Der weltweite Markt für grüne Anleihen verzeichnete jahrelang ein starkes Wachstum. Dabei spielte der Euro-Raum eine bedeutende Rolle. Bereits 2020 wurde nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung fast die Hälfte aller neuen grünen Anleihen in Euro ausgegeben.
Machten Anleihen aus dem öffentlichen Sektor dabei anfangs noch den Großteil der ausgegebenen "Green Bonds" aus, so wurden diese inzwischen von Unternehmensanleihen überholt. Hier kam dann eines Tages die Europäische Zentralbank (EZB) ins Spiel.
Seit Einführung ihres Kaufprogramms für Unternehmensanleihen ("Corporate Sector Purchase Programme", CSPP) im Jahr 2016 entwickelte sich die Zentralbank zu einer wichtigen Käuferin am Markt für europäische Unternehmensanleihen.
Als Teil seiner Geldpolitik wollte EZB-Präsident Mario Draghi mit den Anleihekäufen viel Geld in den Markt pumpen und damit die Preise nach oben treiben. Heute schwer vorstellbar, aber 2016 lag die Inflationsrate in der Euro-Zone bei lediglich 0,2 Prozent und damit sehr weit entfernt von der Zielmarke "nahe zwei Prozent".
Im Zuge der Coronakrise weitete die EZB ihr Anleihekaufprogramm dann noch einmal deutlich aus. Das Pandemie-Notfallkaufprogramm PEPP umfasst neben öffentlichen Anleihen auch private Unternehmensanleihen.
Im Laufe der Jahre hat die Zentralbank für insgesamt rund fünf Billionen Eurobonds gekauft. Die heutige EZB-Präsidentin Christine Lagarde mit ihrem Team ist damit zur wichtigsten Spielerin auf dem europäischen Anleihemarkt geworden.
Schluss mit den grünen Kriterien
Bis hierher wäre die Geldpolitik der EZB für Klimareporter° kaum der Rede wert gewesen. Doch seit Oktober vergangenen Jahres hatte Lagarde die Anleihekäufe ausdrücklich auch an Kriterien des Klimaschutzes gekoppelt. Nachhaltigkeit und Klimaschutz wurden erstmals zu einem Thema für eine Zentralbank.
Die konkrete Wirkung des "Tilting", also des Kippens in Richtung Grün, hielten Umweltorganisationen zwar für gering. Aber Ökonomen wiesen auf die Vorbildfunktion der EZB hin, die Banken, Versicherer und Unternehmen nicht dauerhaft ignorieren könnten.
Doch nun soll Schluss sein mit dem grünen Tilting. Ab Juli will die Notenbank das Geld aus fällig werdenden Unternehmensanleihen nicht wieder in neue investieren. Damit endet zugleich die Möglichkeit, bei den Käufen Klimakriterien zu berücksichtigen.
Damit reagiert Lagarde auf die nach wie vor hohe Inflation, die in der Eurozone zeitweilig rund zehn Prozent betrug und in einigen Euroländern weiterhin zweistellig ist. Schließlich ist das eigentliche Ziel der Zentralbank die sogenannte Geldwertstabilität. Sprich: eine Preissteigerungsrate nahe zwei Prozent. Mit ihrer neuen, "restriktiven" Geldpolitik will Lagarde nun die Inflation bekämpfen.
Kritiker weisen allerdings zu Recht darauf hin, dass die Inflation durch Energie- und Nahrungsmittelpreise in die Eurozone importiert wurde und von der Zentralbank nicht mittels einer klassischen Geldpolitik eingedämmt werden kann.
Stattdessen bremst die restriktive Geldpolitik Wirtschaft und Verbraucher in Europa und Deutschland unnötigerweise aus. Tatsächlich befindet sich der Euro-Raum heute in einer wirtschaftlichen Rezession. Und die Prognosen für 2023/24 fallen eher düster aus.
Zur neuen, strafferen Geldpolitik gehört neben steigenden Leitzinsen auch, dass sich die juvenile EZB – sie feierte gerade ihren 25. Geburtstag – nach und nach aus dem Anleihemarkt und damit auch aus dem grünen Tilting zurückzieht.
Unternehmen mit guter Klimabilanz werden gehalten
Innerhalb des EZB-Direktoriums wird dem Vernehmen nach immerhin über künftige Projekte diskutiert und inwieweit Nachhaltigkeitskriterien dabei eine Rolle spielen sollen. Weiterhin heißt es tröstend aus der EZB: "Wir sind fest entschlossen, im Rahmen unseres Mandats unseren Teil zum Kampf gegen den Klimawandel beizutragen."
Ein wenig Optimismus verbreitet Rudolf Hickel. Zwar werde der Bestand an Anleihen abgebaut, so der prominente Bremer Ökonom und Mitgründer der eigentlich zentralbankkritischen Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.
"Aber hierzu gibt es eine – übrigens kaum wahrgenommene – Ausnahme: Anleihen von Unternehmen, die eine gute Klimabilanz aufweisen, sollen weiterhin in den Beständen der Notenbank gehalten werden", schreibt Hickel. Dies sei durchaus als ein Signal in Richtung "grüner Geldpolitik" zu verstehen.
Dafür stünden Christine Lagarde noch weitere Hebel zur Verfügung. Es gibt einige Möglichkeiten, wie die EZB in ihrer Politik Klimarisiken berücksichtigen kann, etwa in der Bankenaufsicht. Seit dem Jahr 2014 beaufsichtigt die Europäische Zentralbank die Großbanken in der Eurozone. 21 dieser Institute haben ihren Sitz in Deutschland, darunter Deutsche Bank und Commerzbank.
Da Klimarisiken inzwischen von Bankern, Managern und Ökonomen auch als betriebswirtschaftliche Risiken wahrgenommen werden, könnte Lagarde die Großbanken zu einer schnelleren Gangart in der grünen Transformation bewegen. Oder diese ausbremsen.
Ergänzung am 30. Juni: Nach der Veröffentlichung des Beitrags hat sich die EZB bei uns gemeldet mit dem Hinweis, es gebe zwei Ungenauigkeiten in dem Text, sowie mit der Bitte um Korrektur.
Erstens: Wir zitieren den Bremer Ökonomen Rudolf Hickel mit den Worten: "Aber hierzu gibt es eine – übrigens kaum wahrgenommene – Ausnahme: Anleihen von Unternehmen, die eine gute Klimabilanz aufweisen, sollen weiterhin in den Beständen der Notenbank gehalten werden."
Dazu schreibt uns die EZB-Sprecherin: "Dies ist sachlich falsch. Die EZB wird kein Portfolio von Unternehmensanleihen halten, nur weil einige der Anleihen von Unternehmen stammen, die beim Klima gut abschneiden. Im Einklang mit unserem vorrangigen Ziel der Preisstabilität werden alle klimabezogenen Maßnahmen mit unserem geldpolitischen Kurs übereinstimmen."
Zweitens: In unserem Beitrag heißt es: "Da Klimarisiken inzwischen von Bankern, Managern und Ökonomen auch als betriebswirtschaftliche Risiken wahrgenommen werden, könnte Lagarde die Großbanken zu einer schnelleren Gangart in der grünen Transformation bewegen. Oder diese ausbremsen."
Dazu schreibt uns die EZB-Sprecherin: "Die Aufgaben der EZB als Zentralbank und als Bankenaufsicht unterliegen einem strikten Trennungsprinzip, was bedeutet, dass Präsidentin Lagarde nicht dafür zuständig ist, die Banken zu einem besseren Umgang mit ihren Klima- und Umweltrisiken zu 'drängen'. Dies wäre Sache des Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums, Andrea Enria."
Unser Autor und Rudolf Hickel bleiben bei ihrer Darstellung. (red)