Rote Ampel
Ampel auf Rot bei der Klimapolitik der Bundesregierung: Können die Experten es noch deutlicher sagen? (Foto: Kenny Louie/​Flickr)

Das Selbstbild, das die Bundesregierung von ihrer Arbeit an der Energiewende zeichnet, und die Ansichten der von ihr selbst eingesetzten Experten fallen immer weiter auseinander. Das prägt auch die Debatte um den heute von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vorgelegten zweiten Fortschrittsbericht zur Energiewende.

Nur beim Ausbau der erneuerbaren Energien scheint die Energiewende noch einigermaßen im Lot. 2017 lag der Anteil der Ökoenergien am Stromverbrauch bei 36 Prozent, für 2018 wird mit 37,8 Prozent gerechnet. Zugleich seien die Erneuerbaren deutlich günstiger geworden, heißt es im Bericht. Die Förderkosten für Ökostrom seien bei vielen neuen Anlagen erheblich gesunken.

Längerfristig stehen aber fast alle Ziele der Energiewende infrage: Ohne zusätzliche Maßnahmen werde es 2030 keinen 65-Prozent-Anteil der Erneuerbaren am Strommarkt geben, räumt das Papier ein. Ohne zusätzliche Maßnahmen werde der Erneuerbaren-Anteil am Energieverbrauch 2030 erst 22,6 Prozent betragen und 2040 nur 26,1 Prozent – von einer klimaneutralen Entwicklung ist das ganz offensichtlich sehr weit entfernt.

Die Expertenkommission des Ministeriums, die die Fortschrittsberichte analysiert, stellt denn auch in ihrer Analyse fest, dass sich gegenüber ihren früheren Kommentaren zur Energiewende "praktisch nichts geändert" hat – nichts beim Erreichen der Treibhausgas-Ziele, nichts bei der Verbesserung der Energieeffizienz und insbesondere nichts bei der Energieeinsparung, vor allem im Verkehr und in Gebäuden sowie bei der Primärenergie.

Aus dem "Fortschrittsbericht"

  • 36 Prozent betrug 2017 der Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch.
  • 2018 ist ein Aufwärtstrend auf 37,8 Prozent zu verzeichnen.
  • 13,4 Prozent machten 2017 die Erneuerbaren am Endenergieverbrauch für Wärme und Kälte aus, 2018 waren es 13,9 Prozent.
  • Im Verkehr lag der Anteil der Erneuerbaren am Endenergieverbrauch 2017 bei 5,2 und 2018 bei 5,6 Prozent.

Insgesamt stehe die Ampel beim Klimaschutz und auch bei der Energieeffizienz auf "Rot", schreiben die vier Experten der Bundesregierung ins Stammbuch. Da gebe es "erheblichen Handlungsbedarf".

Die Expertenkommission besteht aus Andreas Löschel von der Universität Münster, Georg Erdmann von der TU Berlin, Frithjof Staiß vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und Hans-Joachim Ziesing von der AG Energiebilanzen.

In seinem Urteil sieht sich das Gremium durch "ähnlich lautende Bewertungen der Bundesregierung bestätigt", hätte sich allerdings gewünscht, "dass die Bundesregierung daraus die entsprechenden Konsequenzen zieht und konkrete Maßnahmen vorschlägt, um auf den Zielpfad zu gelangen".

Um bei der Energiewende voranzukommen, schlagen die vier Experten vor allem eine Energiepreisreform vor. Diese sei "notwendig, aber schwierig". Die Reform zu finanzieren, könnte aber mit einem weitgehend einheitlichen CO2-Preis gelingen, heißt es.

"Die Verkehrswende ist ein Totalausfall"

"Die Energiewende wird vermurkst – das zeigt der Bericht einmal mehr", urteilt auch die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.

Der Primärenergie- und der Endenergieverbrauch im Verkehr würden steigen, statt zu sinken. "Die Verkehrswende ist ein Totalausfall, sprich nicht existent – und ausgerechnet die Bereiche, wo gut gestartet wurde, werden nun ausgebremst", kritisiert die DIW-Forscherin.

Weil der Ausbau der erneuerbaren Energien viel zu langsam verlaufe, drohe eine Ökostromlücke, wenn der Kohleausstieg vollzogen werden soll. "Es ist Zeit, nun endlich den Fuß vom Gas zu nehmen und durchzustarten", erklärt Kemfert.

Für den Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) kommt es darauf an, dass der Ausbau der Erneuerbaren nicht zum Erliegen kommt. Dazu gehöre eine grundlegende Reform der Steuer-, Abgaben- und Umlagensystematik sowie bei der Photovoltaik eine Flächenausweitung für Freiflächenanlagen und die Aufhebung des 52-Gigawatt-Deckels, betonte VKU-Geschäftsführerin Katherina Reiche.

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert gehört dem Kuratorium von Klimareporter° an.

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