Handgeschriebenes Pappschild an einem Mast vor der SPÖ-Parteizentrale in Wien: 8,3 Kilometer bis zum Lobau-Camp.
Wichtiger Teilerfolg für den Protest gegen die Umwelt-, Stadt- und Klimazerstörung durch Straßenprojekte in Österreich. (Foto: System Change not Climate Change/​Flickr)

Einen Autobahntunnel unter dem Nationalpark Donau-Auen am Rande Wiens durchzubohren, das klingt fast zu absurd, um wahr zu sein. Und wahr wird das Projekt jetzt wohl auch nicht werden, obwohl die in Wien traditionell starke Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) seit zwei Jahrzehnten an dem Projekt feilte.

Stets war der acht Kilometer lange Lobautunnel, eine Vervollständigung der Wiener Außenring-Autobahn, Zankapfel einer jeden Stadtregierung aus Rot und Grün im letzten Jahrzehnt. Wirklich drängend aber wurde die Angelegenheit bisher nicht, weil das Projekt die letzten 20 Jahre in diversen Genehmigungsverfahren feststeckte.

Jetzt, wo die Realisierung näherrückte, stoppt es Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) nach einer Evaluierung. Ihre am Mittwoch verkündete Entscheidung vertieft die Gräben zwischen den Koalitionspartnern der österreichischen Bundesregierung, der konservativen ÖVP und den Grünen.

Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) sagte am Mittwochabend – einen Tag vor seiner Rücktrittsankündigung im Zuge einer Personalrochade im ÖVP-Regierungsteam – dem Sender ORF, noch sei nicht das letzte Wort in der Sache gesprochen. 

Landesweite Evaluierung

Im vergangenen Sommer kündigte Umweltministerin Gewessler an, alle Neubauprojekte der staatlichen Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (Asfinag) vorübergehend zu stoppen und sie auf ihre Klimaverträglichkeit evaluieren zu lassen.

Allein die Ankündigung des Plans weckte den Unmut vieler, auch hoher Politiker:innen. "Tausende Arbeitsplätze und Milliardeninvestitionen" seien in Gefahr, hieß es. 

15 große Straßenbauprojekte wurden neben den üblichen Kriterien – Verkehrssicherheit, Verkehrsplanung, wirtschaftliche und regionale Bedürfnisse – "erstmals auch auf ihre Auswirkungen auf den Schutz von Klima und Umwelt sowie die Eindämmung des Bodenverbrauchs" untersucht. Von der Autobahn A5 an der tschechischen Grenze über den Tschirganttunnel in Tirol und die Bodensee-Schnellstraße an der Grenze zur Schweiz bis zur A3 nach Ungarn – österreichweit wurden die Straßenprojekte neu bewertet.

Das Evaluierungsergebnis fällt differenziert aus. Zwar heißt es bei der einen oder anderen Schnellstraße: "Das Projekt wäre fortzusetzen." Immer wieder aber wird die Entwicklung einer Alternative vorgeschrieben.

Damit nicht genug, steht in dem 154 Seiten starken Dokument aus dem Umweltministerium an mehr als einer Stelle: "Das Projekt ist aufgrund der Auswirkungen auf Boden und Klima nicht weiterzuverfolgen." Voranzutreiben sei stattdessen der Ausbau des öffentlichen Verkehrs.

"Von allen Projekten, die evaluiert wurden, würde die S1 Lobau-Autobahn den allermeisten Boden dauerhaft versiegeln und ein einzigartiges Naturschutzgebiet durchqueren. Die Lobau-Autobahn wird deshalb nicht gebaut", lautete die zentrale Aussage in Gewesslers Pressekonferenz am Mittwoch.

"Ein guter Tag für Klimaschutz und Wissenschaft"

Die Umweltministerin erklärte dazu: "Ich habe nicht vor, in 30 Jahren sagen zu müssen, mir hat im entscheidenden Moment der Mut gefehlt." Den Mut wird sie auch brauchen, denn der Widerstand gegen ihre Entscheidung ist massiv.

Die einflussreiche ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner rügte das Umweltministerium wegen zu viel "Leichtfertigkeit". Allen voran aber wetterte der Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig gegen den Beschluss. Der Vorstoß sei "ein Schlag gegen die Wiener Bevölkerung und die gesamte Ostregion", Alternativen zur geplanten Straße würden fehlen.

Dem widersprach nicht nur die Jugendorganisation seiner eigenen Partei, sondern auch eine Reihe namhafter Verkehrsplaner. So etwa der Leiter des Forschungsbereichs Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU Wien, Günter Emberger.

Wien wolle seine Pro-Kopf-Verkehrsemissionen bis zum Jahr 2030 halbieren, erinnerte Emberger den Bürgermeister. Gegenwärtig legten die Wiener:innen 27 Prozent ihrer Wege mit dem Auto zurück, das solle auf 15 Prozent Autowege verringert werden.

"Wien braucht eine starke Verhaltensänderung zugunsten der Radinfrastruktur, der Fußgänger und der öffentlichen Verkehrsmittel", so Emberger. Deswegen sei der Tag, an dem die Lobau-Autobahn abgeblasen werde, "ein guter Tag für den Klimaschutz und die Wissenschaft."

Bis 2040 müsse der Autoverkehr um nicht weniger als 40 Prozent reduziert werden. "Dafür reichen die Kapazitäten bestehender Straßen bei Weitem aus", erklärte Emberger. Das sei für ihn die Alternative zur Lobau-Autobahn.

"Der Kampf gegen die Stadtautobahn geht weiter"

Der Stopp des Straßenprojekts durch die Lobau verdankt sich aber auch dem jahrzehntelangen hartnäckigen Ringen von Umweltschützer:nnen und Bürgerinitiativen. Zuletzt kamen auch Klimagerechtigkeitsgruppen hinzu.

Seit mittlerweile drei Monaten halten Fridays-for-Future- und andere Aktivist:innen die Baustelle der "Stadtstraße Hirschstetten" am nordöstlichen Rand Wiens mit einem Protestcamp besetzt. Mit dem Ende der Lobau-Autobahn ist nun der größte mobilisierende Faktor für diesen Protest weggefallen.

Bei der "Stadtstraße", die im Fokus der aktuellen Besetzung steht, handelt es sich um eine drei Kilometer lange Autobahn, die als Zubringer zum jetzt gestoppten Lobautunnel fungieren soll. Die Aktivist:innen aber sind durch ihren Zwischensieg noch entschlossener, weiterzumachen.

Die Gruppe System Change not Climate Change, die das "Lobau bleibt"-Protestcamp mitträgt, ließ nach dem verkündeten Ende der Schnellstraße durch den Nationalpark wissen: "Die Lobau-Autobahn wurde abgesagt, der Kampf gegen die Stadtautobahn geht weiter!"

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