Beton ist der Baustoff, ohne den heute kaum noch etwas geht. Weltweit werden jährlich rund 30 Milliarden Tonnen von dem Tausendsassa-Material verbaut, um Häuser, Brücken, Straßen, aber auch unterirdische Infrastruktur zu fertigen.

Doch Beton hat einen großen Nachteil: Er ist ein großer Klimakiller. Seit Längerem arbeiten Fachleute deswegen an der Entwicklung von "klimafreundlichem" Beton, und inzwischen werden erste solche Produkte auch angewandt.

 

Hierzulande wurde nun erstmals ein komplettes Abwasserkanal-System aus dem neuartigen Material gebaut, das sogar haltbarer als der klassische Zement-Beton sein soll. Das Produkt, "Next Beton" genannt, sei eine "Superinnovation für den Klimaschutz", heißt es dazu aus der Politik.

Weltweit trägt allein der Baustoff Beton rund acht Prozent zum menschengemachten CO2-Ausstoß bei, wobei er oft mit dem ebenfalls sehr klimaschädlichen Material Stahl kombiniert wird. In Deutschland sind es rund drei Prozent.

Schuld an der hohen Klimalast ist der Zement, der als Bindemittel fungiert. Zu seiner Herstellung werden Kalkstein, Ton, Sand und Eisenerz eingesetzt, die, zu "Rohmehl" zerkleinert, bei fast 1.500 Grad im Drehrohr-Ofen zu sogenanntem Zementklinker gebrannt werden. Dabei spaltet sich der Kalkstein in Kalziumoxid und CO2 auf, pro Tonne werden dabei 400 Kilogramm des Treibhausgases frei.

Hinzu kommen die Emissionen aus den Öfen, die überwiegend mit Kohle betrieben werden.

Schlacke aus Stahlwerken ersetzt Zement

Der Druck auf die Zement- und Betonindustrie ist groß, ihr Produkt klimafreundlicher zu machen. Schließlich gilt auch für sie die Ansage, dass bis Mitte des Jahrhunderts die "Netto-Null" bei den Treibhausgasen erreicht werden muss, damit die Erderwärmung noch beherrschbar bleibt.

Dazu gibt es verschiedene Ansätze. Etwa die umstrittene Idee, das entstehende CO2 abzuscheiden und unterirdisch endzulagern, CCS genannt.

Ein Rohr aus zementfreiem Beton liegt in einem Metall-Verbau und dieses in einem Graben.
Der neue Beton ist eine starke Innovation, aber auch er verursacht noch mindestens 30 Prozent der CO2-Emissionen heutiger Produkte. (Bild: next.beton)

Bei dem neuen Produkt allerdings, das jetzt erstmals in einem Baugebiet bei Marburg in Hessen eingesetzt wurde, rührt die CO2-Einsparung von "bis zu 70 Prozent" (Hersteller) von einer Umstellung in der Zusammensetzung her. Der Zement bei Next Beton wird durch ein anderes mineralisches Bindemittel ersetzt, das nicht mehr gebrannt werden muss.

Entwickelt wurde das Verfahren von dem australischen Baustoffkonzern Wagners, der es als "Earth Friendly Concrete", umweltfreundlichen Beton, vermarktet.

Für den zementfreien Beton, Geopolymerbeton genannt, nutzen die Hersteller – drei mittelständische Unternehmen aus der deutschen Kanalbau-Branche – gemäß der Wagners-Rezeptur industrielle Nebenprodukte wie Hochofenschlacke und Flugasche, die in Kohlekraftwerken anfällt.

Vorteil: "Bei diesem Prozess wird deutlich weniger Energie als bei zementgebundenem Beton benötigt, da die Hitzebehandlung bereits im Hochofen stattgefunden hat." So erläutert das Herstellertrio, das deutschlandweit rund drei Dutzend Produktionsstätten betreibt, sein Verfahren. Energie werde in dem Prozess nur eingesetzt, um die recycelten Rohstoffe aufzubereiten.

Ohne CO2-Preis etwa um die Hälfte teurer

Risiken gibt es laut den Produzenten keine. Bei den neuartigen Kanalrohren seien keinerlei technische oder qualitative Einbußen gegenüber der Standardware festzustellen, zudem seien sie nach der Nutzungsdauer zu 100 Prozent recyclingfähig. Auch das Handling sei identisch.

"Tatsächlich sind die Rohre sogar haltbarer", sagte Mario Bodenbender von der Geschäftsleitung der hessischen Unternehmensgruppe Finger Beton. Die Gründe: Sie sind sogar druckstabiler und werden, da sie weniger Kalkverbindungen enthalten, von Säuren und anderen aggressiven Substanzen im Abwasser praktisch nicht angegriffen.

"Das ist ein großer Vorteil", sagte Bodenbender, dessen Firma die jetzt in einem Neubaugebiet verlegten Abwasserrohre produziert hat. Die Nutzungsdauer der Rohre, die in Durchmessern von 30 bis 240 Zentimetern gefertigt werden können, gibt er mit "über 100 Jahre" an. "Wir selbst werden sie nicht mehr aus der Erde herausholen müssen", ist er sicher.

Die Next-Beton-Produkte sind vor knapp einem Jahr in Deutschland offiziell für den Tiefbau zugelassen worden. Bisher sind sie laut Bodenbender noch 30 bis 60 Prozent teurer als die herkömmlichen Zement-Rohre. Wird besondere Säurefestigkeit benötigt, seien sie aber sogar günstiger als ausgekleidete Systeme.

Es braucht also weitsichtige Kommunalbehörden, die auch die Klimafolgen und die gute Haltbarkeit der Kanalisation bei der Entscheidung berücksichtigen.

Einen Schub könnte hier allerdings die Einführung eines sogenannten CO2-Schattenpreises bei der Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen bringen, wie er vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie vorgeschlagen wurde. Damit würden die Umweltfolgekosten von Bauprojekten von vornherein eingerechnet.

Vorreiter ist hier übrigens das Land Baden-Württemberg, das den CO2-Fußabdruck bereits zu einem entscheidenden Vergabekriterium gemacht hat.

Besser als zementfreier Beton ist gar kein Beton

Aus Politik und Forschung kommt Lob für die Neuentwicklung. Das Next-Beton-Kanalsystem erhielt im vorigen Jahr den niedersächsischen "Klima-Innovationspreis", und der dortige Umweltminister Christian Mayer prägte dabei das erwähnte Schlagwort von der "Superinnovation". Es handle sich um einen "absoluten Meilenstein für den Klimaschutz im Bausektor", sagte der Grünen-Politiker.

Auch der Bauexperte des Öko-Instituts in Darmstadt, Matthias Buchert, hält das neue Produkt für wegweisend. "Den Zement als Bindemittel zu ersetzen, um den energieintensiven Brennprozess zu umgehen, ist ein wichtiger Schritt", sagte er auf Anfrage.

Ein gelber Bagger steht vor einem halb abgerissenen Plattenbau.
Abreißen und neu bauen ist auch mit Beton aus Eisenschlacke nicht CO2-neutral. (Bild: Michael Gaida/​Pixabay)

Allerdings könne das nicht der alleinige Weg sein, um eine Klimawende im Bausektor zu erreichen. Die Umnutzung vorhandener Gebäude, der Einsatz von Recycling-Baustoffen und ein nachhaltiger Holzbau müssten ebenfalls vorangetrieben werden.

Ein weiterer Meilenstein für den zementfreien Beton wäre es natürlich, ihn auch im Hochbau zu verwenden, etwa für Ein- und Mehrfamilienhäuser. Hierfür ist er allerdings noch nicht allgemein zugelassen.

Bisher gibt es in Deutschland in diesem Sektor erst ein Pilotprojekt, in dem das neue Material eingesetzt wurde – ein Geschosswohnungsbau mit 71 Wohnungen im schleswig-holsteinischen Norderstedt, fertiggestellt Ende 2024. Der Projektentwickler Blu aus Hamburg, Tochter des ausführenden Bauunternehmens August Prien, hatte sich zum Ziel gesetzt, ein Gebäude zu errichten, das gegenüber einer konventionellen Bauweise möglichst viel CO2 einspart.

Neben viel Holz, Strohbauplatten, Zellulosedämmung und einer Fassade aus Recycling-Klinker kam hierbei auch erstmals der zementfreie Geopolymerbeton zur Anwendung. Immerhin 2.500 Kubikmeter von dem neuen Produkt wurden verarbeitet.

Übergang in den Massenmarkt "kein Selbstläufer"

"Die Erfahrungen damit waren sehr positiv", sagte Blu-Geschäftsführer Carsten Joost, "der zementfreie Beton hat wesentlich zur guten CO2-Bilanz des Baus beigetragen." Auch die Festigkeit des neuen Materials, über das in Fachkreisen bezüglich des Hochbaus kritisch diskutiert wird, sei mit der von konventionellem Beton vergleichbar.

Allerdings habe sich gezeigt, dass sich das neue Material bei Temperaturen unter fünf Grad nicht mehr gut verarbeiten lässt. Mögliche Abhilfe: die Bauzeit-Planung darauf abstimmen oder mehr mit vorgefertigten Bauteilen arbeiten.

Bisher hat Blu kein weiteres entsprechendes Projekt in Planung. Es gebe allerdings großes Interesse an potenziellen Bauherren, so Joost.

 

Joost betont, dass der Übergang des Klima-Betons in den Massenmarkt trotz der Umweltvorteile "kein Selbstläufer" sein werde. Das Norderstedter Projekt konnte nur dank einer "vorhabenbezogenen Bauartgenehmigung" realisiert werden.

"Nötig ist eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung, um diesen Baustoff auch in laufenden Projekten verarbeiten zu können", sagte Joost. Daran arbeite man derzeit in Abstimmung mit Industriepartnern und Behörden.

Bisher sei das Material aufgrund der geringen Abnahmemengen noch viel zu teuer. Doch bei steigender Nachfrage könne der neue Beton konkurrenzfähig angeboten werden.

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