In Deutschland kommen inzwischen mehr als 40 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Mit einem Anteil von 80 Prozent steht Österreich schon weit besser da. Aus geografischen Umständen kann das Nachbarland traditionell auf Wasserkraft setzen. Allein diese steuert derzeit gut 60 Prozent zur gesamten Stromerzeugung Österreichs bei.
Um seinen Stromhunger zu stillen, ist Österreich jedoch immer noch von Importen abhängig. Etwa 7,5 Prozent des Stromverbrauchs werden aus dem Ausland gedeckt, vor allem aus Deutschland und Tschechien.
2030 will sich Österreich zu 100 Prozent selbst mit Strom aus Wind, Wasser, Photovoltaik und Biomasse versorgen. So sieht es das letztes Jahr beschlossene Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) vor.
Dabei ist nicht nur das verbleibende Fünftel fossilen Stroms abzudecken, sondern auch eine steigende Stromnachfrage durch Elektrifizierung und Digitalisierung. Die erneuerbare Stromerzeugung soll deshalb von aktuell rund 65 Milliarden Kilowattstunden bis 2030 auf 92 Milliarden anwachsen, also um mehr als 40 Prozent.
Die zusätzlichen 27 Milliarden Kilowattstunden sollen sich wie folgt aufteilen: Photovoltaik elf Milliarden, Wind zehn, Wasser fünf und Biomasse eine Milliarde Kilowattstunden. Die österreichische Bundesregierung lässt sich die Energiewende-Maßnahmen bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr kosten.
Ende April hat das grün geführte Umwelt- und Infrastrukturministerium in Wien endlich auch die entsprechende Investitionszuschuss-Verordnung und damit eine umfangreiche Förderung für Photovoltaik, Windkraft und Co in Kraft gesetzt.
Der Dachverband Erneuerbare Energie Österreich spricht von einem "Aufatmen für erneuerbaren Stromausbau". Der grüne Vizekanzler Werner Kogler sieht Österreich in Sachen Klimaschutz gar "auf der Überholspur".
Das Land versucht damit, seinen Klimazielen im Stromsektor näherzukommen. Das ist dringend notwendig. Laut dem österreichischen Umweltbundesamt wurden die selbst gesetzten CO2-Ziele bislang stets verfehlt.
Zunächst können sich seit Ende April Photovoltaik-, Stromspeicher- und Wasserkraftprojekte um finanzielle Förderung bewerben. In einigen Monaten sind auch Biogas und Windkraft an der Reihe.
"Geld ist da, es fehlen Fachkräfte"
Zwar würden auch kleinere Anlagen gefördert, hauptsächlich gehe es aber um große Ökostromproduzenten, erläutert Josef Thoman aus der Abteilung Wirtschaftspolitik der Arbeiterkammer Wien. Wie in Deutschland werden Aufträge über die benötigte Stromleistung ausgeschrieben, die dann an die Bestbietenden vergeben werden, so der Energieexperte.
Wie so oft liegt der Teufel im Detail, weiß Thoman: "Ich halte die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein wesentliches Hindernis." Genehmigungsverfahren für größere Anlagen, seien es Windräder oder Stromleitungen, würden zu lange dauern.
"Wenn das so weitergeht, wir zukünftig nicht rascher zur Rechtssicherheit kommen und Genehmigungsverfahren rascher abwickeln – ob positiv oder negativ –, werden wir die Energiewende sicher nicht schaffen", zeigt sich Thoman besorgt.
Ein Beispiel für derlei Probleme sei die 380-Kilovolt-Leitung durch Salzburg, die erst nach jahrelangem Rechtsstreit gebaut werden konnte.
Hürden für die Energiewende in Österreich verortet Thoman aber noch andernorts: "Geld ist da, aber es fehlt an Fachkräften." Dies bestätigt auch eine Sprecherin der Interessenvertretung Photovoltaic Austria.
Zu dem Fachkräftemangel komme noch ein Mangel an Ausrüstungskomponenten, der Verzögerungen mit sich bringe, so die Sprecherin. Aufgrund einer reduzierten Produktion und verzögerter Transporte sei der Materialmangel das vorderste Problem der Branche.
Ein zusätzlicher massiver Auftragsstau werde erwartet, wenn erste Förderungen zugesagt sind. Es gebe zu wenige Unternehmen mit zu wenigen Mitarbeiter:innen, so die Branchensprecherin. "Wenn alle Anträge gefördert werden, dann wird niemand Kapazitäten haben."
Im Westen Österreichs steht kein Windrad
Vorsichtig optimistisch gestimmt ist Martin Jaksch-Fliegenschnee, Sprecher der IG Windkraft. Der Interessenverband vertritt die Branche in Österreich.
Im Vergleich zu Deutschland hält Jaksch-Fliegenschnee die österreichische Windbranche für "leidgeplagt". Jahrelang habe es eine "Stop-and-go-Förderpolitik" für Windenergie gegeben. Von 2014 bis 2020 sei der Ausbau immer mehr zurückgegangen. Als Höhepunkt der Entwicklung seien vor zwei Jahren sogar mehr Anlagen abgebaut worden als hinzukamen.
Der IG-Sprecher hält das angesichts der Klimakrise für eine schräge Situation. "Wir sind jetzt im dritten Jahr, in dem wir für Windkraft in Österreich überhaupt keine Fördermöglichkeit haben. Daher warten wir sehnsüchtig darauf, dass die Förderungen starten."
Es würden aber noch diverse Verordnungen fehlen, um Planungssicherheit zu haben, ebenso eine Abwicklungsstelle für Anträge von Großprojekten. Er hoffe auf den Startschuss "noch vor der Sommerpause". Kleinwindproduzent:innen mit Anlagen zwischen 20 Kilowatt und einem Megawatt können sich bereits ab Ende Mai um eine Förderung bewerben.
Zuletzt gebe es noch ein Problem, das Österreich immer wieder plagt: den Föderalismus. Energiepolitik ist prinzipiell Sache der Bundesländer, während die neue Förderung auf Bundesebene beschlossen wurde.
Die Bundesländer behandeln dabei die Genehmigung von Windkraft recht unterschiedlich. 97 Prozent aller 1.300 Windkraftanlagen stehen in nur drei Bundesländern. Während östliche Bundesländer den Windkraftausbau in der Vergangenheit vorantrieben, steht im Westen Österreichs kein einziges Windrad. In Tirol etwa fürchtet die Politik Nachteile für den Tourismus.
Umweltverbände gegen Förderung neuer Kraftwerke
Für den Geschäftsführer des Vereins Kleinwasserkraft Österreich, Paul Ablinger, ist das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz ein erster Schritt, genügt aber noch nicht. Um die Energiewende schnell zu bewerkstelligen, müssten "hohe Anreize und stabile Rahmenbedingungen" geboten werden, so Ablinger.
"Dem ganzen System ist die Angst inhärent, dass irgendjemand einen Euro zu viel bekommen könnte", meint er – eine Angst, die bei der Förderung konventioneller Stromproduktion scheinbar nicht existiere. Ablinger plädiert dafür, "alles einfacher und schneller" abzuwickeln.
Auch hier ist der Föderalismus Thema. Das Ermöglichen von Standorten, die Ausweisung von Flächen – alles liege in den Händen der Länder, so Ablinger, der selbst im oberösterreichischen Almtal ein Wasserkraftwerk betreibt. Schließlich werde der Landschaftsschutz "viel zu oft" über den Klimaschutz gestellt. "Aber schön gestorben ist halt am Ende auch tot", schließt Ablinger.
Anders sieht man das beim österreichischen Umweltdachverband. Zwar begrüßen die Naturschutzverbände die Förderoffensive für Erneuerbare, die Förderung von Kraftwerksneubauten lehnen sie aber prinzipiell ab. Investitionen wünschen sie sich vor allem in die Effizienzsteigerung.
"Der Ausbau Erneuerbarer wird den Energiehunger unseres Landes nicht stillen können", argumentieren die Verbände. Daher brauche es einen Rückgang des Stromverbrauchs im ganzen Land. Der im Dachverband nicht vertretene WWF Österreich schlägt in dieselbe Kerbe und legte zuletzt sogar ein "Energiespar-Programm 2022" vor.
Für Windkraft-Sprecher Jaksch-Fliegenschnee wird der Ausbau erneuerbarer Energien mit dem neuen Gesetz zum Wirtschaftsfaktor: "Erneuerbare werden in sehr naher Zukunft entscheidend dafür sein, wo die Industrie produzieren wird. Und dass die Industrie sehr mobil ist, sieht man immer wieder."
Doch dafür fehlen noch eine ganze Reihe weiterer Gesetze: das Erneuerbare-Wärme-Gesetz, ein Grüngasgesetz, das Energieeffizienzgesetz und ein Klimaschutzgesetz. Sie alle werden dafür entscheidend sein, ob Österreich es doch noch schafft, seine Klimaziele zu erreichen.