Porträtaufnahme von Andreas Knie.
Andreas Knie. (Foto: Sebastian Knoth)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung. Sein Steckenpferd ist das Verkehrswesen von morgen.

Klimareporter°: Herr Knie, trotz Corona-Effekt und Paris-Abkommen gehen die globalen Treibhausgasemissionen nicht entscheidend zurück – im Gegenteil, sie waren Ende 2020 schon wieder höher als vor den Lockdowns.

Nun warnt die Internationale Energieagentur: Die Welt darf die Chance zum Umbau des Energiesystems nicht verpassen. Ist die Chance nicht eigentlich schon vorbei?

Andreas Knie: Es fehlt am Umsetzungswillen. In Deutschland wird heute noch Braunkohle für die Stromproduktion abgebaggert, wertvolle Flächen und traditionsreiche Kulturgüter werden vernichtet. Bis 2038 soll das noch so weitergehen.

In Berlin wird die Autobahn A 100 mitten durch Berlin getrieben und der Berliner Senat denkt tatsächlich darüber nach, den nächsten Bauabschnitt zu genehmigen.

Klimapolitik ist Deutschland ist Sonntagspolitik im Konjunktiv: Man müsste eigentlich, man könnte ja – nur umsetzen, das funktioniert eben nicht. Es geht bei der Klimapolitik letztlich auch immer um Machtpolitik, und die Bekämpfung des Klimawandels hat in Deutschland immer noch keine Macht. Das sollten wir uns alle mal eingestehen.

Die Autoindustrie klagt, Elektroautos kämen bei den Leuten nicht an, weil sie wegen fehlender Ladesäulen Angst haben liegenzubleiben. Die Stromwirtschaft hält dagegen: An einer typischen Ladesäule komme nur alle paar Tage mal ein E-Auto vorbei – das Regierungsziel von einer Million öffentlicher Ladesäulen bis 2030 sei überdimensioniert. Wer hat recht?

Wenn die deutsche Autoindustrie tatsächlich elektrische Autos verkaufen wollte, würden wir längst ein entsprechendes Ladenetz haben. Tesla hat es vorgemacht. Keine Teslafahrerin oder -fahrer muss Angst haben, in Europa liegenzubleiben, überall gibt es Stromtankstellen. Aber wo in Deutschland kein Wille ist, da ist auch kein Weg.

Die deutsche Stromwirtschaft hat sich dagegen in ihrer eigenen Regulierungspolitik verfangen. Der Aufbau von Ladesäulen sollte Teil der Aufgaben der Verteilnetzbetreiber sein. Diese liefern Strom für alle Haushalte, ebenso könnten sie auch für Ladepunkte praktisch an jeder Ecke sorgen und einen netzdienlichen Ausbau garantieren. Die Vermarktung würden andere übernehmen.

Aber deutsche Automobilbauer und die deutsche Stromwirtschaft bleiben lieber Garanten des Gestrigen.

Bei der Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU in Deutschland will die Bundesregierung den Einsatz von Ökostrom im Verkehr mit einem Mehrfachen der realen CO2-Einsparung anrechnen. Schon jetzt umstrittene Plug-in-Hybride würden dann auf dem Papier saubergerechnet, auch ließen sich so die EU-Grenzen beim Flottenverbrauch leichter einhalten.

Ist der Leidensdruck beim Klimaschutz im Verkehr schon so groß, dass die Regierung zu solchen Tricks greift?

Unter dem Druck der deutschen Autohersteller wird bereits seit Jahren eine konsequente Absenkung der CO2-Grenzwerte von Deutschland verhindert. Wir sind keineswegs das Musterland der Klimabekämpfung. Ganz im Gegenteil: Die deutsche Bundesregierung tut alles, damit möglichst viel Verbrennungsmotortechnologie in Europa noch ganz lange ganz legal fahren kann.

Der Leidensdruck ist nicht hoch – und wir vergessen schnell. Oder wie war das damals noch mit der Dieselkrise?

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die böse Überraschung der Woche hat der Berliner Senat produziert: Das Aus für den Verbrennungsmotor in der Stadt wird auf Nimmerwiedersehen verschoben! Damit ist der gesamte Klimaplan der rot-rot-grünen Landesregierung null und nichtig.

Die SPD in Berlin verfolgt immer noch den Traum vom alten glücklichen Leben: Reihenhaus mit Garten, Schrankwand mit Aquarium und natürlich das eigene Auto mit Diesel- oder Ottomotor direkt vor der Tür, freies Parken auf öffentlichen Flächen. Schön waren die Zeiten, ist man geneigt zu sagen.

Aber so leben wir nicht mehr in Berlin, die Welt verändert sich. Nur die SPD möchte die Welt so zurückhaben, wie sie in den 1950er und 1960er Jahren war. Dann aber auch bitte wieder Hans-Joachim Kulenkampff am Samstagabend – mit Fernseh-Ballett.

Fragen: Jörg Staude

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