extensiv bewirtschaftetes Grünland
Extensiv bewirtschaftetes, artenreiches Grünland, wie hier im Thüringer Wald, ist selten geworden. Das will die EU jetzt ändern. (Foto: Landschaftspflegeverband Thüringer Wald/​Thünen-Institut)

Europa soll grüner und nachhaltiger werden. Damit das gelingt, hat die EU-Kommission am Mittwoch zwei Strategien für mehr Artenschutz und eine naturverträglichere Landwirtschaft vorgestellt. "Der Klimawandel und der Verlust der biologischen Vielfalt sind eine klare und aktuelle Gefahr für die Menschheit", sagte der Vizepräsident der EU-Kommission und Klimakommissar Frans Timmermans bei der Vorstellung der Strategien.

Beide Strategien sind Säulen des Green Deal, den die Kommission im vergangenen Dezember vorgelegt hatte und mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden soll. Sämtliche Sektoren sollen sich dafür auf Klimaschutz ausrichten – auch die Landwirtschaft, die in der EU rund zehn Prozent der Treibhausgasemissionen verursacht. Das mag nach wenig klingen, entsprach aber 2017 rund 440 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent – zu viel für das Ziel der Klimaneutralität.

Mit der Strategie "Vom Hof auf den Tisch" sollen nun die Auswirkungen des Agrarsektors auf Umwelt und Klima bis 2030 deutlich reduziert und das komplette Lebensmittelsystem – vom Bauern bis zum Teller – nachhaltiger werden. "Die Strategie wird die Art und Weise, wie wir unsere Lebensmittel produzieren, kaufen und konsumieren, umfassend verändern", sagte die EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit Stella Kyriakides. Das werde der Gesundheit der Bürger, der Gesellschaft als Ganzes und der Umwelt zugutekommen.

Mithilfe der Landwirtschafts- und Ernährungsstrategie will die Kommission bis 2030 mehrere Ziele erreichen: Der Einsatz und die Gefährlichkeit von Pestiziden sollen um 50 Prozent sinken, der Einsatz von Düngemitteln um 20 Prozent. Auch die Verkäufe von Antibiotika für Nutztiere und Aquakulturen sollen um 50 Prozent gesenkt werden.

Der Verlust von Nährstoffen wie Stickstoff oder Phosphat soll halbiert werden. Ein Viertel der landwirtschaftlichen Fläche der EU soll ökologisch bewirtschaftet werden, das bedeutet eine Verdopplung. Lebensmittelabfälle sollen ebenfalls um die Hälfte reduziert werden.

"Ziele jenseits des klassischen Naturschutzes fehlen oft"

"Die Ideen und Ziele der neuen EU-Landwirtschafts- und Ernährungsstrategie sind im Großen und Ganzen zu begrüßen", sagte Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament. Nun müsse die Kommission die Ziele auch rechtlich verankern – durch Anreize und freiwillige Verpflichtungen seien sie nicht zu erreichen, warnte Häusling.

Auch der wichtigste deutsche Umweltverband BUND lobt die Landwirtschaftsstrategie. "Mit den Zielen verpflichtet sich die EU-Kommission trotz der vielen rückwärtsgewandten Lobbybemühungen zu einem ambitionierten Vorhaben für die nächsten zehn Jahre", sagte BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock. Auf den Prüfstand gehören für den BUND nun auch die Verteilung der fast 60 Milliarden Euro Agrarsubventionen pro Jahr sowie die umwelt- und klimaschädlichen Subventionen in der EU-Regionalpolitik.

In der Strategie vermisst der Umweltverband Vorschläge zur Nutztierhaltung und zur Reduzierung der damit verbundenen Treibhausgasemissionen. Hier müsse die Kommission nachbessern, sagte von Broock. Die Treiber für den Verlust von Arten, Lebensräumen und genetischer Vielfalt würden in der vorgelegten Strategie nur unzureichend angesprochen. "In vielen Bereichen fehlen konkrete Ziele und Maßnahmen jenseits des klassischen Naturschutzes", so von Broock.

Aus Sicht von Norbert Lins, Agrarausschuss-Vorsitzender im EU-Parlament, sind die Vorschläge der Kommission dagegen ein Schnellschuss. "Das Papier der EU-Kommission ist mehr Stückwerk als Strategie", meinte der CDU-Politiker. Die Kommission weise die Verantwortung der Landwirtschaft zu, statt auch Verbraucherinnen und Verbraucher in die Pflicht zu nehmen.

Der Deutsche Bauernverband sieht in der Strategie sogar einen "Generalangriff auf die europäische Landwirtschaft". Für eine "produktive, wettbewerbsfähige und ressourcenschonende Landwirtschaft" müsse die EU auf Kooperation statt auf neue Auflagen setzen, sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied. Reduktionsziele für Betriebsmittel seien der falsche Weg. "Die Bäuerinnen und Bauern dürfen mit den Kosten für mehr Umwelt- und Klimaschutz nicht alleingelassen werden", warnte Rukwied.

Strategie für mehr biologische Vielfalt

Vor allem in Regionen mit intensiver Landwirtschaft ist es "besorgniserregend schlecht" um den Zustand der Biodiversität bestellt. So steht es in dem "Bericht zur Lage der Natur", den das Bundesamt für Naturschutz am Dienstag vorgestellt hatte.

Demnach werden Ökosysteme wie blütenreiche Wiesen und Weiden in der intensiven Landwirtschaft immer seltener – mit erheblichen Konsequenzen für die Artenvielfalt. Der Bericht dokumentiert starke Verluste bei Vogelarten wie Kiebitz oder Rebhuhn, die typisch für Agrarlandschaften sind. Gerade das besonders artenreiche Grünland sei auf dem Rückzug.

Das will die EU-Kommission nun auch mit ihrer zweiten Strategie ändern, der Biodiversitätsstrategie. "Die Natur ist lebenswichtig für unser körperliches und geistiges Wohlbefinden, sie filtert unsere Luft und unser Wasser, sie reguliert das Klima und sie bestäubt unsere Nutzpflanzen", sagte Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius. "Aber wir verhalten uns so, als spiele sie keine Rolle, und wir verlieren sie in einem nie gekannten Tempo."

Mit der Biodiversitätsstrategie will die EU-Kommission einen Wiederherstellungsplan für die Natur mit verbindlichen Zielen entwickeln. Jeweils 30 Prozent der Land- und der Meeresflächen sollen unter Naturschutz gestellt werden, aufbauend auf den bestehenden Natura-2000-Gebieten.

Der Rückgang von Insekten und Vögeln auf landwirtschaftlichen Flächen soll ebenso eingedämmt werden wie der Beifang geschützter Arten in den Meeren. Weitere Ziele sind 25.000 Kilometer frei fließende Flüsse und drei Milliarden neu gepflanzte Bäume. Forschung zur Artenvielfalt will die EU stärker fördern.

Für diese Ziele sollen nach Vorstellung der Kommission mindestens 20 Milliarden Euro jährlich in Naturschutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen fließen.

"Es darf nicht bei Worten bleiben"

Umweltorganisationen und Grüne loben die Strategie für mehr Artenvielfalt – und betonen gleichzeitig, dass die Durchsetzung erst beginne. "Um die entsprechenden Entscheidungen zu treffen, sind zunächst das EU-Parlament und die EU-Ministerräte für Umwelt und Landwirtschaft am Zug", heißt es bei der Naturschutzstiftung WWF. Sie müssten die Strategien unterstützen, um "widerstandsfähige Ökosysteme und auch damit widerstandsfähige Volkswirtschaften" aufzubauen.

Von einem "wichtigen Meilenstein" sprach Antje von Broock vom BUND. Jedoch bleibe die Biodiversitätsstrategie in vielen Punkten unkonkret und müsse in den kommenden Jahren besonders durch die Mitgliedsländer der EU mit Leben gefüllt werden. Landwirtschaft, Verkehr, Energie- und Ressourcenverbrauch seien hauptverantwortlich für das Artensterben, hier müsse die Politik ansetzen.

Auch der Naturschutzbund fordert politische Taten. "Es darf hier nicht bei Worten bleiben, jetzt sind vor allem die EU-Mitgliedsstaaten am Zug", sagte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger. Er forderte die Bundesregierung auf, zügig mit der wirksamen Umsetzung beider Strategien in Deutschland zu beginnen. "Deutschland muss Agrarmittel umschichten, eine eigene Renaturierungsstrategie entwickeln und die bislang vernachlässigten Schutzgebiete endlich besser finanzieren", mahnte Krüger.

"Gelingt es, die gesteckten Ziele zu erreichen, so wird Europa 2030 ein anderes, ein grüneres sein", sagte der Grünen-Abgeordnete Häusling. Dann würden große Teile der Land- und Meeresfläche der EU unter Schutz stehen und ökologische Korridore ein transeuropäisches Naturnetzwerk bilden. "Die vorgestellte Biodiversitätsstrategie hat das Potenzial, den Hebel umzustellen: Leben und Arbeiten im Einklang mit der Natur, statt sie als Rohstofflieferantin auszubeuten", so Häusling.

Jetzt müssten aus den Zielen konkrete und zielführende Aktionen werden. Entscheidend sei dabei der EU-Haushalt für die nächsten Jahre. Dieser müsse ausreichende Finanzmittel für den Artenschutz und die Stärkung der ökologischen Landwirtschaft beinhalten, forderte der Umweltpolitiker.

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