Niederländische Bauern auf dem Weg nach Den Haag zum Protest gegen die Auflagen zur Verringerung des Viehbestands. (Bild: Inge Hogenbijl/​Shutterstock)

Landwirte, die mit ihren Traktoren Autobahnausfahrten blockieren? Kommt einem aus niederländischer Perspektive bekannt vor. Dass in Deutschland im Moment nach niederländischem Drehbuch agiert wird, verheißt nichts Gutes mit Blick auf die politische Kultur. Von den niederländischen "Boeren" lernen heißt nämlich siegen lernen.

Zur Erinnerung: In den Niederlanden hatten Gerichte die Regierung gezwungen, wegen des viel zu hohen Stickstoff-Ausstoßes endlich Umweltauflagen durchzusetzen, was für einige Höfe weniger Tiere bedeutet hätte. So kam es im Jahr 2022 zum Höhepunkt von Bauernprotesten und der Anwendung "neuer Protestformen".

Landwirte organisierten nicht nur Massendemos mit Traktoren, sondern entdeckten für sich auch den "zivilen Widerstand", inklusive Regelverletzung und Gesetzesbruch. Sie blockierten mit ihren Treckern Straßen und Autobahnabfahrten, den Sitz verschiedener Provinzregierungen – und besonders rabiate Gruppen zogen schon mal mit Fackeln vor das Haus eines Regierungsmitglieds.

Bedrängen von Regierungsmitgliedern? Die jüngste Blockade der Privatperson Robert Habeck war also Copy-and-paste.

Dramatisch in den Niederlanden war vor allem, dass diese Strategie tatsächlich Früchte abwarf. Die Regierung war über viele Monate eingeschüchtert, überraschend verständnisvoll, kam mit großzügigen finanziellen Angeboten zur Kompensation betroffener Betriebe.

Schwierig war vor allem, dass die Regierungskoalition nicht einer Meinung war. Die Christdemokraten stellten plötzlich die gemeinsamen Vereinbarungen infrage, weil sie die Bauern als ihre Wählerschaft nicht verlieren wollten. Ironischerweise hat das aber überhaupt nicht geklappt.

Profitieren könnte in Deutschland die AfD

Plötzlich war die neue Bauern- und Bürgerpartei BBB bei den Wahlen erfolgreich und wurde zum wichtigen Machtfaktor, der die Politik auf den Kopf stellte. Nach den nationalen Wahlen von 2023 ist die BBB wohl dazu bereit, den rechtspopulistischen Politiker Geert Wilders zum Ministerpräsidenten zu wählen. 

Was wird also in Deutschland passieren, wenn weiter nach dem niederländischen Drehbuch inszeniert wird? Hier meine Prognose:

Porträtaufnahme von Martin Unfried.
Bild: ITEM

Martin Unfried

ist an der Universität Maas­tricht in den Nieder­landen am Institut für grenz­über­schreitende Zusammen­arbeit und Mobilität ITEM tätig. Der studierte Politik­wissen­schaftler wurde als Kolumnist für die Tages­zeitung Taz und andere Medien bekannt.

Der Bauernverband verliert mehr und mehr die Kontrolle und radikale Gruppen dominieren den Protest. Der Kulturkampf folgt dem Beispiel der Klimablockaden mit umgedrehten Vorzeichen: Politiker:innen der Unionsparteien und der AfD äußern überraschend viel Verständnis für Blockaden und Regelverletzungen, ebenso die Bild-Zeitung. Anders als bei Klimaprotesten halten sich Polizei und Staatsanwaltschaft zurück.

Der Kampf der Bauern wird von rechts zum Kulturkampf zwischen städtischer Elite und bodenständiger Landbevölkerung hochgejazzt, und zum legitimen Aufstand gegen eine verhasste Regierung. Nicht nur Oppositionspolitiker:innen, sondern immer mehr Akteure der Regierungskoalition werden weiteres Entgegenkommen fordern.

Das wird nicht etwa zur Befriedung führen, sondern gibt den radikaleren Teilen Auftrieb. Die Union wird allerdings nicht die Ernte ihres Kuschelkurses einfahren. Da es keine neue politische Protestpartei gibt wie in den Niederlanden, könnte die AfD profitieren.

Der Versuchung zum "Kulturkampf" widerstehen

So weit das Worst-Case-Szenario. So muss es aber nicht kommen – wenn die Regierung eben aus dem niederländischen Fall die richtigen Lehren zieht. Dann hält sie geschlossen an den jetzigen, bereits abgeschwächten Subventionskürzungen fest und belohnt nicht etwa eine Strategie der Eskalation. Und dann hat der Bauernverband auch das Gespür dafür, sich deutlich von den radikalen und rechten Strömungen abzusetzen.

Und die Union? Wenn sie der Versuchung widersteht, die Kulturkampferzählung mitzutragen, wird sie eher gewinnen als verlieren. Lauter als die AfD kann sie sich doch nicht für das vermeintliche Wohl der Landwirte einspannen lassen.

Spannend bleiben offene Fragen: In den Niederlanden haben weite Teile der Gesellschaft selbst dann noch mit den Landwirten sympathisiert, als die Blockaden auch wiederholt Autofahrer:innen getroffen hatten. Ob die Deutschen so verständnisvoll sind, wenn es an ihre eigene Haut geht, ist noch nicht deutlich geworden. Die Reaktionen auf Klimablockaden sprechen eigentlich dagegen.

 

Grundsätzlich gilt, was ich 2022 in einem Beitrag zum Instrument des "zivilen Widerstands" geschrieben habe: Wer im Fall des Klimaschutzes Blockaden als legitimes Mittel der Politik betrachtet, dem fehlen die Argumente, wenn Leute auf die Idee kommen sollten, aus einer selbst definierten "Notlage" heraus eine Autobahnabfahrt zu blockieren. Zum Beispiel, wenn es wie im Fall der Landwirte um klimapolitisch sinnvolle Kürzungen von Subventionen geht.

Das kann man nicht vergleichen, werden jetzt viele sagen. Kann man schon: Für unsere politische Kultur und Demokratie sind Blockaden in der jetzigen aufgeheizten Stimmung grundsätzlich nicht hilfreich.