Einige Menschen auf einem Waldweg, im Hintergrund ein Waldbrand mit starker Rauchentwicklung.
Zunehmende Waldbrände beeinträchtigen auch in Deutschland die Wirkung der Wälder als CO₂-Senke. Steigende Trockenheit erhöht dabei die Brandgefahr. (Foto: Fred Grunwald)

Hierzulande gibt es Autoren, die wiederholte Fehlleistungen beim CO2-Einsparen  nicht so schlimm finden, wenn es um den Verkehr und die Gebäude geht. Diese Sektoren hätten doch ihre Emissionsvorgaben für 2022 zu 93,5 und 95,7 Prozent erfüllt, wurde jüngst in einem führenden Magazin gelobt. Und die geringen Fehlbeträge hätten dann andere Bereiche "überkompensiert". Wo sei das Problem?

Für Medienleute, die klimapolitisches Versagen mit Prozentrechnung relativieren wollen, kommt jetzt der ultimative Tipp. In Deutschland gibt es nämlich einen Sektor, der von seinem Klimaziel für 2030 derzeit mehr als 99 Prozent entfernt ist.

Das stellt keine aktivistische Gruppe fest, sondern das Umweltbundesamt (UBA) in seiner kürzlich vorgelegten Treibhausgas-Bilanz 2022. (Wobei zu bemerken ist: Manch ein Klimakrisen-Relativierer hält selbst das UBA für eine Außenstelle der "Klimakleber".)

Der lichtjahrweit von seinen Zielen entfernte Sektor nennt sich "Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft", englisch kurz LULUCF. Hier werden CO2-Senken wie Wälder und Holzprodukte mit Emissionen aus Äckern, Grünland, Feuchtgebieten und Siedlungen verrechnet.

2022 ergab sich dabei eine Nettosenke von minus 1,82 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Der Sektor hat – im Unterschied zu Verkehr und Gebäuden – keine Jahresziele. Das Klimaschutzgesetz gibt bei LULUCF nur Zielmarken als Nettosenke vor. Für 2030 soll so aus der Landnutzung eine Emissionsminderung um 25 Millionen Tonnen resultieren.

Weil die Emissionen unter anderem wegen Waldbränden oder Witterungsunbilden stark schwanken können und aus der Senke in manchen Jahren auch eine Quelle wird, nimmt die CO2-Statistik in diesem Sektor den Schnitt der letzten vier Jahre, um die Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben festzustellen.

Kaum Änderungen bei den Treibhausgas-Quellen

Entsprechend bilanziert das UBA für 2022: Vergleicht man den Mittelwert der Nettoemissionen der Jahre 2019 bis 2022 mit dem Emissionsziel für 2030, hat der Landnutzungssektor mehr als 99 Prozent seines Weges noch vor sich. Wörtlich schreibt die Behörde: "Im Falle des Vierjahresmittels sind die Emissionen um 99,6 Prozent zu hoch."

Weil es bei den Emissionen aus Landnutzung keine Jahresziele gibt, ist der anfängliche Vergleich mit Gebäuden und Verkehr natürlich nicht ganz stimmig. Von ihren jeweiligen 2030er Vorgaben sind Verkehr und Gebäude schließlich noch rund 56 Prozent entfernt – und damit keineswegs nahe dran, ihre Klimaziele zu erfüllen.

Bei der Landnutzung sind die wichtigsten Emissionsquellen seit Jahren dieselben, betont das UBA: anhaltend hohe und kaum veränderliche Emissionen aus organischen Böden wie trockengelegten Mooren, aus der Verwendung torfhaltiger Blumenerden und Gartenbausubstrate sowie aus künstlichen Gewässern, in denen Biomasse verrottet.

Sobald diese Emissionen durch die Haupt-CO2-Senke Wald nicht mehr ausgeglichen werden können, kippt die Landnutzungs-Bilanz in Richtung CO2-Quelle. 2022 "entfernten" die deutschen Wälder nach den Angaben rund 43 Millionen Tonnen CO2 aus der Luft, in den besten Jahren seit 2010 waren es bis zu 60 Millionen Tonnen.

Die aktuellen Emissionsdaten zeigten einmal mehr den Handlungsbedarf im LULUCF-Sektor, räumt ein Sprecher des Bundesumweltministeriums auf Nachfrage ein. "Gerade angesichts der immer spürbarer werdenden Auswirkungen der Klimakrise müssen wir dringend die Resilienz der Ökosysteme steigern, um ihre Klimaschutzleistung langfristig zu erhalten und möglichst auszubauen", betont er gegenüber Klimareporter°.

Programm "Natürlicher Klimaschutz" soll helfen

Was den dringend nötigen Ausbau angeht, verweist der Sprecher auf das von der Bundesregierung verfolgte "Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz" und auf die Nationale Moorschutzstrategie. Das Aktionsprogramm will Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) diesen Mittwoch nach der Kabinettssitzung in Berlin vorstellen.

Mit dem Programm solle die Widerstandskraft der Ökosysteme gesteigert und ihre Klimaschutzleistung wieder auf das Niveau der Jahre 2017 bis 2020 gebracht werden, gibt das Umweltministerium an.

Anders gesagt: Die Senkenleistung der Wälder soll wieder deutlich größer werden.

Mit der Moorschutzstrategie sollen die Emissionen aus Moorböden bis 2030 bekanntlich um jährlich fünf Millionen Tonnen gesenkt werden. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, reicht aber bei Weitem nicht aus, um die bestehende Lücke im Landnutzungssektor zu schließen.

Finanziert wird die Moorschutzstrategie ebenfalls im Rahmen des Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz. Dazu erarbeite das Ministerium derzeit die einzelnen Fördermaßnahmen, wird mitgeteilt.

Des Weiteren bedürfe es größerer Anstrengungen, um den Ausstieg aus der Torfnutzung zu beschleunigen, so der Sprecher weiter. Wie die Verwendung torfhaltiger Blumenerden und Substrate reduziert werden soll, sei Gegenstand der Torfminderungsstrategie des Agrarministeriums.

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