Wie Europa Nahrungsmittel produziert, ist ineffizient, sagt Jeroen Candel von der niederländischen Universität Wageningen.
Es werden zu viele Lebensmittel verschwendet, die konventionelle Landwirtschaft ist der Haupttreiber für den Verlust von biologischer Vielfalt und die Produktion von Fleisch verursacht einen hohen Ausstoß von Treibhausgasen.
Ein Drittel von Europas Treibhausgasen entfällt auf die Landwirtschaft. "Unsere Art und Weise, Lebensmittel herzustellen, überschreitet die planetaren Grenzen und gefährdet die Gesundheit von Menschen, Tieren und des Planeten", sagt Candel, der zu Ernährungssystemen forscht.
Deshalb soll die Herstellung von Lebensmitteln naturverträglicher werden. Derzeit werden auf 70 Prozent von Europas Agrarflächen Pflanzen für Tierfutter und Agrokraftstoffe angebaut. Besser wäre es, stattdessen mehr Pflanzen anzubauen, die der Mensch selbst isst.
Würden sich die Menschen in Europa stärker pflanzlich ernähren, würde viel weniger Fläche gebraucht, um die Europäer:innen satt zu machen. Um nicht weniger als 70 Prozent ließe sich der Flächenverbrauch der Landwirtschaft so verringern.
Weniger Fläche für Landwirtschaft? Für die bürgerlich-konservativen Abgeordneten des EU-Parlaments ist das ein rotes Tuch. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) behauptet, dass Landwirt:innen weniger Flächen zur Verfügung haben, wenn das von der EU geplante Gesetz zur Wiederherstellung der Natur in Kraft tritt. Das könne Europas Ernährungssicherheit gefährden.
Deshalb möchte die christdemokratische EVP-Fraktion das Gesetz in die Tonne treten und hat sich aus den Verhandlungen im Europaparlament zurückgezogen. Am morgigen Donnerstag, wenn der zuständige Umweltausschuss über das Gesetz abstimmt, wollen die EVP-Abgeordneten dagegen votieren.
"Politisches Spiel im Vorfeld der Europawahlen"
Sozialdemokrat:innen, Liberale, Grüne und Linke haben sich zwar auf eine Kompromissposition geeinigt, aber ob sie die erforderliche Mehrheit für den Beschluss zusammenbekommen, ist ungewiss. Die liberale Renew-Fraktion ist gespalten, einige ihrer Parlamentarier:innen wollen zusammen mit der EVP-Fraktion gegen das Gesetz stimmten.
"Das Gesetz durch den Ausschuss zu bekommen, wird schwer", sagt die EU-Abgeordnete Jutta Paulus von den Grünen. "Wenn es im Parlament scheitert, kommt es diese Legislaturperiode definitiv nicht mehr."
Eigentlich soll das Gesetz den Zustand von geschützten Ökosystemen in der Europäischen Union verbessern. Denen geht es ziemlich miserabel. 81 Prozent der Lebensräume in der EU sind in einem schlechten Zustand, bilanzierte die Europäische Umweltagentur EEA in einem Bericht.
Das Gesetz – so behauptet es die EVP – würde dazu führen, dass den Landwirten weniger Agrarflächen zur Verfügung stehen. "Diese Behauptungen, dass die Renaturierung Flächen aus der Produktion nimmt und so die europäische Ernährungssicherheit gefährdet, sind weit von der Wahrheit entfernt", sagt Candel. Die Erzeugung gesunder und nachhaltiger Lebensmittel sei gut mit der Wiederherstellung der Natur vereinbar.
Warum die EVP trotzdem gegen das Gesetz schießt, liegt für Sabien Leemans, Biodiversitätsexpertin beim WWF in Brüssel, auf der Hand. "Die EVP fährt eine aggressive Kampagne und schreckt auch vor Falschaussagen nicht zurück", so Leemans.
Monatelang hätten die Christdemokraten mit den anderen Fraktionen im Parlament über das Gesetz verhandelt und Änderungsanträge eingebracht. Ende Mai habe die Fraktion die Verhandlungen zum Gesetz abgebrochen, weil das Gesetz nun auf einmal schlecht sei. "Die Behauptung ist nicht glaubwürdig, sondern politisches Spiel im Vorfeld der Wahlen", ist Leemans überzeugt.
Zwar zeigte sich die ablehnende Haltung der EVP zum Naturwiederherstellungsgesetz auch schon in früheren Beschlüssen, doch erst seit drei Wochen nimmt die Fraktion nicht mehr an den Beratungen zum Gesetz teil.
Renaturierung zahlt sich wirtschaftlich aus
Während die Wiederherstellung der Natur für konservative EU-Abgeordnete offenbar ein No-Go ist, sprechen sich die CSU-Mitglieder in Bayern für mehr Naturschutz aus. Im Grundsatzprogramm, das die Partei vor etwa einem Monat auf ihrem Parteitag in Nürnberg beschlossen hat, unterstützt die CSU die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung und will auch die Renaturierung fördern.
"Wir unterstützen Strategien zum Schutz von Auen und Bächen auch zur Hochwasserprävention. Flussrenaturierungen sind für den Hochwasserschutz unabdingbar und müssen, wo immer möglich, vorangetrieben werden", heißt es in dem neuen CSU-Programm.
"In Bayern bekennt sich die CSU zum Naturschutz und zur Renaturierung, insofern ist es schon überraschend, dass bei Manfred Weber in dieser Hinsicht keine Reflexion erfolgt", sagt Jutta Paulus. Der CSU-Politiker Manfred Weber führt die EVP-Fraktion an.
Die EU-Abgeordnete Paulus fordert die Christdemokraten auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben und die vergangene Woche erzielte Einigung der vier Fraktionen zu unterstützen. "Wir haben viele der Forderungen der Europäischen Volkspartei übernommen und trotz des Rückzugs der EVP beibehalten, um unsere Kompromissbereitschaft zu zeigen", sagte Paulus.
Auch große Wirtschaftsunternehmen unterstützen ein ambitioniertes Renaturierungsgesetz. Konzerne wie Nestlé, Danone, Ikea und Spar fordern in einer Erklärung, "die dringende Verabschiedung eines ehrgeizigen und rechtsverbindlichen EU-Naturschutzgesetzes, um die Natur nach Europa zurückzubringen".
Studien belegen, dass sich die Wiederherstellung von Ökosystemen für die Regionen auch ökonomisch auszahlt. Die Wirtschaft wächst, Tourismus entwickelt sich, es entstehen lokale Arbeitsplätze.
So wurde an der Grenze zwischen Belgien und den Niederlanden die Maas auf einer Länge von 40 Kilometern renaturiert, weil es dort immer wieder zu starken Überschwemmungen kam. Jeder investierte Euro brachte den Gemeinden vor Ort zehn Euro ein. Der Ökotourismus zog an und die Region war besser vor Überflutungen geschützt.
"Auch Landwirte profitieren von Renaturierungen und einer Umstellung des Lebensmittelsystems", sagt Jeroen Candel. Wenn die Europäer:innen mehr pflanzliche Lebensmittel produzieren und essen würden, könne das Einkommen der Landwirte in der EU um bis zu 70 Prozent steigen.
Ergänzung am 15. Juni: In der Abstimmung setzte sich weder der Antrag der Christdemokraten zur Streichung des Gesetzes noch der Kompromissantrag der anderen Fraktionen durch. Im Umweltausschuss wird nun bis Ende Juni weiterverhandelt.