Die EU will mehr Ökosysteme wiederherstellen – wie hier die Havel durch ein Projekt des Naturschutzbundes. Doch konservative Politiker:innen wollen das Gesetz lieber versenken. (Bild: Sebastian Hennigs/NABU)

Konservativen Politiker:innen ist die geplante Verordnung zur Wiederherstellung der Natur ein Dorn im Auge. Am vergangenen Mittwoch haben Abgeordnete der christdemokratischen EVP-Fraktion die Verhandlungen im Umweltausschuss des EU-Parlaments verlassen. Der umweltpolitische Sprecher der Fraktion, Peter Liese, warnte vor zusätzlichen Naturschutzauflagen für Land- und Forstwirt:innen.

Schon länger macht die Fraktion Stimmung gegen die Verordnung und schreckt auch nicht vor kruden Behauptungen zurück. Das Gesetz, heißt es etwa, würde den ländlichen Raum schwächen.

In sozialen Netzwerken legte die Partei nach und verbreitet Falschinformationen: Dörfer müssten wegen Renaturierungsmaßnahmen weichen und Landwirt:innen seien gezwungen, zehn Prozent ihres Ackerlandes aufzugeben.

Nur: Solche Bestimmungen finden sich nirgends im Gesetzentwurf.

Stattdessen soll bis 2030 erreicht werden, dass zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Merkmale großer Vielfalt aufweisen – etwa durch Hecken, Teiche oder Gräben, die die biologische Vielfalt erhöhen. Auch Obstplantagen oder extensive Weidewirtschaft können darunter fallen. Das Zehn-Prozent-Ziel bezieht sich auf ganze Mitgliedsstaaten. Einzelne Landwirt:innen verpflichtet das keinesfalls zur Aufgabe von Ackerland.

"Die Behauptungen der EVP sind nicht anderes als Fake News", ärgert sich die Europa-Abgeordnete Jutta Paulus von den Grünen. Dass Flächen aufgegeben werden müssten, stehe nicht im Gesetz, und dennoch habe die EVP das immer wieder behauptet.

"Populistischer Wahlkampfauftakt"

Paulus wirft den Christdemokraten vor, Wahlkampf zu betreiben. In Wahrheit gehe es "nicht um Inhalte, sondern um einen populistischen Wahlkampfauftakt der EVP und um Manfred Webers Fehde mit der Kommissionspräsidentin", sagt die Grünen-Abgeordnete. Der CSU-Politiker Manfred Weber ist Partei- und Fraktionschef der EVP.

Im Wahlkampf zur bevorstehenden Europawahl im nächsten Jahr will die Fraktion als Interessenvertreterin der Bäuerinnen und Bauern auftreten. "Die EVP ist und bleibt die Stimme und die Verteidigerin der europäischen Landwirte und unserer ländlichen Gemeinschaften", heißt es in einem Strategiepapier der Fraktion von Anfang Mai, das 'European Farmers' Deal' überschrieben ist.

 

Das klingt zwar wie ein Pendant zu Ursula von der Leyens European Green Deal, der die EU bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral machen soll, ist aber nicht ansatzweise vergleichbar mit den tiefgreifenden Reformen, die die EU-Kommission angestoßen hat.

Beim Naturschutz will die EVP weitermachen wie bisher und lehnt das Wiederherstellungsgesetz ab. Aus den Verhandlungen zum Gesetz hat sich die Fraktion nun zurückgezogen und fordert die EU-Kommission auf, einen neuen Vorschlag vorzulegen.

Doch EU-Klimakommissar Frans Timmermans hatte schon klar gemacht, dass die Kommission keinen neuen Vorschlag vorlegen werde, nachdem die EVP das Gesetz zuvor im Agrar- und im Fischerei-Ausschuss abgelehnt hatte.

Die EVP ist die größte der Fraktionen im EU-Parlament, aber nicht groß genug, um das Gesetz zu blockieren. "Ohne die EVP ist es schwieriger, eine Mehrheit zu finden, aber unmöglich ist das nicht", sagt Jutta Paulus.

Sozialdemokrat:innen, Liberale, Grüne und Linke haben sich nach dem Ausstieg der EVP auf einen Kompromiss geeinigt, über den Mitte Juni im federführenden Umweltausschuss abgestimmt werden soll.

EU-Biotope zu 80 Prozent in schlechtem Zustand

81 Prozent der Lebensräume in der EU sind in einem schlechten Zustand, bilanzierte die Europäische Umweltagentur EEA in einem Bericht – trotz bestehender Gesetze wie der EU-Vogelschutzrichtlinie oder der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie.

Mit dem Gesetz zur Naturwiederherstellung nimmt die EU erstmals die Natur als Ganzes in den Blick. Ziel ist es, den Zustand der Ökosysteme in der EU zu verbessern. Dazu sollen Moore wiedervernässt, degradierte Böden verbessert, begradigte Flüsse in einen natürlicheren Zustand zurückgebracht und monotone Wälder mit verschiedenen Arten durchmischt werden.

"Das Gesetz zur Rettung der Natur hat zum Ziel, die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme zu verbessern beziehungsweise wiederherzustellen", sagt Paulus. Davon würden auch Land- und Forstwirt:innen profitieren, weil funktionsfähige Ökosysteme sauberes Wasser, gesunde Luft und fruchtbare Böden bereitstellen.

Eine intakte Natur kommt auch dem Klimaschutz zugute, weil unversehrte Moore oder Wälder CO2 binden können. Doch wenn diese Ökosysteme zerstört oder geschädigt werden, setzen sie Treibhausgase frei.

Auch der Weltklimarat IPCC bezeichnete den Schutz und Wiederherstellung von Ökosystemen in seinem letzten Sachstandsbericht als wichtigen Hebel, um die Klimaziele zu erreichen.

 

Im vergangenen Dezember hatte die EU beim UN-Biodiversitätsgipfel in Montreal zusammen mit anderen Staaten dafür gesorgt, dass ein weltweites Artenschutzabkommen verabschiedet wurde. Bis 2030 sollen demnach 30 Prozent der Landflächen der Erde unter Schutz gestellt werden.

"In Montreal war die geplante Gesetzgebung zur Wiederherstellung der EU ein starkes Argument gegenüber dem globalen Süden", sagt Jutta Paulus. Eine Ablehnung des Gesetzes wäre ein verheerender Schlag für das internationale Ansehen der EU.

Paulus formuliert es so: "Wenn die EVP das Ganze jetzt ablehnt, dann vermittelt sie dem globalen Süden, dass er der EU nicht trauen kann."

Anzeige