Lachende Frau mit Schild
"Für unsere Kinder": Aktivistin von "Extinction Rebellion" bei einer Klimaschutz-Demonstration vor dem britischen Parlament. (Foto: Jeremy Hutchison/​Extinction Rebellion)

Großbritannien bekommt im Herbst eine Bürgerversammlung, die einen Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2050 vorzeichnen soll. Das  haben sechs Ausschüsse des britischen Parlaments am Donnerstag zusammen angekündigt. Vor allem soll es darum gehen, wie mögliche Lasten des Wirtschaftsumbaus gerecht verteilt werden können. 

"Der Klimawandel betrifft uns alle, deswegen ist die Bürgerversammlung der ideale Weg, um den Menschen eine Stimme zu geben", sagte die Vorsitzende des Finanzausschusses Nicola Morgan. "So wie wir Abgeordneten in den Ausschüssen wird die Bürgerversammlung über politische Grenzen hinweg arbeiten."

Rachel Reeves, Vorsitzende des Wirtschafts- und Energieausschusses, sagte zu der Entscheidung: "Ich hoffe, die Bürgerversammlung wird zeigen, dass die Öffentlichkeit die nötigen Maßnahmen für netto null Emissionen im Jahr 2050 klar unterstützt, ja fordert."

In der Versammlung sollen zufällig ausgewählte Bürger zusammenkommen, die von Experten Informationen zu allen relevanten Perspektiven auf das Problem erhalten und dann gemeinsam eine Lösungsstrategie entwickeln. An mehreren Wochenenden im Herbst soll die Versammlung dann diskutieren, wie Großbritannien bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden kann. Die Versammlung kann dem Parlament und der Regierung dann Vorschläge machen.

Eine solche "Citizens’ Assembly" gehört zu den drei Kernforderungen der Gruppe "Extinction Rebellion", die im Frühjahr zehn Tage lang Verkehrsknotenpunkte in London blockierte, um auf die Klima- und Biodiversitätskrise aufmerksam zu machen.

Die Aktivisten werten die Ankündigung des Parlaments deshalb als Teilsieg für sich. "Es ist ermutigend, dass das Parlament unsere dritte Forderung jetzt ernst nimmt", sagte Linda Doyle von "Extinction Rebellion". Vor einigen Wochen hatte das Unterhaus bereits eine andere Forderung der Gruppe erfüllt und einen Umwelt- und Klimanotstand ausgerufen.

2050 ist eigentlich zu spät

Doyle kritisierte jedoch die geplante Ausgestaltung der Bürgerversammlung. Unter anderem stört sie sich daran, dass die Ergebnisse des Gremiums nicht verbindlich sein, sondern nur Empfehlungscharakter haben sollen.

Außerdem fordert die Aktivistin, dass das britische Ziel, erst 2050 klimaneutral zu werden, in der Bürgerversammlung noch einmal zur Debatte gestellt wird. "Es wäre schlimm, wenn die Stimmen der normalen Menschen nur auf zynische Art ausgenutzt würden, um die schwachen Ziele der Regierung legitim erscheinen zu lassen", sagte Doyle.

Bis zur Hälfte des Jahrhunderts muss dem jüngsten IPCC-Bericht zufolge die gesamte Welt klimaneutral sein, wenn es noch eine 50-prozentige Chance geben soll, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das haben sich die Staaten des Pariser Klimaabkommens vorgenommen. Das Jahr 2050 gilt deshalb allgemein als sinnvolles Stichjahr für die Klimaneutralität.

Großbritannien hatte sich Anfang Juni als erste große Volkswirtschaft zu diesem Ziel bekannt. Die Mehrzahl der EU-Länder folgte, ein Beschluss des Europäischen Rates scheiterte allerdings gestern Abend am Widerstand einiger osteuropäischer Staaten.

Global gesehen ist 2050 für die europäischen Staaten aber zu spät: Es ist mehr oder weniger Konsens, dass es fair wäre, wenn die Entwicklungsländer mehr Zeit für den Umbau ihrer Wirtschaft bekommen als die Industrieländer. Letztere haben mehr finanzielle Mittel und sind auch die hauptsächlichen Verursacher der Klimakrise. Bei einem solchen Fahrplan müssten die Industrieländer logischerweise schon vor 2050 klimaneutral werden.

"Extinction Rebellion" lehnt das 2050er Ziel generell ab und bezeichnet es als "Todesstrafe" für die Menschheit. Eine Chance von lediglich 50 Prozent, die Erwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen, sei einfach inakzeptabel. Die Gruppe fordert Klimaneutralität bis 2025. 

Vorbild Irland

Vorbild für die britische Bürgerversammlung ist Irland. Dort wurde 2016 ein solches Gremium einberufen, das auch zur Klimapolitik Stellung nehmen sollte. Eine große Mehrheit der 99 Mitglieder sprach sich dort für höhere CO2-Steuern gerade für die Landwirtschaft aus.

Bekannt wurde diese Bürgerversammlung vor allem mit dem Vorschlag, das irische Abtreibungsverbot abzuschaffen. Bei einem Referendum stimmten dann zwei Drittel der Iren für die Abschaffung. Eine weitere Bürgerversammlung führte dazu, dass die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt wurde.

Auch in Frankreich soll es im Herbst als Reaktion auf die Gelbwesten-Bewegung eine Bürgerversammlung geben. 150 zufällig ausgewählte Franzosen sollen darüber diskutieren, wie Frankreich sein Klimaziel für das Jahr 2030 erreichen kann.