Eigentlich sollte es beim diesjährigen Internationalen Seeschifffahrtstag um Nachhaltigkeit gehen. "Nachhaltige Schifffahrt für einen nachhaltigen Planeten" hatte die Internationale Seeschifffahrts-Organisation IMO zum Motto des Aktionstags auserkoren.
Stattdessen ging es um gestrandete Seeleute, die wegen der Corona-Pandemie seit Monaten nicht von Bord gehen können. Dem Verband Deutscher Reeder zufolge sitzen weltweit über 250.000 Seeleute fest. Zwar stünden Ersatzcrews bereit, doch die Crewwechsel würden von lokalen Behörden verhindert.
So tragisch das für die Seeleute ist, so dringend ist es nötig, dass die Schifffahrt auch ihren Treibhausgasausstoß senkt. "Es gibt eine Industrie mit hohen Treibhausgasemissionen, die in keinem Land der Welt Brennstoffsteuer zahlt, Effizienzmaßnahmen ergreifen oder gar bindende Klimaziele erfüllen muss. Unglaublich? Trifft aber auf die Seeschifffahrt zu", sagt Jutta Paulus von den Grünen.
Etwa drei bis vier Prozent der weltweiten Emissionen gehen der Europaabgeordneten zufolge auf das Konto der internationalen Schifffahrt, die – steuerfrei – extrem schmutziges Schweröl verbrennt und deren Emissionen keinem Land zugeordnet werden.
Das will Paulus ändern. Sie ist Berichterstatterin des Europaparlaments für eine Verordnung zur Überwachung von CO2-Emissionen aus dem Seeverkehr, die sogenannte MRV-Verordnung.
40 Prozent weniger Treibhausgase bis 2030
Ein Vorstoß, die Branche zu mehr Klimaschutz zu bewegen, kam in der vergangenen Woche vom Parlament. "Letzte Woche hat das Europäische Parlament meinen Gesetzentwurf zu den Emissionen der Seeschifffahrt mit großer Mehrheit angenommen", sagt Paulus gegenüber Klimareporter°.
Die Abgeordneten votierten für ein Flotten-Effizienzziel von 40 Prozent Emissionsminderung bis 2030. Gemessen an den Emissionen der gesamten EU seien das dauerhaft 1,5 Prozent, rechnet Paulus vor. Das Ziel orientiert sich zwar an den Vorschlägen der IMO, ist aber ehrgeiziger und steht im Einklang mit dem EU-Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein.
Zudem wollen die Abgeordneten Schiffe ab 5.000 Bruttoregistertonnen in den europäischen Emissionshandel einbeziehen. Vom kommenden Jahr an müssten dann die Eigner für Schiffe, die EU-Häfen ansteuern oder verlassen, CO2-Zertifikate erwerben.
Weil sich die EU-Staaten wegen des Einstimmigkeitsprinzips im Ministerrat kaum auf einen Preis für eine Treibstoffsteuer in der Schifffahrt einigen würden, soll der Emissionshandel auf den Sektor ausgeweitet werden. "Das entspricht de facto einer Besteuerung des Brennstoffs, ohne dass sich die Reedereien dieser Steuer durch Auftanken außerhalb der EU entziehen könnten", sagt Paulus.
Bei einem CO2-Preis von 25 Euro könnte das zwischen 3,5 und vier Milliarden Euro in die Kasse spülen. Die Einnahmen sollen je zur Hälfte zur Entwicklung klimafreundlicher Schiffe und zur Finanzierung von Meeresschutzgebieten verwendet werden. Dem Parlamentsbeschluss zufolge soll dafür ein Ozeanfonds aufgesetzt werden.
Allerdings bräuchte es einen weitaus höheren Zertifikatspreis als 25 Euro, um die Branche tatsächlich zum Umsteuern zu bewegen. Die CO2-Vermeidungskosten im Verkehrssektor liegen deutlich höher
Außerdem wollen die Abgeordneten die jetzige Verordnung auch auf andere Treibhausgase ausweiten – vor allem Methan haben sie hier im Blick. Paulus: "Mehr und mehr Schiffe fahren mit LNG, also verflüssigtem fossilen Erdgas. Dabei wird Methan freigesetzt, das – auf 20 Jahre gerechnet – eine 87-fach höhere Treibhausgaswirkung hat als CO2."
Umweltschützer:innen bezeichnen den Vorstoß des Parlaments als wegweisend, weil er die IMO unter Druck setze, von ihrer bisherigen Blockadehaltung abzuweichen.
Emissionen so hoch wie die von Belgien
Bislang sind die Schifffsbetreiber lediglich verpflichtet, ihre CO2-Emissionen zu melden. Auch über den Kraftstoffverbrauch, die zurückgelegte Entfernung, die auf See verbrachte Zeit und weitere Parameter verlangt die EU seit 2018 Auskunft.
Ein Ergebnis: 139 Millionen Tonnen CO2 haben allein die rund 10.000 meldepflichtigen Schiffe ausgestoßen, die Häfen innerhalb der EU ansteuerten. Das ist mehr, als ganz Belgien emittiert hat.
Im Februar 2019 hatte die EU-Kommission einen Vorschlag für die MRV-Verordnung vorgelegt, der aber hinter den Parlamentsbeschlüssen weit zurückbleibt. Die Kommission will die Branche zu nicht viel mehr als dem Zählen und Melden von CO2-Emissionen verpflichten.
Zwar hatte auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dafür votiert, Schiffsemissionen in den Emissionshandel zu überführen. In ihrem Green Deal heißt es jedoch nur vage, dass die Erweiterung geprüft werden soll. Im kommenden Jahr will die EU-Kommission die Revision der Emissionshandelsregeln in Angriff nehmen, die dann ab 2023 gelten sollen. Deshalb will Paulus die Überarbeitung der MRV-Richtlinie nutzen, um bei der Frage voranzukommen.
In den nächsten Monaten stehen die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten an. "Die Klimakrise wartet nicht, deshalb dürfen wir keine Zeit verlieren", mahnt Paulus. Die noch bis Dezember amtierende deutsche Ratspräsidentschaft müsse so schnell wie möglich mitteilen, ab wann der Ministerrat in die Verhandlungen mit Parlament und Kommission, den sogenannten Trilog, treten werde. "Gerade von Deutschland erwarte ich ambitioniertes klimapolitisches Handeln", so Paulus.
Zur Priorität seiner Ratspräsidentschaft will Deutschland aber etwas anderes machen: den mehrjährigen Finanzrahmen bis 2027 und das Klimagesetz. Ob der Trilog zu den Emissionen der Schifffahrt noch in diesem Jahr beginnt, ist deshalb offen.