Ein bisschen unklar hörte es sich schon vor fünf Monaten an. Bei der Präsentation der deutschen Klimabilanz für 2020 – erstmals unter der Ägide des 2019 beschlossenen Klimaschutzgesetzes – räumte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) Mitte März ein: Der Gebäudesektor hat seine erlaubte Jahresmenge von 118 Millionen Tonnen CO2 um zwei Millionen Tonnen überschritten.
Und dann erläuterte die Ministerin, wie Klimaschutz per Gesetz künftig funktionieren soll: "Das ist eine relativ kleine Überschreitung, aber sie löst jetzt trotzdem eine Rechtsfolge nach dem Klimaschutzgesetz aus. Das heißt also ganz konkret: Der neue Expertenrat für Klimafragen wird die Emissionsdaten jetzt noch einmal prüfen, und dann wird er am 15. April eine Stellungnahme vorlegen."
Und dann müsse, so Schulze weiter, "binnen dreier Monate das zuständige Ressort – in diesem Fall das Bundesbauministerium in Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium – ein Sofortprogramm mit zusätzlichen CO2-Minderungsmaßnahmen für den Gebäudesektor vorlegen. Das ist wichtig, weil das Budget ja sinkt und wir auf dem Zielpfad bleiben wollen."
Auf Nachfrage, ob das zu schaffen sei, ergänzte Svenja Schulze damals noch: Bei einem Fehlbetrag von nur zwei Millionen Tonnen sei es für den zuständigen Minister "nicht sonderlich schwierig", ein solches Sofortprogramm auf die Beine zustellen.
Die Durchführung gestaltet sich allerdings schwieriger als gedacht. Um das inzwischen vorgelegte Sonderprogramm ist ein Grundsatzstreit in der Regierung entbrannt. Im Kern geht um die Frage: Soll das Sofortprogramm vor allem darauf zielen, nur die Zwei-Millionen-Tonnen-Überziehung hereinzuholen, oder soll es auch dazu beitragen, das im Gebäudesektor jedes Jahr um etwa fünf Millionen Tonnen sinkende Klimaziel einzuhalten?
Im Gesetz selbst regelt das der seit dem Inkrafttreten 2019 unveränderte Paragraf 8. Weisen die Emissionsdaten, heißt es dort, eine "Überschreitung der zulässigen Jahresemissionsmenge für einen Sektor in einem Berichtsjahr aus", legt das zuständige Bundesministerium der Bundesregierung "ein Sofortprogramm für den jeweiligen Sektor vor, das die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherstellt".
Wirtschaftsressort im Argumentationsstress
Hier gibt es möglicherweise eine Lücke im Gesetz. Das Wirtschaftsministerium ist jedenfalls der Ansicht, der Wortlaut des Klimagesetzes sei "unklar". Es werde nicht gesagt, "bis wann oder in welchem Zeitraum eine festgestellte CO2-Reduktionslücke abgebaut werden muss", teilte das Haus von Minister Peter Altmaier (CDU) Anfang dieser Woche mit.
Das Wirtschaftsministerium macht daraus sogar eine Grundsatzfrage, spricht von einem "Präzedenzfall". In vielen Sektoren werde es "Bedarf an Sofortprogrammen" geben, prophezeit das Ministerium, womit es leider richtig liegen dürfte. Dafür müssten Unklarheiten, welche Fristen zum Aufholen gelten, im Gesetz beseitigt werden. Hier sei das Bundesumweltministerium gefragt.
Den Ball ans Umweltministerium zurückzuspielen, ist für das Wirtschaftsressort aber nicht so einfach. Denn das Haus Altmaier hat schon jetzt die erst für Anfang kommender Woche erwartete Bewertung des Sofortprogramms durch den Expertenrat öffentlich gemacht.
Laut dem Ministerium heißt es in der noch nicht bekannten Stellungnahme, dass die Annahmen und Bewertungen des vorgelegten Gebäude-Sofortprogramms "nach Einschätzung des Expertenrats tendenziell überschätzt werden".
Anders gesagt: Das Sofortprogramm genügt offenbar der gesetzlichen Pflicht noch nicht.
Das stört aber das Wirtschaftsministerium nicht weiter. Es verweist darauf, dass zum Einhalten des Sektorbudgets der alleinige Blick ins Sofortprogramm ohnehin zu kurz greife. Denn auch die Wirkungen des "Klimaschutz-Sofortprogramms 2022" müssten einkalkuliert werden. Das denke die "Lücke" des Gebäudebereichs bereits mit.
Salopp gesagt: So heiß, wie beim Klimagesetz gekocht wird, wird bei den Sektorzielen nicht gegessen. 2021 ist sowieso schon mehr oder weniger abgeschrieben. Für das laufende Jahr sagt der Thinktank Agora Energiewende für die Gebäude eine Überziehung des CO2-Budgets um etwa vier Millionen Tonnen voraus. Die Einspar-Lücke könnte sich sozusagen verdoppeln.
Gutes Klimagesetz erspart nicht gute Politik
Die ganze "Lücken"-Debatte legt ziemlich schonungslos eine grundsätzliche Schwäche des Klimagesetzes offen. Zwar sollen mit dem Gebäude-Sofortprogramm noch in diesem Jahr 5,8 Milliarden Euro in die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) hineingebuttert und das gesamte Fördervolumen um etwa ein Drittel angehoben werden – diesem Geldregen fehlt aber eine wirksame Grundlage.
Kritiker wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bemängeln denn auch, die zusätzlichen Milliarden brächten keine zusätzlichen CO2-Einsparungen, weil lediglich bereits beschlossene Maßnahmen finanziert würden. Auch fließe ein Großteil der Fördermittel in Neubauten mit "nicht klimazielkonformen Standards".
Von den Milliarden für klimapolitisch unzureichende Förderprogramme profitiere vor allem die Wohnungswirtschaft, die kurz vor der Wahl mit Steuergeld die Klima-Sanierungsfälle von morgen baue, meint DUH-Experte Constantin Zerger.
Bevor auch nur ein weiterer Euro fließe, müsse sichergestellt sein, dass "ausschließlich 1,5-Grad-kompatible Gebäudestandards und erneuerbare Wärmeversorgung Unterstützung erhalten", sagt Zerger. Die DUH fordert nicht zum ersten Mal auch einen Förderstopp für fossile Heizsysteme samt einem Einbauverbot für Öl- und Gasheizungen im Neubau.
Im März hatte Svenja Schulze noch zu einem Loblied auf das Klimagesetz angehoben. Es sorge dafür, sagte sie, dass alle Minister und Ministerinnen jetzt Klimaschutzminister und -ministerinnen seien, und zwar auf Dauer. Das Gesetz schaffe "Planbarkeit und Verlässlichkeit" in der deutschen Klimapolitik.
Die Wahrheit ist eher: Ein ambitioniertes Klimagesetz läuft ins Leere, wenn es nicht durch eine ambitionierte Klimapolitik begleitet wird. Das ist die eigentliche Lücke.