Luftaufnahme der rechteckigen Bohrplattform, eng bestückt mit Anlagen zur Ölförderung im Wattenmeer.
Die 70 Meter hohe Erdölplattform Mittelplate A steht am Rand des Nationalparks im Wattenmeer. (Foto: Walter Rademacher/​Wikimedia Commons, CC BY‑SA 3.0 de)

Das Ölprojekt: Wie ein Landeplatz von Außerirdischen erhebt sich, bei klarem Wetter vom Strand aus sichtbar, die Bohrinsel Mittelplate aus dem Nationalpark Wattenmeer. Seit 1987 darf das Unternehmen Dea mitten im Weltnaturerbe, sieben Kilometer von der Küste entfernt, Öl fördern.

Derzeit werden jährlich etwa eine Million Tonnen hochgepumpt, was einem Prozent des inländischen Verbrauchs entspricht. Das ist bis 2041 in dem Umfang genehmigt.

2019 hat die nun zum Wintershall-Konzern gehörende Dea beantragt, die Förderung bis 2069 zu verlängern und noch auszuweiten. Mit einer neun Kilometer langen Horizontalbohrung soll der südliche Teil des "bergrechtlichen Bewilligungsfeldes" angebohrt werden.

Diesen Querweg muss der Konzern nehmen, weil er keine neue Plattform bauen darf. Die neue Bohrung soll bis zu 120.000 Tonnen Öl mehr liefern.

Das Unesco-Naturerbe: "Eine Ölförderung hat in einem Nationalpark nichts zu suchen." Hans-Ulrich Rösner von der Naturschutzstiftung WWF ist da ganz eindeutig. "Die Plattform zerstört in dessen südlichem Teil den Eindruck von einem Nationalpark."

Im Wattenmeer sollten die Menschen wilde Natur erleben können, es sei absolut nicht dazu da, um Industrieanlagen hineinzubauen, erklärte der Leiter des WWF-Wattenmeerbüros kürzlich bei einer Protestaktion vor Ort.

Auch für das Bundesumweltministerium ist fraglich, "ob eine mögliche Ausweitung der Ölförderung mit dem Status des weltweit einmaligen Ökosystems Wattenmeer als Nationalpark und Unesco-Welterbe vereinbar ist", wie eine Sprecherin auf Nachfrage von Klimareporter° erklärt.

Deutschland habe eine besondere Verantwortung für das weltweit einzigartige Wattgebiet, so das Ministerium. Es handle sich um eines der letzten großräumigen Ökosysteme in Europa, wo natürliche biologische und ökologische Prozesse auch heute noch nahezu ungestört ablaufen.

Die Brandgänse: Die Sprecherin des Umweltministeriums weist auch darauf hin, dass das Wattenmeer wegen seiner Artenvielfalt und ökologischen Bedeutung für Millionen Zugvögel und die an die Extrembedingungen angepassten Pflanzen und Tierarten unter Schutz gestellt wurde und ein "Hotspot" der Biodiversität ist. "Eine Gefährdung des Welterbestatus darf nicht zugelassen werden", betont die Sprecherin.

Ausstieg aus der Ölförderung im Wattenmeer bis 2030 möglich

Für den WWF-Experten Rösner stellt die Bohrplattform seit ihrer Inbetriebnahme eine Gefahr dar. Und zwar für hunderttausende Wat- und Wasservögel, die teils aus der Arktis ins Wattenmeer kommen, dort rasten und nach Nahrung suchen.

Rösner: "Der gesamte westeuropäische Bestand der Brandgans – mehr als 200.000 Tiere – kommt im Sommer ins Gebiet der Mittelplate und mausert dort. Die Tiere kommen extra ins Wattenmeer, um in dieser für einen Vogel sehr anstrengenden Zeit ungestört zu sein." Ständig produziere die Bohrinsel jedoch Lärm, gerade durch den dauernden Schiffsverkehr.

Die Klimaneutralität: "Die Bundesregierung hat ja erklärt, sie möchte 2045 klimaneutral sein. Das heißt: Wir dürfen kein Öl, kein Gas und keine Kohle mehr verbrennen", sagt Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). "Das ist überhaupt nicht vereinbar damit, dass man hier auf Jahrzehnte weiterbohrt."

Für Müller-Kraenner ist klar: "Gerade im Nationalpark sollte man früher aus der Ölförderung raus – bis 2030 ist das zu schaffen." Die DUH hatte jüngst zusammen mit dem WWF und anderen den Protest gegen die Ölförderung und deren geplante Ausweitung organisiert.

Ein Dutzend Menschen, einige als Robben kostümiert, steht barfuß am Rand des Wattenmeers und hält ein gelbes Transparent hoch: Keine neuen Bohrungen im Wattenmeer. Stopp der Ölförderung bis 2030!
Schutzstation Wattenmeer, DUH und WWF fordern, dass die Ölförderung nicht ausgeweitet wird und 2030 ausläuft. (Foto: Jörg Staude)

Vor dem Hintergrund des gesetzlich festgeschriebenen Ziels – Klimaneutralität in 23 Jahren – ist für das Umweltministerium die Genehmigung weiterer Öl- oder Gasförderungen in Nord- und Ostsee "allenfalls mit einer strikten zeitlichen Befristung dieser Fördererlaubnisse akzeptabel", wie die Sprecherin betont.

Dabei sei auch die kumulative Wirkung von Belastungen durch die vielfältigen Nutzungen ausreichend zu berücksichtigen. Es dürfe nicht zu einer Verschlechterung der Qualität von Nord- und Ostsee kommen.

Mit Blick auf die Klimakrise ist dem Ministerium wichtig, alle maritimen Nutzungen "naturverträglich zu gestalten und somit die Widerstandsfähigkeit des Meeres zu stärken". Dazu gehöre auch, die natürliche CO2-Speicherfähigkeit von marinen Lebensräumen wie Seegras- und Salzwiesen zu erhalten oder wiederherzustellen.

"Aus Gründen des Klima- und des Meeresschutzes müssen wir dafür sorgen, so schnell wie möglich die Förderung von Öl wie auch Gas zu beenden", fordert die Sprecherin summarisch.

Das Russland-Argument: Für wenig überzeugend hält das Bundesumweltministerium offenbar auch, mit dem Argument der Versorgungssicherheit und dem nunmehr angestrebten Stopp der Ölimporte aus Russland die Ausweitung der Mittelplate-Förderung zu begründen. Trotz der Notwendigkeit, von russischen Energieimporten unabhängig zu werden, sei es wichtig, alle denkbaren Alternativen sorgfältig zu prüfen und abzuwägen. Hier sei "dringend Augenmaß erforderlich", so die Sprecherin.

Ministerium: "Kein kurzfristiger Beitrag" zu sicherer Versorgung

Sie weist zudem darauf hin, dass auch bei einer zusätzlichen Fördergenehmigung das Angebot nicht kurzfristig erhöht werden könne, beim Öl "frühestens im Jahr 2025". Damit leiste die Maßnahme "keinen kurzfristigen Beitrag" zur Versorgungssicherheit.

Mittelfristig wiederum könnten nach Ansicht des Ministeriums andere Maßnahmen wie Energieeinsparung und bessere Energieeffizienz die Ausweitung der Fördermengen überflüssig machen.

Auch DUH-Energieexperte Constantin Zerger hält die Russland-Begründung für nicht tragfähig. Da Mittelplate nur ein Prozent des aktuellen deutschen Ölbedarfs decke, mache die geplante Ausweitung um 120.000 Tonnen ganze 0,1 Prozent des Bedarfs aus.

"Durch Energieeinsparung kann diese Menge viel leichter ersetzt werden", ist sich Zerger sicher. Die genannten Risiken einzugehen, sei mit der Forderung nach Unabhängigkeit vom russischen Öl nicht zu begründen.

Die Genehmigungslage: Zuständige Genehmigungsbehörde ist das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG). Als Bergbehörde ist dieses Landesamt auch für die Küstengewässer der Nordsee zuständig, die in der Verantwortung der Länder liegen, so auch für die Küstengewässer Schleswig-Holsteins, in denen Mittelplate steht.

Das Verfahren zur Bewilligung der von Wintershall Dea beantragten Verlängerung und weiterer Ölbohrungen läuft derzeit noch.

Vor der kürzlichen Landtagswahl in Schleswig-Holstein hatte sich die Landesregierung aus CDU, Grünen und FDP geschlossen für neue Ölbohrungen im Weltnaturerbe-Gebiet ausgesprochen. Das ergab eine Nachfrage der DUH.

Bergrecht in Deutschland erlaubt Rohstoffförderung im Nationalpark

Die Jamaika-Koalition hatte im vergangenen März auch einen entsprechenden Antrag in den Landtag eingebracht: "Energieversorgung sichern – Erdölförderung befristet gestatten". Darin wird die Landesregierung aufgefordert, die vorübergehende Erweiterung der Erdölförderung durch die Plattform Mittelplate zu unterstützen.

Sollte die zusätzliche Bohrung genehmigt werden, verlangt der Antrag als eine Art "Gegenleistung", die Ölförderung in Schleswig-Holstein "früher als 2041" zu beenden.

Das Bundesbergrecht: Wattenmeerexperte Rösner sieht beim Streit um die Ölförderung nicht nur die Landes-, sondern auch die Bundespolitik in der Verantwortung. Dass Ölförderung in einem Nationalpark überhaupt noch zulässig ist, liegt für den WWF-Mann vor allem am geltenden Bundesbergrecht in Deutschland.

 "Nur weil jemand Rohstoffe fördern will, kann er sich erbarmungslos über die Interessen der Menschen hinwegsetzen", beschwert sich Rösner. Dass es rechtens sein soll, Rohstoffe in einem Nationalpark zu fördern, sei unfassbar. "Das muss einfach ausgeschlossen sein", gibt er zu Protokoll. Diese Reform müsse auf Bundesebene angepackt werden.

In ihren Koalitionsvertrag hat die Ampel-Regierung dazu nur den Satz hineingeschrieben: "Wir wollen das Bundesbergrecht modernisieren" – flankiert von einem davorstehenden Satz, dass man die Wirtschaft bei der Rohstoffversorgung unterstützen und den heimischen Rohstoffabbau "erleichtern und ökologisch ausrichten" wolle.

Wie beides zusammengehen soll – den Abbau erleichtern und zugleich ökologisch ausrichten –, erscheint allerdings als Quadratur des Kreises.

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