Herber Schlag gegen den Naturschutz: Im Umweltausschuss des EU-Parlaments fand der Vorschlag für das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur keine Mehrheit. Am gestrigen Dienstag stimmten 44 Abgeordnete für die geänderte Fassung, genauso viele votierten dagegen, sodass die notwendige Mehrheit nicht zustande kam.
Mit dem Votum stellten sich die Abgeordneten gegen den Rat von 3.000 Wissenschaftler:innen, die in einem offenen Brief auf ein wirksames Naturschutzgesetz und eine nachhaltige Nutzung von Ressourcen drängten.
Vor allem konservativen Parlamentarier:innen ist das neue Gesetz ein Dorn im Auge. In den vergangenen Wochen streuten Abgeordnete der christdemokratischen EVP-Fraktion immer wieder falsche Behauptungen zu dem Gesetzesvorhaben. So warnte die EVP, das Gesetz werde die Nutzung von Agrarflächen einschränken, dies bedrohe die Ernährungssicherheit.
Demgegenüber erklären die Wissenschaftler:innen in dem offenen Brief, den Aussagen der EVP mangele es an wissenschaftlichen Belegen oder sie widersprächen diesen sogar.
Beobachter:innen sind der Auffassung, dass es der Fraktion weniger um die politische Auseinandersetzung mit dem Gesetz geht als um innerparteiliche Machtkämpfe. Das Gesetz ist Teil von Ursula von der Leyens Green Deal, mit dem die Kommissionspräsidentin die EU bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral machen will.
Stärkster Widersacher von der Leyens ist ihr Parteikollege Manfred Weber. Dem EVP-Fraktionschef gehen die geplanten Umweltvorgaben zu weit. Er will weniger Auflagen für Landwirte und Industrie.
Eine Rolle in dem parteiinternen Zwist dürfte auch die Besetzung der Kommissionspräsidentschaft nach der letzten Europawahl spielen. 2019 war der CSU-Politiker Weber als Spitzenkandidat der EVP angetreten, die bei der Wahl die meisten Stimmen holte. Die Staats- und Regierungschefs der EU setzen allerdings Ursula von der Leyen von der CDU als Präsidentin der EU-Kommission durch.
EVP tauschte Abgeordnete im Ausschuss aus
Die EVP-Fraktion hatte sich vor etwa einem Monat aus den Verhandlungen zum Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zurückgezogen. Mitte Juni beantragen die konservativen Abgeordneten im zuständigen Umweltausschuss die Ablehnung des Gesetzes – das wurde nur knapp verhindert.
Weil aber auch der Kompromissvorschlag von Sozialdemokrat:innen, Liberalen, Grünen und Linken keine Mehrheit fand, musste der Ausschuss hunderte Änderungsanträge behandeln. Die dafür eingeplante Zeit reichte nicht aus, sodass jetzt über die restlichen Änderungsanträge abgestimmt wurde. Doch am Ende gab es nun keine Mehrheit für die geänderte Fassung des Gesetzes.
Pikantes Detail der vergangenen Abstimmungen im Umweltausschuss: Die EVP ersetzte einige Abgeordnete des Ausschusses während der Abstimmung durch loyale Parteimitglieder, die gegen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur stimmen sollten.
Mitte Juli soll das gesamte Plenum des EU-Parlaments abstimmen. Der Umweltausschuss wird eine Ablehnung des Kommissionsvorschlags vorschlagen. Sollte das Gesetz im Plenum keine Mehrheit bekommen, könnte es erstmal auf Eis gelegt werden.
Für die Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme wäre das fatal. 81 Prozent der Lebensräume in der EU sind in einem schlechten Zustand – trotz bestehender EU-Gesetze wie der EU-Vogelschutzrichtlinie oder der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie.
Mit dem Naturwiederherstellungsgesetz nimmt die EU erstmals die Natur als Ganzes in den Blick. Der Zustand zerstörter oder geschädigter Ökosysteme soll verbessert werden. Dazu sollen Moore wiedervernässt, degradierte Böden verbessert, begradigte Flüsse in einen natürlicheren Zustand zurückgebracht und monotone Wälder mit verschiedenen Arten durchmischt werden.
Verfechter des Vorhabens hoffen, dass es das Gesetz durchs Parlament schafft. "Meine Hoffnung ruht jetzt auf der Behandlung und Abstimmung des Themas im Plenum", sagte Martin Häusling von der Grünen-Fraktion. Dort habe die EVP "keine Chance, durch Austausch von Abgeordneten wie im Umweltausschuss das Abstimmungsergebnis zu manipulieren".
Die EU-Mitgliedsstaaten haben vor einer Woche im Ministerrat ihre Position zu dem Gesetz festgelegt. Dabei schwächten sie Teile des Gesetzes erheblich ab, zum Beispiel stimmte der Rat für schwächere Ziele bei der Wiederherstellung von Mooren und Wäldern.