Ein Fischer hält einen sehr kleinen Fisch vor die Kamera.
Fischer ohne Fisch: Lecks in einer Shell-Pipeline haben einen Fluss im Nigerdelta verseucht. (Foto: Marten van Dijl/​Milieudefensie/​Flickr)

Die Umweltrechtsorganisation Client Earth hat Klage gegen den Vorstand von Shell bei einem britischen Gericht, dem High Court of Justice, eingereicht. Die elf Direktor:innen von Shell hätten es versäumt, die "wesentlichen und vorhersehbaren" Klimawandel-Risiken für das Unternehmen zu managen, und außerdem gegen das Gesellschaftsrecht verstoßen, argumentieren die Kläger:innen.

Client Earth klagt in seiner Eigenschaft als Aktionärin von Shell und erhält Unterstützung von einer Gruppe europäischer institutioneller Investoren. Die Klage liege im Interesse des Konzerns, so die Organisation: Shell müsse sich auf eine CO2-arme Welt vorbereiten, da sich die Wirtschaft zwangsläufig von fossilen Brennstoffen wegbewegen werde.

"Langfristig ist es im besten Interesse des Unternehmens, seiner Mitarbeiter und seiner Aktionäre – und auch des Planeten –, wenn Shell seine Emissionen stärker und schneller reduziert, als es der Vorstand derzeit plant", sagte der leitende Jurist von Client Earth Paul Benson.

Der Konzern wies die Vorwürfe zurück. Seine Klimaziele seien ehrgeizig und der Vorstand sei seinen gesetzlichen Pflichten nachgekommen. Die "Energiewendestrategie" von Shell sowie der Plan, die konzernweiten Emissionen bis 2050 auf netto null zu bringen, befänden sich im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens.

Klimaschützer:innen halten das für Augenwischerei. Laut einer Analyse der Organisationen Oil Change International (OCI) und Milieudefensie erschließt der Konzern noch immer neue Öl- und Gasvorkommen. Wissenschaftler:innen haben darauf hingewiesen, dass für die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits keine weiteren fossilen Reserven angezapft werden dürfen und bereits gestartete Projekte früher enden müssen.

Die Klage erreicht den Konzern nur wenige Tage, nachdem er einen Rekordgewinn von fast 40 Milliarden US-Dollar für 2022 gemeldet hatte. Nie zuvor in der Konzerngeschichte hat Shell einen so hohen Überschuss eingefahren. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich der Gewinn des Konzerns mehr als verdoppelt. Ursache für das Ergebnis sind die massiv gestiegenen Energiepreise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine.

Gleichzeitig ist Shell jedoch mit weiteren Vorwürfen konfrontiert. Die Menschenrechtsorganisation Global Witness wirft dem Ölkonzern vor, irreführende Angaben zu seinen Investitionen in erneuerbare Energien gemacht zu haben, und hat Beschwerde bei der US-Börsenaufsicht eingelegt.

Laut Jahresbericht 2021 sind zwölf Prozent der Konzernausgaben in Erneuerbare-Energie-Lösungen geflossen. Das wären über zwei Milliarden US-Dollar. Nach Angaben von Global Witness hat Shell aber nur 1,5 Prozent seiner Mittel in Erneuerbare gesteckt, der Rest der Gelder sei in die Vermarktung und den Handel von Erdgas geflossen.

14.000 Nigerianer:innen verklagen Shell in Großbritannien

Auch in einem weiteren Fall muss sich Shell vor der britischen Justiz verantworten. Fast 14.000 Nigerianer:innen klagen vor dem High Court Klage gegen den Ölkonzern. Sie fordern Schadenersatz für den Verlust ihrer Lebensgrundlagen und die Verschmutzung von Wasserquellen durch die Ölförderung. Der Konzern hat die fossilen Ölreserven im Nigerdelta 86 Jahre lang ausgebeutet.

Etwa 11.000 Bewohner der Kommune Ogale bei Port Harcourt sowie 17 lokale Körperschaften wie Kirchen und Schulen haben beim High Court in London Einzelklagen gegen Shell eingereicht und sich einem schon länger andauernden Rechtsstreit der Gemeinde Bille gegen den Ölkonzern angeschlossen.

Die Klage der über 2.000 Bewohner:innen aus Bille war im Februar 2021 vom Supreme Court zugelassen worden. Zugleich hob der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs damit ein älteres Urteil von 2017 auf, bei dem die Klage mit der Begründung abgewiesen worden war, dass ein Gericht in Nigeria zuständig sei. In Nigeria würden sie aber nicht zu ihrem Recht kommen, argumentierten die Kläger:innen damals.

In den beiden Nigerdelta-Gemeinden sei das Wasser verschmutzt und der Zugang zu Trinkwasser erschwert. Wegen der anhaltenden Verschmutzung durch Ölförderung und Leckagen gebe es keine Möglichkeit mehr, Landwirtschaft zu betreiben und zu fischen.

In den eingereichten Klagen argumentieren die Anwohner:innen jetzt, dass Shell und seine nigerianische Tochtergesellschaft SPDC von systemischen Verschmutzungen aus ihren Anlagen und Pipelines wussten, aber zu wenig unternahmen, um das Austreten von Öl zu verhindern oder Schäden zu beseitigen. Die Kläger:innen wollen das Gericht nun davon überzeugen, dass der Energieriese Entschädigungen zahlen und die Umweltschäden beseitigen muss.

Shell hat die Vorwürfe zurückgewiesen und macht Saboteure und Öldiebe für die Lecks verantwortlich. 2021 gab der Ölkonzern seine Pläne bekannt, das Nigerdelta zu verlassen und die Ölfelder zu verkaufen. Ob er etwas gegen die großräumige und umfassende Verschmutzung der Anliegergemeinden tun will, ließ der Konzern offen.

"Dieser Fall wirft wichtige Fragen zur Verantwortung von Öl- und Gasunternehmen auf", sagte Daniel Leader von der Anwaltskanzlei der Kläger:innen. "Scheinbar will Shell das Nigerdelta ohne jede rechtliche Verpflichtung zur Beseitigung der Umweltschäden verlassen, die durch die jahrzehntelange Ölverschmutzung aus seiner Infrastruktur verursacht wurden."

In einer Zeit, in der die Welt eine sozial gerechte Energiewende anstrebe, so Leader weiter, stellten sich hier tiefgreifende Fragen zum Umgang eines fossilen Unternehmens mit seinen ökologischen Altlasten.

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