Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Michael Müller, als SPD-Politiker bis 2009 Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium, heute Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands.
Klimareporter°: Herr Müller, Hand aufs Herz – wird es der SPD wie versprochen noch gelingen, in diesem Jahr das von der Bundesumweltministerin vorgelegte Klimaschutzgesetz durchzubringen?
Michael Müller: Ich würde die Klimaschutzfrage zur Koalitionsfrage machen. Allerdings wäre dann ein Klimaschutzgesetz notwendig, das den Anforderungen auch gerecht wird.
In der SPD ist jedenfalls eine neue Ernsthaftigkeit beim Klimaschutz zu sehen. Die Parteivorsitzende Andrea Nahles hat unter ihrer Leitung eine Kommission zu Klimaschutz und Strukturwandel eingesetzt, die bis Ende Juni ein SPD-Konzept entwickeln soll.
Natürlich ist schon viel Zeit vergangen. Die Klimarahmenkonvention von 1992 ist fast drei Jahrzehnte her. Die CO2-Emissionen sind in dieser Zeit nicht gesunken, sondern haben sich nahezu verdoppelt. Insofern ist die Herausforderung noch viel größer geworden.
Darüber bin ich persönlich sehr verärgert, denn ich war bereits 1990 als Bundestagsabgeordneter für ein sehr detailliertes CO2-Minderungsprogramm verantwortlich, das auch die Blockaden und Hemmnisse beschrieb. Es sah für unser Land alle 15 Jahre eine Reduktion der Treibhausgase um ein Drittel vor. Es wurde sogar im Deutschen Bundestag beschlossen mit dem Ziel, die globale Erwärmungsobergrenze bei 1,5 Grad Celsius festzulegen. Danach wären die Emissionen heute um fast zwei Drittel niedriger. Deutschland wäre tatsächlich Klimaschutzvorreiter.
Ich habe meine Zweifel, ob sich ein anspruchsvolles Klimaschutzgesetz gegen die Altmaiers, Scheuers und Co durchsetzen lässt. Da muss der Druck der Gesellschaft noch wesentlich erhöht werden – und es erfordert ein politisches Programm, also mehr als einzelne Forderungen. Insofern: Ich glaube schon, dass die SPD das versuchen wird, aber ob es reichen wird, da gibt es viele Fragezeichen.
Die SPD hat sich zuletzt verstärkt für eine CO2-Steuer ausgesprochen, bei der ein Großteil der Einnahmen an die Bürger zurückgehen soll. Ist dieser Einsatz nur einer erstarkenden Klimaschutzbewegung geschuldet oder sehen Sie einen generellen Schwenk bei der Sozialdemokratie?
Die Bundesumweltministerin vertritt diese Position, die allerdings verkürzt und unzureichend verfolgt wird. Ich halte es prinzipiell für notwendig, die Externalisierungswirtschaft zu beenden. Diese ist es, die "neben uns die Sintflut" verursacht.
Von daher bin ich grundsätzlich für eine Internalisierung der Folgekosten, denn die Party auf Kosten der Armen, der Natur und der Zukunft muss beendet werden. Für mich ist das eine prinzipielle Frage, die nicht nur den Klimaschutz sieht.
Ich bleibe auch bei der Position, dass die Bepreisung ein notwendiges Steuerungsinstrument ist, das aber unter den realen Bedingungen viel zu spät kommt. Deshalb geht es eigentlich um eine Erhöhung, die weit über alle bisher genannten Erhöhungen hinausgehen müsste.
Dadurch besteht aber die Gefahr, dass ein CO2-Preis, soll er wirksam sein, nicht zur sozial-ökologischen Transformation führt, die das oberste Ziel sein muss. Bleibt er zu weit unten, hat er kaum Wirkung. Steigt er auf die notwendige Höhe, hat das weitreichende Verteilungswirkungen.
Ich höre natürlich die Versprechungen, dass die Steuer sozial gerecht sein soll. Aber wie bitte soll das gehen, wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen? Ich wollte bei der Ökosteuer 1990, dass ein Teil – rund 25 Prozent der Einnahmen – in die Förderung des ÖPNV geht, konnte mich aber gegen das Finanzministerium und die Grünen nicht durchsetzen.
Heute könnte ein Teil des Aufkommens in ein Infrastrukturprogramm fließen. Dann wären die indirekten Wirkungen positiv für den Klimaschutz. Alternativ plädiere ich für eine Modernisierung und Anwendung des Ordnungsrechts im Interesse des Allgemeinwohls. Es gibt damit gute Erfahrungen beim Bodenrecht oder der Wasserbewirtschaftung. Und ich sehe den Klimaschutz als ein öffentliches Gut an.
Die Bundeskanzlerin hat sich erst nach einigem Zögern der Initiative mehrerer EU-Länder angeschlossen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Um das für Deutschland zu erreichen, wolle man "alternative Mechanismen finden, wie man das CO2 speichern oder kompensieren kann", sagte Merkel dazu. Weil in den Industrieländern die Möglichkeit des Aufforstens begrenzt sei, müsse das Klimakabinett über CO2-Speicher sprechen. Ist CCS ein notwendiges Übel?
Das ist der alte Mist, nach Auswegen zu suchen, wo klares Handeln notwendig wäre, um das fossile Zeitalter zu beenden. Was heißt "klimaneutral"? In Frankreich wohl Atomenergie, in anderen Ländern Geoengineering. Und in Deutschland CCS? Das ist keine Lösung.
Angela Merkel, die das Problem als frühere Bundesumweltministerin kennt, hat in ihrer gesamten Amtszeit als Bundeskanzlerin keinen ehrgeizigen Klimaschutz verfolgt. Im Gegenteil: Sie ist abgetaucht, wenn es darum ging, Farbe zu bekennen. Warum soll sich das nach 14 Jahren Amtszeit ändern?
An kommenden Sonntag können die Bundesbürger über die Zusammensetzung des Europaparlaments abstimmen. Nicht wenige befürchten, dass im neuen Parlament rechte und klimaskeptische Parteien zwar wohl noch nicht die Mehrheit, aber doch eine starke Position erringen werden. Teilen Sie diese Sorgen?
Die Sorge ist berechtigt. Auch in der deutschen AfD sind die Klimaleugner stark vertreten. Die rückwärtsgewandte Verantwortungslosigkeit passt zusammen. Aber es reicht nicht, das zu kritisieren und anzuklagen. Die sozial-ökologische Transformation braucht das Programm und die Kultur eines neuen emanzipatorischen Humanismus. Den müssen wir den Nationalisten entgegenstellen.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Die Dreistigkeit, mit der sich die Bundeskanzlerin trotz des Niedergangs des Klimaschutzes in ihrer Amtszeit beim Petersberger Klimadialog als Klimakanzlerin aufgespielt hat. Ein wenig Selbstkritik wäre nicht nur angebracht, sondern auch glaubwürdiger gewesen. Es passt nicht zusammen, die Schüler und Schülerinen von Fridays for Future zu loben, aber selbst zu versagen.
Fragen: Jörg Staude