogenannte "100-jährliche Extremereignis". Dieses wird in Deutschland in der Regel herangezogen, um die Sicherheit von etwas zu beurteilen, das dem Wettergeschehen ausgesetzt ist.

Der Klimawandel hat das etablierte Auslegungs-Maß des "100-jährlichen Extremereignisses" allerdings "inflationiert".

Es ist ziemlich offensichtlich, dass unterm Klimawandel das "100-jährliche Extremereignis" durch ein "x-jährliches Extremereignis" zu ersetzen ist. Das "x" liegt darin deutlich unter 100, ist aber ansonsten unbekannt.

Keine Orientierung

Allerdings hat das nordrhein-westfälische Umweltministerium bislang nicht verraten, an welcher Stelle die Extremwetterstatistik überhaupt in die aufsichtlichen Vorgaben für das Talsperrenmanagement eingeht. Wohl aber hat dies der Wupperverband getan, und zwar recht präzise. Demnach verhält es sich so:

"Vorgaben zu den Füllzielen in der Wupper-Talsperre ergeben sich aus dem Planfeststellungsbescheid für die Wupper-Talsperre und den dazu mit der zuständigen Behörde, der Bezirksregierung Köln, abgestimmten Betriebsplänen. Für die Steuerung der Talsperren sind daher diese in den jeweiligen Genehmigungsbescheiden und Betriebsplänen vorgegebenen Regelungen maßgeblich. Diese enthalten durchweg für die Sommermonate keine wasserbehördlich vorgegebenen Festsetzungen zum Hochwasserschutzraum.

Für die Talsperren enthalten die Betriebspläne für die Sommermonate sogenannte Orientierungslinien für den Stauinhalt. Diese Orientierungslinien sind aus statistischen Kennwerten und betrieblichen Kenndaten ermittelt. Feste Vorgaben sind diese Orientierungslinien nicht, Abweichungen sind zulässig ..."

Damit weiß man, wo anzusetzen ist, der Prüfstein ist klar. Solange das Umweltministerium an den Orientierungslinien vorbeischwurbelt, meint die Behörde es noch nicht ernst.

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