Polizisten stehen vor der noch unzerstörten haushohen Holzpyramide mit der Aufschrift: Stop Stadtautobahn.
Die Holzpyramide, das Symbol der Stadtstraßen-Besetzung, wurde zerstört. (Foto: SCNCC/​Flickr)

Mit lautem Krachen birst die Pyramide, ein fünf Meter hohes Holzgebäude, unter dem Druck des großen Baggerarms. Die versammelte Menge kreischt. Für einen Moment flattert an der Pyramidenspitze noch eine kleine Fahne aus der Baggerklaue heraus. Ihr Aufdruck: "1,5 Grad".

Vor den Augen Hunderter Klima-Aktivist:innen wurde am vergangenen Dienstag ein erster Teil der Baustellen-Besetzung der umstrittenen Wiener Stadtstraße geräumt. Die sozialdemokratisch geführte Wiener Stadtregierung ließ damit ihre Politik eskalieren, die sie seit Monaten verfolgt und die durch völlige Uneinsichtigkeit gegenüber Anliegen der Klimabewegung, aber auch gegenüber Beschlüssen des österreichischen Umweltministeriums gekennzeichnet ist.

"Die Stadtstraße ist behördliche Auflage für die Seestadt Nord und somit auch für andere Stadterweiterungsgebiete im Nordosten der Stadt essenziell", wird Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) nicht müde in den sozialen Medien zu verbreiten. Das Bauprojekt sei "der Schlüssel für den klimafreundlichen, leistbaren Wohnraum".

Doch die autobahnähnliche Stadtstraße ist ein höchst umstrittenes Vorhaben. Auch Stadtplaner:innen und Klimaforscher:innen sprechen sich für eine ersatzlose Streichung oder zumindest Verkleinerung der vor Jahrzehnten geplanten Straße aus.

Mit der Besetzung von drei Baustellen-Standorten im Nordosten Wiens im Herbst vergangenen Jahres haben Organisationen wie Fridays for Future, der Jugendrat und System Change not Climate Change die Diskussion über Mobilität und Klimaschutz in Wien vorangetrieben.

In der Öffentlichkeit präsentiert sich die österreichische Hauptstadt gern als "Klimamusterstadt". Tatsächlich hat sie erst kürzlich einen "Klima-Fahrplan" vorgelegt, dem zufolge die Stadt bis zum Jahr 2040 klimaneutral werden will.

Festhalten am Autobahntunnel unterm Nationalpark

Politische Einmischung von außerhalb der Stadtregierung ist aber unerwünscht. Als Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) – nach umfangreicher Evaluierung – kürzlich beschloss, eine ganze Reihe von Straßenbauprojekten abzusagen oder nach klimafreundlichen Alternativen zu suchen, ließ die Wiener Stadtregierung wissen, sie werde das umstrittenste der Projekte per Klage durchsetzen.

Es geht dabei um eine Autobahn-Untertunnelung des Nationalparks Donau-Auen ("Lobau-Autobahn"). Erst vor einer Woche veröffentlichte die Stadt Wien in Kooperation mit der Wirtschaftskammer eine 60-seitige "Zukunftsvereinbarung" für die kommenden vier Jahre. Darin enthalten: die Lobau-Autobahn – als hätte es nie einen ministeriellen Beschluss dagegen gegeben.

Zwei Menschen sitzen auf der Schnellstraßen-Trasse, vor ihnen eine Polizeikette.
Ein großes Polizeiaufgebot setzte die "behördliche Auflage" durch, wie es die Wiener Stadtregierung ausdrückt. (Foto: SCNCC/​Flickr)

Dementsprechend verliefen auch die Gespräche, die den Klimaschützer:innen im Zuge der Besetzung der Stadtstraßen-Baustellen angeboten worden waren: Sie scheiterten. Das war wenig überraschend, nachdem die Stadt Wien schon im Dezember Klagedrohungen an rund 50 Klimaaktivist:innen zustellen ließ.

Darin hieß es: "Sie beteiligen sich gemeinsam mit anderen Aktivist:innen an der Behinderung der Bauführung zur Errichtung der Stadtstraße. Sofern die Behinderung nicht umgehend und vollständig beendet wird, ist die Stadt Wien gezwungen, sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Mittel einzuleiten, um die entstandenen Schäden einzufordern."

Unklar war nur, was skandalöser an den Anwaltsbriefen war: der Versand an Vierzehnjährige oder der an Wissenschaftler:innen, die in sozialen Medien Kritik an dem Straßenbauprojekt geäußert hatten, bei der Besetzung selbst aber nie zugegen waren.

Wie eine Machtdemonstration

Besonders deutlich wurde die Haltung der Stadtregierung, als Unbekannte Ende Dezember einen Brandanschlag auf das Camp der Besetzer:innen verübten. Mittels Brandbeschleuniger war ein hölzerner Witterungsschutz in Brand gesetzt worden, während darin acht Menschen schliefen.

In öffentlich gewordenen Chatnachrichten ehemaliger SPÖ-Funktionäre wurden derlei Aktionen zuvor nicht nur herbeigesehnt, sondern nach ihrem Eintreten auch noch gefeiert. Statt einer deutlichen Verurteilung des Brandanschlags fiel Bürgermeister Ludwig nichts anderes ein als zu erklären, die Tat sei "auf jeden Fall ein Zeichen, dass ein rechtsfreier Raum in einer Stadt kein Vorteil ist".

Ein Bagger stößt einen am Stamm fast durchgesägten Baum um, an dem Protest-Spruchbänder befestigt sind.
Das gleichzeitige Fällen hunderter Bäume empfanden nicht nur die Besetzer:innen als Provokation. (Foto: SCNCC/​Flickr)

Wie der Umgang der Stadt Wien mit solchen "Nachteilen" aussieht, hat sie am Dienstag, dem Tag der Räumung, dann eindrucksvoll vorgeführt. Vor den Augen hunderter Menschen wurden Dutzende Klimaaktivist:innen verhaftet.

Wie in einer Machtdemonstration wurden im Umfeld der Räumung auch gleich noch 380 Bäume gerodet, um den Bau der Stadtstraße voranzutreiben.

Von zahlreichen großen und kleinen Umweltorganisationen kam scharfe Kritik an der Räumung. Der WWF nannte das Straßenprojekt "fahrlässig und verantwortungslos".

Zwei der Baustellenbesetzungen bleiben aber weiterhin bestehen. Die Auseinandersetzung um die klimaschädlichen Projekte der "Klimamusterstadt" ist noch lange nicht zu Ende.

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