Karettschildkröten schwimmen über ein Korallenriff.
Karettschildkröte in einem Korallenriff der Malediven im Indischen Ozean. (Bild: Andrej Armjagow/​Shutterstock)

Die biologische Vielfalt auf der Erde ist bedroht. Fachleute nehmen an, dass das sechste Massenaussterben in der Geschichte des Lebens auf dem Planeten begonnen hat – ausgelöst diesmal durch den Menschen.

Doch es gibt Hoffnung. Naturschutzmaßnahmen können einen entscheidenden Beitrag dazu liefern, den Artenschwund aufzuhalten und sogar umzukehren. Allerdings kann das nur funktionieren, wenn auch der Klimawandel stark gebremst wird.

Geschieht das nicht, könnten die Klimaveränderungen bis Mitte des Jahrhunderts sogar zum größten Treiber des Artensterbens werden. Das zeigen neue wissenschaftliche Studien.

Laut dem Weltbiodiversitätsrat IPBES sind bisher der Verlust von Lebensraum und der Wandel der Landnutzung – etwa die Umwandlung von Wald in Weideland – die Hauptfaktoren für den Rückgang der biologischen Vielfalt.

Als weitere Gründe gelten, von der Bedeutung her in dieser Reihenfolge, Jagd und Wilderei, Klimawandel, Umweltgifte sowie invasive Arten wie Mücken, Ratten und Schlangen. Die Wissenschaft ist sich jedoch uneins, wie stark genau die Artenvielfalt abgenommen hat.

Ein Forschungsteam unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (Idiv) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat das nun für den Landnutzungswandel genauer berechnet. Danach ist die globale Vielfalt allein aufgrund dieses Faktors im 20. Jahrhundert wahrscheinlich um zwei bis elf Prozent zurückgegangen.

Es handelt sich dabei um die größte Modellstudie ihrer Art, die jetzt in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurde. Die Untersuchung wurde von mehr als 50 Forschenden aus über 40 Einrichtungen durchgeführt.

"Wir konnten viele blinde Flecken füllen" 

Die Studie zeigt, dass der Nutzen der Natur für die Menschen durch die Eingriffe in die Landnutzung sich einerseits wie gewünscht entwickelt hat: Die "versorgenden Ökosystemleistungen" wie die Produktion von Nahrungsmitteln und Holz vervielfachten sich.

Andererseits gingen regulierende Ökosystemleistungen, wie die Bestäubung durch Insekten oder die Bindung von CO2 in Boden und Vegetation, zurück, wenn auch bisher nur leicht.

Beispiele für Naturschutzerfolge

Im brasilianischen Amazonasgebiet konnte gezeigt werden, dass die Einrichtung von Schutzgebieten sowohl die Abholzung als auch Brände erheblich reduziert. Die Abholzung war außerhalb der Schutzgebiete 1,7- bis 20-mal höher als innerhalb, und Brände traten vier- bis neunmal häufiger auf.

Im Kongobecken in Afrika war die Entwaldung bei Abholzungskonzessionen, die mit einem Waldbewirtschaftungsplan verbunden waren, um 74 Prozent geringer als bei Konzessionen ohne solchen Plan.

Das Management von Raubtierpopulationen auf zwei Barriereinseln vor dem US-Bundesstaat Florida, Cayo Costa und North Captiva, führte zu einer schnellen und deutlichen Verbesserung des Bruterfolgs von Karettschildkröten und Zwergseeschwalben, verglichen mit anderen Inseln, wo es solches Management nicht gab.

Das Team untersuchte dann, wie sich biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen in Zukunft entwickeln könnten. Dafür fügte es den Klimawandel als weiteren Faktor für den Wandel der Vielfalt in seine Modelle ein.

Ergebnis: Der Klimawandel wird sowohl die biologische Vielfalt als auch die Ökosystemleistungen zusätzlich beeinträchtigen.

Der Landnutzungswandel spielt zwar weiterhin eine wichtige Rolle, die Klimaerwärmung könnte bis 2050 allerdings zum Hauptgrund für den Artenschwund werden. Das Forschungsteam bewertete dabei drei der vom Weltklimarat IPCC eingeführten Szenarien – von einem Szenario nachhaltiger Entwicklung bis zu einem Szenario mit hohen Treibhausgas-Emissionen.

Henrique Pereira, Erstautor der Studie und Ökologie-Professor am Idiv, hob die besondere Bedeutung der Studie hervor. "Indem wir alle Erdregionen in unser Modell einbezogen haben, konnten wir viele blinde Flecken füllen", sagte der Leiter einer Idiv-Forschungsgruppe in Leipzig. Der genutzte Ansatz liefere wahrscheinlich "die bisher umfassendste Berechnung des weltweiten Biodiversitätswandels".

Die Auswirkungen verschiedener Schutzmaßnahmen abzuschätzen, könne dabei helfen, die wirksamsten auszuwählen, so Pereira. Die Ergebnisse zeigten klar, dass die derzeitigen politischen Maßnahmen nicht ausreichen, um die internationalen Ziele für biologische Vielfalt zu erreichen. "Wir müssen mehr tun, um eines der größten globalen Probleme zu lösen: den vom Menschen verursachten Wandel der biologischen Vielfalt."

Geld für Naturschutz wäre vorhanden

Eine weitere aktuelle Überblicksstudie belegt, dass es durchaus Chancen gibt, die Zuspitzung der Biodiversitätskrise abzuwenden. Die Untersuchung bewertet den Erfolg von Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt, die weltweit seit dem Jahr 1890 ergriffen worden sind.

Als besonders effektiv identifizierte das Forschungsteam die Einrichtung von Schutzgebieten, die Bekämpfung invasiver Arten, die nachhaltige Bewirtschaftung von Ökosystemen sowie die Verringerung von Lebensraumverlusten.

Erschienen ist die Metastudie ebenfalls in Science, ausgewertet wurden dafür 186 Untersuchungen zu 665 Renaturierungsmaßnahmen. An der neuen Studie war die US-Naturschutzorganisation Rewild maßgeblich beteiligt.

In 45 Prozent der untersuchten Fälle stellte das Team Verbesserungen des Zustandes der Artenvielfalt fest, in weiteren 20 Prozent zumindest einen langsameren Rückgang gegenüber der vorherigen Situation. Zwei von drei Maßnahmen zeigten also Wirkung.

Selbst in den anderen Fällen war der Aufwand laut der Analyse nicht ganz umsonst. Die Naturschützer hätten dabei gelernt, wie die Methoden zu verbessern seien.

Hauptautorin Penny Langhammer betonte allerdings, der Schutz der Biodiversität müsse erheblich ausgeweitet werden, um die globale Krise der Artenvielfalt zu stoppen. Naturschutz müsse "weltweit erhebliche zusätzliche Ressourcen und politische Unterstützung erhalten", sagte die Vizepräsidentin von Rewild.

 

Theoretisch sind die Weichen dafür auch gestellt. So haben 196 Staaten vor zwei Jahren im kanadischen Montreal das Weltnaturschutz-Abkommen beschlossen, das zum Ziel hat, den Verlust der Biodiversität an Land und in den Meeren zu stoppen und geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen.

So sollen bis 2030 jeweils 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche des Planeten unter Schutz gestellt werden. Für die Umsetzung benötigt es jedoch noch weitere Anstrengungen.

Ein umfassendes globales Programm zum Biodiversitätsschutz würde nach Schätzungen 178 bis 524 Milliarden US-Dollar kosten, hat die halbstaatliche Weltnaturschutzunion IUCN ermittelt.

Das Geld könnte übrigens leicht aufgebracht werden, wenn nur ein Teil der globalen Subventionen für fossile Brennstoffe dafür umgewidmet würde. Sie betragen laut der Science-Studie rund eine Billion Dollar, was etwa dem Doppelten des höchsten genannten Betrages entspricht.

Es wäre eine Win-win-Situation. Denn der Antrieb für den Klimawandel würde gebremst, was wiederum, siehe oben, die Naturschutzkrise entspannen würde.