Porträtaufnahme von Sebastian Sladek.
Sebastian Sladek. (Foto: Bernd Schumacher)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Sebastian Sladek, geschäftsführender Vorstand der Elektrizitätswerke Schönau (EWS).

Klimareporter°: Herr Sladek, viele, die sich für die Energiewende engagieren, sehen keine Alternative dazu, die deutsche Erdgasversorgung zu sichern, indem Kohle statt Erdgas für die Stromerzeugung eingesetzt wird. Allerdings birgt das die Gefahr, dass die deutschen Klimaziele unerfüllbar werden. Wie sehen Sie die vertrackte Lage?

Sebastian Sladek: Ich war schon vor den fatalen Kriegsereignissen wenig optimistisch, dass Deutschland willens genug ist, die gewaltige Kraftanstrengung zu unternehmen, die Emissionspfade auf 1,5-Grad-Kurs zu führen. Dass nun voraussichtlich sogar stillgelegte Kohlekraftwerke als Reserve aktiviert werden, ist für alle, denen Klimaschutz am Herzen liegt, ein schmerzhafter Rückschlag.

Die Beteuerungen der SPD, am Kohleausstieg 2030 festhalten zu wollen, sind da kein Trost, denn wenn die Treibhausgase einmal in der Atmosphäre sind, bleiben sie auch dort und wirken. Und das wohlgemerkt vor dem Hintergrund einer Erderwärmung, deren Dynamik gerade den pessimistischsten Annahmen der Wissenschaft gerecht wird.

Umso wichtiger ist es, sich dieser Verantwortung bewusst zu sein, und die Kohlekraftwerke nur dann anzufeuern, wenn es wirklich nicht anders geht. Vorher müssen andere Wege ausgeschöpft werden.

In Anbetracht der Lage ist es nicht hinnehmbar, wenn zum Beispiel Solar-Großflächenanlagen fertig sind, aber mangels Zertifizierung nicht ans Netz dürfen. Darüber hinaus hoffe ich stark, dass das Thema Energiesparen nun noch stärker in den Fokus rückt.

Die Stadt Berlin geht voran, um Älteren und anderen Gefährdeten bei Hitzewellen besser helfen zu können. Doch für Deutschland gibt es bisher keinen nationalen Hitzeaktionsplan. Dabei hatten wir seit 2016 in fast jedem Jahr eine Hitzewelle. Wird Klimaanpassung nicht ernst genommen?

Für die Geschwindigkeit und Heftigkeit, mit der die Krisen über uns hineinbrechen, ist der deutsche Verwaltungsapparat nicht gemacht, das sehen wir schon seit Langem. Noch immer scheint in vielen Köpfen der Gedanke vorherrschend zu sein, dass die Klimakrise etwas ist, das uns vielleicht mal in Zukunft betreffen könnte.

Dabei macht sie vielen Menschen schon heute extrem zu schaffen – vor allem den Verletzlichsten der Gesellschaft wie alten und kranken Mitmenschen. Was eine Hitzewelle für die Altenpflege bedeutet, haben wir schon vor zwei Jahren in unserem Energiewende-Magazin berichtet.

Die Klimakrise ist eine Gesundheitskrise, denn der Mensch ist nur in einem begrenzten Temperatursegment lebensfähig. Spätestens mit diesem Sommer, der wieder einmal Rekorde bricht, muss das Thema Hitzeschutz auf Bundesebene auf die Tagesordnung.

Im Zusammenhang mit der Energiepreiskrise werden auch Forderungen nach längeren Laufzeiten der AKW wieder lauter. Können wir mit mehr Kohlestrom leben, aber nicht mit zusätzlichem Atomstrom?

Es ist keine Überraschung, dass auch diese Scheindebatte wieder hochgekocht wird. Das alte Atom-Märchen scheint auch in den letzten Zügen der deutschen Atomkraft noch seine Anhänger zu finden. Dabei haben nicht einmal die Betreiber ein Interesse, die verbliebenen Meiler weiterlaufen zu lassen.

Die Argumente dagegen sind bekannt: zu teuer, zu aufwendig, zu unflexibel für die Residuallast, die ungeklärte Frage nach neuen Brennstoffen, insgesamt zu viel Risiko für zu wenig Nutzen.

Die Abhängigkeit von russischem Gas in Europa durch Abhängigkeit von russischem Uran ersetzen zu wollen, treibt die Irrationalität dann vollends auf die Spitze. Der Situation angemessen scheint mir im Gegenteil eher ein Uranembargo zu sein, wie es zum Beispiel der russische Umweltschützer Wladimir Sliwjak fordert.

Alle diese Fakten einfach zu ignorieren und dann jenen, die auf sie hinweisen, Ideologismus vorzuwerfen, hat schon etwas Perfides. Bleibt zu hoffen, dass ein derartiger, sich "alternativer Fakten" bedienender Politikstil in Deutschland nicht salonfähig wird.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

In den letzten Monaten war ich immer mal wieder überrascht, welche Worte dem Munde unseres Finanzministers Christian Lindner entfleuchen – diese Woche war es wieder so weit.

Wir erinnern uns: Im Januar hatte er – sehr stimmig und sehr schlüssig – erklärt, warum Atomkraftwerke keine Zukunft haben. Mit der Erinnerung an den schwarz-gelben "Ausstieg vom Ausstieg" von 2010 kamen diese Worte aus seinem Munde für mich doch überraschend.

Mittlerweile kann sich Herr Lindner aber nur noch an seine Rhetorik von 2010 zu erinnern, stimmt er doch nun plötzlich wieder das Lied der Laufzeitverlängerungen an. Ebenso ist ihm scheinbar entfallen, dass er eigentlich mal eine Zukunftskoalition eingehen wollte. Heute aber stellt er sich mit Vehemenz gegen ein Verbot des Verbrennungsmotors – anders als VW und Mercedes übrigens.

Nun sind Erinnerungslücken in der Politik nicht so ungewöhnlich. Aber dass unser Finanzminister in seiner Denke plötzlich über zehn Jahre zurückfällt, stimmt mich doch etwas sorgenvoll.

Dass nicht etwa Erinnerungslücken, sondern andere Einflüsse seine Gedanken vernebeln, ist man da fast geneigt zu hoffen. In der gegenwärtigen Lage jedenfalls wären mir Regierende lieber, die an die Zukunft denken können, statt geistige Gefangene der Vergangenheit zu sein.

Fragen: Jörg Staude

Anzeige