Schlot
Die fossilen Kraftwerke abzuschalten reicht klimapolitisch schon lange nicht mehr. (Foto: Udo Springfeld/​Flickr)

Man hätte gut daran getan, den diesjährigen Projektionsbericht schon am Dienstag der abendlichen Koalitionsrunde im Kanzleramt auf den Tisch zu packen – oder jedenfalls eine gute Zusammenfassung der mehr als 230 Seiten. Möglicherweise wäre dann der Klimaschutz von den Koalitionsspitzen nicht so stiefmütterlich behandelt worden.

Der neue Projektionsbericht 2019, das ist bei der Bewertung zu berücksichtigen, rechnet nur Klima-Maßnahmen ein, die Deutschland bis Ende August 2018 auf den Weg gebracht hat – und damit nicht den Anfang dieses Jahres vereinbarten Kohleausstieg bis 2035 oder 2038.

Klar ist: Beim Klimaziel für 2020 hilft der Kohleausstieg, wenn es nicht noch ein politisches Wunder gibt, nicht mehr viel. Laut dem Projektionsbericht wird die Bundesrepublik bis Ende 2020 ihre CO2-Emissionen gegenüber 1990 nur um 33 Prozent verringert haben. Das selbst gesteckte 40-Prozent-Ziel wird also mehr als deutlich verfehlt.

Bei dieser Klimabilanz werden zudem die Emissionen aus Änderungen der Landnutzung (Fachkürzel: LULUCF), aus dem Forst sowie dem deutschen Anteil am internationalen Luft- und Seeverkehr nicht einmal mitgerechnet. Sonst läge die CO2-Reduktion nur bei rund 27 Prozent.

Kohleausstieg senkt CO2-Ausstoß um rund ein Siebtel

Für die kommenden zehn Jahre bis 2030 rechnet die Projektion dann mit einem Rückgang der absoluten CO2-Emissionen von 835 Millionen auf 730 Millionen Tonnen, darunter anteilig im Stromsektor von 303 Millionen auf 272 Millionen Tonnen. Ohne den Kohleausstieg würden die Kraftwerke im nächsten Jahrzehnt also gerade mal rund 30 Millionen Tonnen Einsparung beisteuern.

Werden aber die Empfehlungen der Kohlekommission eins zu eins umgesetzt, kommen aus den Kraftwerken im Jahr 2030 nach Angaben des Öko-Instituts "nur" noch 169 bis 182 Millionen Tonnen CO2 – der Kohleausstieg bringt insofern bis 2030 eine zusätzliche Reduktion um etwa 100 Millionen Tonnen. Damit kann das "Sektorziel für die Energiewirtschaft im Jahr 2030 sicher erreicht werden", attestiert das Öko-Institut.

Ob der Kohleausstieg tatsächlich so vollzogen wird wie von der Kommission vorgezeichnet, ist dabei keineswegs sicher, aber selbst dann reicht das insgesamt gesehen vorn und hinten nicht. Denn auch in dem Kohle-weg-Fall würde die Bundesrepublik 2030 laut der Projektion immer noch mehr als 600 Millionen Tonnen CO2 jährlich in die Atmosphäre entlassen.

Im Vergleich zu 1990 wäre da nicht einmal die Hälfte des Weges zu einem klimaneutralen Land im Jahr 2050 geschafft. Und um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimavertrages einzuhalten, müsste Deutschland, wie es zum Beispiel die Klimabewegung fordert, eigentlich schon ab 2035 klimaneutral ein.

Angesichts dessen steht die Politik vor der Wahl: Entweder den Kohleausstieg beschleunigen oder endlich in den anderen Sektoren Verkehr, Gebäude und Industrie ernsthaft die Emissionen senken. "Der aktuelle Projektionsbericht zeigt, dass wir dringend das erste Maßnahmenprogramm für 2030 zusammenstellen müssen", erklärte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums dazu gegenüber Klimareporter°.

Verkehr wird zum größten Klimahindernis

Zum größten Hindernis für den Klimaschutz entwickelt sich in Deutschland, das legt auch der Projektionsbericht ganz klar offen, der Verkehr. 2030 wird der Bereich nach den Prognosen mit 160 Millionen Tonnen CO2 nur leicht weniger ausstoßen als 1990. Praktisch eine Null-Einsparung in 40 Jahren!

Die Ursache dafür sieht der Bericht vor allem in einer Zunahme der Verkehrsleistung, die durch steigende Effizienz bei den Fahrzeugen und da vor allem bei Pkw "nur knapp überkompensiert wird".

Zahlen gefällig? Zwischen 2020 und 2030 erhöhen sich durch die steigenden Fahrleistungen im Pkw-Verkehr die Emissionen um 5,6 Millionen Tonnen CO2, davon werden durch die höhere Effizienz der Fahrzeugflotte aber nur rund 2,6 Millionen Tonnen wieder eingespart.

Bei leichten Nutzfahrzeugen rechnet der Bericht zwar mit einem höheren Anteil Batterie-elektrischer Fahrzeuge – das spare 600.000 Tonnen CO2 –, durch die steigenden Fahrleistungen kommen aber 2,4 Millionen Tonnen mehr in die Luft. Klimabilanz negativ.

Noch schlimmer kann es laut dem Bericht bei schweren Lkw kommen. Die Effizienz der Fahrzeuge soll sich hier in den kommenden zehn Jahren um gerade mal 0,2 Prozent jährlich verbessern, schreiben die Autoren – im Projektionsbericht 2017 sei man hier noch von einem Effizienzplus von jährlich 0,7 Prozent und damit von einer zu optimistischen Annahme ausgegangen.

Die Korrektur der Nachkommastelle beschert gleich mal eine zusätzliche Treibhausfracht von jährlich 4,5 Millionen Tonnen, dazu kommen auch bei den schweren Lkw nochmal knapp zwei Millionen Tonnen durch steigende Fahrleistungen.

Für das kommende Jahrzehnt erscheint die Verkehrswende damit klimapolitisch fast wichtiger als die im Energiebereich. Man sollte hoffen, dass die Projektion wenigstens im Haus des zuständigen Ministers Scheuer mal zur Kenntnis genommen wird.

Der Beitrag wurde um 14 Uhr aktualisiert.

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